Ein im Grunde recht sympathisches Fest. Alles noch so unverbraucht, das Jahr – trotz einiger Tiefschläge – noch voller Hoffnung. Die Temperaturen noch schwer moderat, aber auf Besseres schließen lassend, die Helligkeit merklich zunehmend, auch die Kinder können schon mal minutenweise in den Garten. Herrlich. Ganz, ganz früher, als die Kinder noch mit Matrosenkragen unterwegs waren, fing bekanntlich das Schuljahr zu Ostern an. Keine ganz unkluge Gepflogenheit, wie ich finde. Man musste sicher nicht wie im August gleich hitzefrei geben und sich mit den Schiefertafeln Luft zufächeln.

Sollte man Ostern nicht auch wirklich als Fest des allgemeinen Neubeginns verstehen? Mal was Neues wagen? Mal einen neuen Arbeitsweg ausprobieren, mal ein Food-Experiment, mal eine neue Jeansmarke? Vielleicht auch die Änderung eigener Sichtweisen um 12 Grad, geringfügige Abschwächung eigener Verbitterung, mal Hotelurlaub statt nassem Zelt, mal keine rigorose Müllkommissar-Tätigkeit bei den Nachbarn?

Der Papst (ja, jener Papst, der der Menschheit die Vergewisserung stoisch ins Gesicht lächelt, dass man als älterer, belesenerer Herr durchaus biologisch in der Lage zu sein scheint, eine große Herzenswärme und Menschenfreundlichkeit zu kultivieren) hat das in der Osternacht natürlich besser und eindrücklicher gefordert:

Ostern sei eine Einladung, „mit eintönigen Angewohnheiten zu brechen, unser Leben, unsere Entscheidungen und unsere Existenz zu erneuern. (…) Ostern feiern bedeutet, erneut zu glauben, dass Gott einbricht (…), indem er unseren einförmigen und lähmenden Determinismus herausfordert.“

Mir gefällt das sehr. Nicht nur, weil mir kluge Sätze, die aus klugen Männern herausfallen, ohnehin imponieren, sondern weil es auch eine wirklich angemessene Ermunterung für die Gesellschaft wäre. Ja, hören wir auf diesen Papst – ob Kathol-ik oder Ma-ik. Oder sonst wer. Man kann sich ja durchaus auch mal was anhören von Leuten, die nicht im eigenen Verein sind.

Aber womit fängt man als Neu-Neuerer bloß an? Man muss vielleicht mit dem Erneuern unserer Entscheidungen gar nicht übertreiben und dabei gleich bis ans Depotfett der eigenen Persönlichkeit. Wenn sich jeder auch nur eine klitzekleine Kehrtwende zutraute, wäre schon viel gewonnen.

Mir fiel am heutigen Ostersonntag ein Sommerabend im vergangenen Juni wieder ein. Ich saß mit dem Kind relativ nass geworden in einer Straßenbahn. Es gewitterte draußen noch gehörig, hie und da zuckte ein Blitz über den dunklen Himmel. Was sollte er auch sonst machen? Es war seine Aufgabe.

Wir jedenfalls kamen von einer Zeugnisabschlussfeier. Einer Feier, bei der alle etwas Gutes vom anderen sagten, weil es das Wesen solcher Feiern ist, alle schwitzten, obwohl schön gemacht. Was eben jeder so darunter versteht. Aber das ist ja bei jedem Anlass im Leben so.
Die Eltern jedenfalls, die dort im Publikum saßen, hatten einiges durch. Sie haben ihr Kind durch die Schulzeit begleitet und das, so glaube ich, ist nicht immer leicht gewesen. Irgendwie ist das alles doch auch ein einziger Akt auf dem Drahtseil.

Irgendwie will man nicht ständig bewertet werden:

DU HAST DIES UND DAS VERGESSEN!

DU HAST DAS NICHT GEMACHT!

DU MACHST DAS FALSCH!

DU BIST SÄUMIG!

DU MUSST MIT DEINEN ARBEITSMITTELN BESSER UMGEHEN!

DU DARFST NICHT SCHLAGEN, NICHT FLUCHEN, NICHT SCHWÄNZEN, NICHT ABSCHREIBEN, NICHT DAS FRÜHSTÜCK, DIE WERKENSCHÜRZE, DAS REFERAT VERGESSEN! …

Die Liste ist endlos: Es ist eine Bewertung der Kinder, es ist eine Bewertung der Eltern.

Ich frage mich manchmal, woher wir den Mut nehmen, andere Menschen anzuweisen, ungefragt zu beratschlagen und zu beurteilen.

Vielleicht setzen wir einfach da ein bisschen an …?

Ostern 2018. Vielleicht auch eine Hoffnung, dass Menschen den Mitmenschen in milderem Lichte zu sehen beginnen können. So grundsätzlich. So einfach. Ich halte es sogar für möglich, dass der dann automatisch besser aussieht.

Schönen Frühling allerseits.

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