Nächste Woche ist es wieder so weit: Ostern und Weihnachten und jede Menge fremdes Blut werden zusammenkommen – in unserer Stadt. Die Buchmesse lockt mit Titeln, Themen und theatralisch hochgebürsteten Besucherzahlen. Am schönsten an der Messe aber bleibt bekanntlich das Leben und Lesen außerhalb der Messehallen.

„Leipzig liest“ müsste eher „Leipzig hört zu“ heißen  – und das in jedem Kneipenwinkel der Stadt. Sollte die Frühlingssonne noch ein Einsehen haben und den fahlen Winterlungen der Straßenzüge noch ordentlich Leben einhauchen, dann wird vier Tagen des Glücks nichts im Wege stehen. Für ein paar wenige Tage sind wir vielleicht einmal wirklich „the better Berlin“.

Wie aber jede Stadt und jedes Kind anders ist, so werden es auch die Leseabende für die Vorlesenden sein. Fakt ist: Die meisten von ihnen werden an vielen Tagen und Nächten vorher mit allerlei Engagement, Freude, aber auch Arbeit etwas niedergedacht und – geschrieben haben.

Dann kommt es, wenn die Sterne gut stehen, manchmal zur prächtigen Variante: Man kommt auf die Bühne, an die Leselampe, ans Tischchen und man realisiert sofort: Das läuft heute Abend. Die Leute sind jut drauf, jut jemischt, jut versorgt. Mit Getränken vor allem. Die ersten Zwischenrufe während der ersten ein, zwei Texte, die Leute liebenswürdig. Dat Jefühl stümmt.

Dann aber gibt es Abende der härteren Arbeit. Ich will es einmal beschreiben: Der Tisch ganz vorne mit dem Herrn, der mit einem anderen Herrn zu erscheinen beliebte, verzieht nicht ein einziges Mal die Miene – nicht nur, weil das ein schräges Bild ist. Der Tisch in der Mitte hat Essen bestellt, was irgendwann auch serviert wird. Das geht nicht ohne Kollateralschäden über die Nebenbühne. Natürlich muss bestelltes Essen gegessen werden. Leider gilt auch: Jeder, der verheiratet ist oder war, weiß, dass geräuschloses Essen nicht funktioniert. Geräuschloses Essen ist wie Sozialismus. Feine Sache irgendwie, aber wir Menschen scheinen nicht dafür gemacht.

Während Tisch drei verheiratet isst und die Lesenden lesen, weil es das Partizip schließlich erfordert, geht die Tür auf und ein lockiger Herr mit Rucksack erscheint. Er erscheint vehement. Schaut konsterniert. Lässt sich irgendwo in der letzten Lücke nieder und bestellt etwas. (Rucksäcke aller Länder, was transportiert ihr eigentlich, wenn nicht ein wenig Speis und Trank?).

Unterdessen wird von vorne hartnäckig weitergelesen. Ein Herr aus der ersten Reihe, der sehr freundlich ist und in der Pause schon ein Buch gekauft hat, will mitten in der Lesung noch eines.

Tisch drei hat unterdessen aufgegessen. Das Geschirr muss abgeräumt und von der Bühne will eine Text-Pointe unters Volk gebracht werden. Da setzt die Espresso-Maschine der Lokalität ratternd ein. Vermutlich will der Rucksack-Träger Koffein …

Und trotzdem: Die Vorleser wollen das. Alles. In guten wie in schlechten Zeiten. Schreiben. An guten wie an schlechten Abenden. Und wer schreibt und vorliest, der will das Geschriebene unters Volk bringen. Unter die Köpfe. Ins Gedächtnis gutenfalls.

Am schönsten aber ist und bleibt die Leseoperation am offenen Herzen.

Es muss wohl Liebe sein.

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