Dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt so seine Schwierigkeiten hat, nachhaltig gute Vorschläge für die Verkehrspolitik in Deutschland zu machen, ist bekannt. Statt Dinge einfach und bürgernah zu machen, tanzt auch er in Sphären, in denen er sein Heil in digitaler Perfektion sucht. Am 24. Januar hat er seinen „Masterplan Bauen 4.0“ vorgelegt. Und mit Recht fragt das Leipziger Büro Hitschfeld: Wo hat dieser närrische Minister eigentlich die Bürgerbeteiligung gelassen?

Im Grunde hat Dobrindt mit seinem Papier einmal mehr deutlich gemacht, was eigentlich hinter all den Digitalisierungsprojekten der aktuellen Bundesregierung steckt. Statt die digitalen Möglichkeiten zu nutzen, um Bürgerbeteiligung barrierefrei und klug zu organisieren, nutzt man die neuen digitalen Tools vor allem, um den Zugang für die Bürger noch weiter zu verunmöglichen und Entscheidungsprozesse immer mehr zur reinen Angelegenheit von Experten zu machen.

Egal, ob das Industrie 4.0 heißt oder eben Bauen 4.0.

Und das Ganze gibt es dann – wie bekannt – wieder als ein Heilsversprechen, die Kosten senken zu wollen.

„Mit BIM lassen sich Dauer, Kosten und Risiken großer Bauprojekte in erheblichem Umfang reduzieren. Unser Ziel ist es, Innovationsführer beim digitalen Bauen zu werden“, verlautbarte der CSU-Minister, der sich Modernisierung immer wieder nur als technische Innovation vorstellen kann, nicht als Innovation der Bürgerbeteiligung. „In Zukunft soll in Deutschland der klare Grundsatz gelten: Erst digital, dann real bauen. Mein Ministerium geht dabei voran: Wir machen BIM bis 2020 zum Standard bei neuen Verkehrsinfrastrukturprojekten.“

Aber es sind nicht die Planungen selbst, die Bauen so langwierig machen und Großprojekte oft in der Verwaltungsschleife hängen lassen. Was Dobrindt ja mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan wieder einmal gezeigt hat. Wichtige sächsische Elektrifizierungsprojekte sind längst vorgeplant – aber der innovationssüchtige Minister hat nicht mal die Leute, die vorgelegten Pläne zu begutachten. Also werden sie nicht einmal in den Bedarf aufgenommen.

Da erweist sich das Getanze um Digitalisierung als reine Scheinakrobatik.

Erst recht, wenn ein nun seit Jahren auf Themen wie Transparenz und Bürgerbeteiligung fokussiertes Büro wie das Büro Hitschfeld in Leipzig diese neue Digital-Blase begutachtet und nicht mal einen Ansatz für Bürgerbeteiligung findet.

„Die Initiative des BMVI ist nachdrücklich zu begrüßen, denn sie kann dazu beitragen, die Bauzeiten zu verkürzen, die Effizienz zu steigern und Risiken zu minimieren“, kommentiert Katharina Hitschfeld, Geschäftsführerin von Hitschfeld Büro für strategische Beratung Leipzig, das auf Akzeptanzmanagement spezialisiert ist, den BMVI-Vorstoß. „Allerdings besteht aus unserer Sicht erheblicher Nachbesserungsbedarf.“

Denn völlig außen vor bleibe in Dobrindts neuer Vision, welche Auswirkungen der Einsatz der Planungsmethoden auf die Bürgerinnen und Bürger hat. Im Masterplan würden die Konsequenzen für Meinungsbildung und Entscheidungsfindung (Partizipation) sowie die Akzeptanzgewinnung und Sicherung (Akzeptanzmanagement) einfach ignoriert.

Was zwar auch in anderen Großprojekten gern getan wird – was Bürger und Interessenverbände, die eigentlich ein gesetzmäßiges Recht auf Beteiligung haben, in teure und langwierige Prozesse zwingt gegen staatliche Behörden, die am Ende schlicht die längere Puste und das Mehr an Steuergeld haben, um lange Prozesse durchzuhalten und die Bürger gründlich auflaufen zu lassen.

Ergebnis sind völlig überteuerte Projekte, für die „Stuttgart 21“ geradezu exemplarisch steht, in denen eine beratungsresistente Politikerschicht ihre Prestigevorhaben auch mit Gewalt und falschen Versprechungen durchdrückt.

Dobrindts neuer Vorstoß zeigt, dass zumindest in seiner Partei ein Lernprozess noch immer nicht begonnen hat. Denn dass Politik heutzutage so ins Kreuzfeuer geraten ist, hat genau mit dieser Arroganz der Macht zu tun, die den Wähler immer wieder von wichtigen Entscheidungen ausgrenzt und das lähmende Gefühl verbreitet, die Bürger hätten bei Entscheidungen, die sie direkt angehen, nicht mitzureden.

Dabei beschleunigen sich Projekte sogar, wenn die selbstverliebten Politiker die betroffenen Bürger frühzeitig mit einbeziehen und die Projektalternativen den Erwartungen und Bedürfnissen der Betroffenen bestmöglich anpassen. Aber dazu muss es eine barrierefreie und selbstverständliche Beteiligung von Anfang an geben – und zwar bevor die Projekte hinter verschlossenen Türen fix und fertig abgesprochen und ausgereift sind.

Gerade die Aspekte einer selbstverständlichen und transparenten Bürgerbeteiligung hätten aber erheblichen und tendenziell steigenden Einfluss auf Dauer, Kosten und Risiken von Projekten, betont Hitschfeld. Das würden alle Erfahrungen mit großen und kleinen Infrastrukturprojekten – vom BER über den Ausbau der Energienetze bis hin zu Verkehrsprojekten – zeigen. Sie müssten heute bei der Einführung von neuen Methoden und Technologien einen festen Platz haben. Zumal im Akzeptanzmanagement auch die Digitalisierung Einzug gehalten habe, wie zahlreiche Bürgerportale und Social-Media-Initiativen zeigten.

„Aus unserer Sicht bleibt der Masterplan so lange nur ein (Teil-)Plan, so lange er die ständig wachsenden Mitsprache- und Beteiligungsinteressen der Bürger nicht berücksichtigt“, betont Katharina Hitschfeld. „Allein wenn man bedenkt, welche Aufregung vor Jahren in Deutschland herrschte, als Google-Street-Kameras die Straßen und Häuser ablichteten, ist kaum vorstellbar, dass der im Masterplan angekündigte verstärkte Drohneneinsatz bei der Vermessung ohne Information und Einbeziehung der Bürger eine Chance auf Realisierung hat.“

Fazit von Katharina Hitschfeld: Dem Masterplan fehlt der zeitgemäße ganzheitliche Ansatz. Verkürzte Planungszeiten für Großprojekte bedürften heute nicht nur der Digitalisierung sondern auch der frühen Einbeziehung der Bürgerinteressen.

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