Da bewegt nun das Massaker von Las Vegas die ganze Welt und die Ermittler und Kommentatoren rätseln, was diesen lonely wolf „Stephen C. Paddock dazu trieb, 58 Menschen zu erschießen und etwa 500 weitere zu verletzten“ (Spiegel Online). Aber wer die ganze Flut amerikanischer Western und Hardcore-Blockbuster der vergangenen 50 Jahre gesehen hat, der wundert sich gar nicht. Das, was in unserem Kopf abläuft, bestimmt, was wir tun. Und unsere Gesellschaft lügt sich tagtäglich in die Tasche.

Denn die meisten Dinge, die Menschen tun, sind von Mustern gesteuert, von Verlockungen, gesellschaftlichen Zwängen und den Schleifen im Gehirn, die uns alle – wirklich alle – dazu bringen, uns Süchten hinzugeben. Wobei: „hinzugeben“ ist etwas soft formuliert. Das weiß jeder, der einmal so einer Schleife aus Verlangen und Befriedigung verfallen ist. Das geht schon früh los. Nicht erst mit der ersten Zigarette oder dem ersten Joint oder der ersten verhängnisvollen Liebe. Alles Erlebnisse, in denen die Betroffenen erfahren haben, wie das ist, wenn man von einem Objekt der Begierde und einem dringend benötigten Glücksbringer nicht mehr loskommt – außer mit einer heftigen Entziehungskur.

Die Mechanismen, die Menschen von solchen Suchtmitteln abhängig machen, sind eingebaut. Sie haben mit den Hormonausschüttungen in unserem Körper zu tun. Wir lechzen regelrecht nach diesen Ausschüttungen. Und ein Erfolg der kapitalistischen Entwicklung ist natürlich, dass sie der menschlichen Gier fast alles zur Verfügung stellt, was diese ersehnt. Man kann sich die ganzen Lusterfüller kaufen. Auch wenn das Problem bei allen ist: Die Befriedigung ist kurz – und meist höchst problematisch.

Manchmal gibt es auch gar keine Befriedigung, da hat uns dann die Werbung etwas Falsches versprochen, hat uns ein verlogenes Versprechen gemacht, das das Produkt natürlich nicht einhält.

Aber das ist der Grundmechanismus des Ganzen: Ein riesiger Markt bietet seine Produkte an, von denen so ziemlich genau 99 Prozent völlig überflüssig und zumeist auch noch schädlich in vielfacher Hinsicht sind. Die Botschaft: Du kannst alles haben, was du willst. Ganz leicht. Ganz schnell.

Kleiner Sprung: Nach demselben Schema funktionieren etliche moderne Medien. Sie stimulieren unsere Süchte, machen uns Versprechungen und produzieren Berge von Snuff. Und sie verwandeln auch unsere Realität, weil sie unser Denken über diese Realität verändern. Wer tapfer war, hat ja das wilde Buch „Zwei Himmelhunde“ von Clemens Meyer und Claudius Nießen gelesen, in dem diese beiden Leipziger Höllenhunde sich Berge von Film-Trash reingezogen haben. Der aber keine Käufer finden würde, würden nicht tausende Menschen dieses Zeug reinziehen wie Kokain oder Alkohol. Sich berauschen daran. Ersatzbefriedigung.

Wobei das ja nur das Schlimmste vom Schlimmen ist. Das Schlimme selbst, das aus den Riesenstudios Hollywoods in die Welt gekübelt wird, wird selbst von Kritikern meist nicht als schlimm empfunden. Weil ihnen die oft genug frauenfeindlichen und chauvinistischen Tendenzen in diesen Filmen gar nicht mehr auffallen. Und auch nicht die seltsame Philosophie hinter all den „harten Kerlen“, die hier als einsame Wölfe und Rächer der Gerechten inszeniert werden.

Fast jeder dieser Filme suggeriert dem Betrachter, dass ein paar scharfe Waffen und ein bisschen Gewalt gegen das Böse ausreichen, „der Sache ein Ende zu bereiten“. Der Filmstoff fördert die Erwartung, dass mit so einer Methode Probleme zu lösen sind. Wer nur ein bisschen länger nachdenkt über die Stories, der merkt: Es ist eine Lüge. Die Probleme bleiben alle. Unser menschliches Leben besteht darin, dass wir eben immer neue Lösungen finden müssen. Und dass man dafür immer wieder versuchen muss, aus den Denkschleifen herauszukommen, die uns einfache Lösungen suggerieren. Gar Lösungen, bei denen dann einfach alles niedergeschossen wird, was stört. Einfache Lösungen – so wie der Griff ins Supermarktregal.

Denn dafür erzieht uns ja dieses Konsumdenken: zu scheinbar einfachen und schnellen Lösungen.

Auch Allmachtsphantasien gehören zu den Schleifen, die viele Menschen im Kopf tragen. Sonst würde die Waffenindustrie einfach nicht funktionieren. Denn kein Mensch, der wirklich gelernt hat, wie man Dinge im Leben tatsächlich gemeinsam löst, kommt auf die Idee, sich eine Schusswaffe zu kaufen. Nur scheinbar spielt das Gefühl zunehmender Unsicherheit da hinein. Das ist eine hübsche Ausrede für Politiker, die selber dann wieder freudig eine Konsumorgie mit neuen Sicherheitsspielzeugen feiern. Die Sicherheit nur vorgaukeln. Ersatzbefriedigung.

Da schwappt die Radikalität des Marktes bis in die Politik. Denn der Markt, der vielgepriesene, macht ja alles möglich – und er bietet alles an, skrupellos. Denn Skrupel kennt er keine: Waffen, Drogen, Pornos, Snuff-Videos, Sklaven, Alkohol … er kennt keine Grenzen. Moralischen Anstand schon gar nicht.

Auch und gerade das steckt in diesem neuen Massaker in Las Vegas. Denn in einer Welt, in der man sich auch die größte Mordwaffe im nächsten Laden kaufen kann, wird vor allem eines entwertet: der Mensch. Die Gesellschaft verwandelt sich immer weiter in einen Kosmos von Konsumierenden und Egoisten.

Und sie werden immer unglücklicher, denn all die Dinge, die sie sich kaufen können, ersetzen nicht den Verlust menschlicher Nähe und menschlicher Kommunikation. Was in den USA längst auch den politischen Umgang miteinander gezeichnet hat. Eine Gesellschaft, die den Profit über die Solidarität stellt, wird lösungsunfähig. Sie wird zu einer Gesellschaft der Narzissten. Donald Trump ist nur das logische Ergebnis dieser Entwicklung.

Aber gemeinsame Konfliktlösung muss erlebt und erlernt werden.

Das ist nicht gerade eine amerikanische Spezialität.

Wer glaubt, Konflikte in einer Gesellschaft mit Waffen lösen zu können, steckt schon längst in einer logischen und einer mentalen Falle.

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