Barcelona. Jetzt auch noch Barcelona. Und je nachdem, wie weit der Ort des jeweiligen Anschlages entfernt oder man selber mit diesem durch Besuch, Beziehungen, Verwandte und Erinnerungen verbunden ist, entwickelt man dann so seine Gefühle. Mitleid, Erschrecken, Wut, Hilflosigkeit. Je nach Veranlagung und Luftdruck.

Besonders mit der Wut ist es schlimm. Weil wir nicht recht wissen, wohin mit ihr. Borchert lässt in seiner unübertroffenen Kurzgeschichte „Die drei dunklen Könige“ seinen Protagonisten, einen vom Krieg gebeutelten Alltagshelden, im bitterkalten Nachkriegswinter mehrfach den Satz wiederholen „… und er hatte keinen, dem er die Fäuste ins Gesicht schlagen konnte.“

Auch wenn die prekäre Situation des zu Recht darüber zornigen Mannes nicht mit der unsrigen zu vergleichen ist, die wir (Gott sei Dank) größtenteils noch geschockte Zaungäste der Anschläge sind, will man doch insgeheim mal ein Gesicht für seine Fäuste. Stattdessen staut sich eine Wut, die diffus und kaum irgendwo richtig unterzubringen ist.

Ich bin auch wütend. Ich bin sogar schon jetzt furchtbar wütend angesichts der schrecklichen Bilder, die wir noch sehen werden und der erschütternden Geschichten der Opfer, die wir lesen werden. Wütend über die individuellen Schicksale, die es zur Kenntnis zu nehmen gilt. Wütend über die nicht gelebten Leben. Und traurig auf Vorrat. Wenn es dies gibt.

Gleichzeitig beginnt man aber auch, müde zu werden. Müde angesichts der zu erwartenden unerträglichen vorschnellen, diffusen und konkreten Schuldzuweisungen und der hämischen Kommentierungsflut von Menschen, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube mehr machen müssen, weil da schon lang nichts mehr lebendig ist.

Und weil man die Bergpredigt vermutlich nur noch zu Rate zöge, wenn sie von Andrea Berg gesungen werden würde. Dabei ist es das einzige, was es zur Stunde zu sagen gibt: Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.

Das hoffe ich wirklich.

Hoffnung keimt aber auch aus einer Richtung des Gartens: Ich erinnere mich noch an den Morgen danach. Den Morgen nach dem Weihnachtsmarkt-Desaster in Berlin im vergangenen Winter. Ich verbrachte jenen Vormittag mit liebenswürdigen und – was sich aus dem Umstand großer Jugend naturgemäß oft ergibt – hie und da nervtötenden, also ganz normalen jungen Menschen aus Afghanistan, Syrien, Spanien, Griechenland sowie aus dem Irak, die allesamt von dieser Berlin-Katastrophe noch überhaupt nichts mitbekommen hatten. Die einfach zur Tagesordnung angetreten waren, mit Kopftuch oder mit Baseball-Kappen, mit dicken Kopfhörern in Pastelltönen um den Hals und ihren Handys in der Arschtasche, so wie es Millionen anderer Jugendlicher dieser Welt auch tun würden. Die sich an diesem Morgen über deutsche Wörter wie „Klimbim“, „Weihnachtsstress“, „Ausländerbehörde“ und „Räucherhäuschen“ wegschmeißen konnten und die im Anschluss einmal klatschten, als man ihnen etwas vorgelesen hatte.

Und ich wusste mit einem Male, dass das nicht nur die herbeigesehnte Antwort auf die niederschmetternden Berichte und Bilder aus Berlin am Abend zuvor war, sondern im gleichen Zuge die Antwort auf die Frage, die auch nach Barcelona immer wieder laut wurde:

„In welchen Zeiten leben wir eigentlich?“ …

Die Antwort ist relativ simpel: Wir leben heute. Im Hier und Jetzt. Wo ein Tag wie in Barcelona letzte Woche möglich ist.  Oder ein Adventsabend wie der in Berlin. Und wieder möglich sein wird.

Aber eben auch ein heiterer, hoffnungsvoller Morgen wie der beschriebene – mit jungen Menschen aus aller Herren Länder und den unterschiedlichsten Schicksalen. Es ist weder Naivität noch das zur Ödnis gereichende totzitierte „Gutmenschentum“, den Blick vor so etwas niemals senken zu wollen.

Es ist meine Innenpolitik.

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