Es gibt Zeitungen, die schreiben grottenschlechte Kommentare. Da kommt am Ende nicht mal eine Pointe. Und es gibt Zeitungen, da ist die Überschrift schon die Pointe. Aber bestimmt ist Arno Widmann von der „Frankfurter Rundschau“ gerade dabei, die eigentliche Geschichte zum „Aufstand der Niederträchtigen“ zu recherchieren und die Pointe war dann schon mal der Stachel zum Löcken.

Die Pointe seines Kommentars lautet: „Es gibt nicht nur keinen Grund, den Flüchtlingen nicht zu helfen. Wir sind, was in Seenot Geratene angeht, sogar dazu verpflichtet. Wir werden nicht angegriffen. Wir sind die Angreifer.“

Die Niederträchtigen, von denen er spricht, sind alle diese Feiglinge und Egoisten, die sich derzeit so dicke tun bei Macho-Vorschlägen, wie man Flüchtlinge abwimmeln, abwehren und im Mittelmeer ersaufen lassen kann. Lauter großmäulige weiße Männer, die sich medial so dicke tun wie früher nur der Großkotz der Klasse auf dem Schulhof. Leute, die sich für was Besseres halten und glauben, sie könnten mit den Menschen da draußen, die aus fürchterlichen Zuständen geflohen sind, umspringen wie Kolonialherren. Genau der alte Stiefel und die alte Herrenmenschenmentalität. Das steckt alles wieder drin.

Der einzige Unterschied zu Kaisers Zeiten, „als wir noch ein Kolonialreich hatten“ und die Kolonisierten als „Neger“ in Völkerschauen ausstellten, ist die Tatsache, dass unser heutiger Kolonialismus anders aussieht.

Er ist nicht mehr so brachial offensichtlich, braucht keine Kanonenboote mehr und feiert sich auch nicht mehr in den Zeitungen, wenn man mal wieder ein paar tausend rebellierende Eingeborene – Herrero zum Beispiel – niedergemetzelt hat. Also quasi als Lehrübung, damit diese Menschen begreifen, was „christliche Kultur“ ist. Oder noch etwas neudeutscher: „unsere Werte“.

Nein, ich zitiere jetzt nicht Max Liebermann, wünsche mir aber mal eine schöne große Max-Liebermann-Ausstellung.

Und ein bisschen mehr Ehrlichkeit in dem, was wir in der Welt anrichten, wenn wir Jahr für Jahr tolle deutsche Waffen an allerhand dubiose Regierungen und Regime liefern, von denen wir wissen, dass sie damit ganz bestimmt nicht human umgehen. Und solange wir es nicht fertigkriegen eine Regierung zu wählen, die diese dubiosen Waffenexporte wirklich beendet, haben wir kein Recht, auf Flüchtlinge derart arrogant herunterzuschauen.

Und solange landwirtschaftliche Produkte aus unseren Ländern zu Dumpingpreisen (weil hochsubventioniert) nach Afrika geschickt werden und dort die Produktionsketten zerstören, haben wir kein Recht, auf afrikanische Flüchtlinge so herrenmenschisch herabzuschauen.

Und solange wir nicht mal dafür sorgen können, dass unsere viel gepriesene „Entwicklungshilfe“ nicht zum größten Teil in den Taschen korrupter Politiker und Militärs landet, können wir die Nase nicht in die Luft recken.

Solange es zwischen der EU und den Staaten Afrikas keine wirklich fairen Handelsverträge gibt, können wir nicht so tun, als ginge uns das Elend Afrikas und des Nahen Ostens nichts an. Denn es ist unsere Lebensart, es ist unser Konsum, die dazu beitragen, dass Afrika arm bleibt, dass dort die natürlichen Ressourcen verschwinden und instabile Regierungen dafür sorgen, dass das Leben von Millionen Menschen die Hölle ist.

Der alte, offene und brutale Kolonialismus ist längst einem versteckten Kolonialismus gewichen, in dem internationale Konzerne die Rohstoffe Afrikas plündern.

Und die Bundesrepublik benimmt sich längst wieder so, als könne sie sich freikaufen von den Problemen, die durch unsere Art des Wirtschaftens in der sogenannten „dritten Welt“ entstanden sind – mit „Rückkehrerprämien“ und „Auffanglagern“ zum Beispiel. Das ist altes Kolonialherrendenken, das an den Problemen nichts ändert: fehlenden Infrastrukturen, fehlenden Schulen, fehlenden Arbeitsangeboten.

Der von uns gemachte Klimawandel kommt obendrauf.

Und genau das bringt uns in Verantwortung. So groß ist der Planet nämlich nicht. Er ist winzig klein. Und was garantiert nicht funktionieren wird, ist Donald Trumps Versuch, jetzt wieder die Mauern und Zollschranken hochzuziehen. Jetzt, wo gerade die Menschen in den armen Ländern zuallererst merken, was es heißt, wenn die aufgeheizte Atmosphäre ihre Lebensgrundlagen zerstört. Dafür sind wir verantwortlich.

Und wir können es uns alle nicht mehr leisten, immer wieder derart unverantwortliche alte Männer in Verantwortung zu wählen, denen zu dem Ganzen nichts anderes einfällt als Abschieben, Abwehren, Abriegeln, Abweisen, Abmauern …

Sollen sie in Rente gehen. Von ihnen ist nichts mehr zu erwarten. Wir brauchen junge Leute, die ihre Verantwortung sehen und die Herausforderungen da draußen als echte Herausforderung sehen, die Sache zu reparieren.

Denn die Sache ist kaputt, seit wir da unten mit Knobelbechern rumgelatscht sind. Auch wenn es unsere Herren Großväter und Urgroßväter waren.

Wir sollten lernen, unsere Welt wieder zu reparieren.

Und ich sehe die Politiker nicht, die das wollen. Nur lauter Pfeifen und Feiglinge, die irgendwie am Abschotten und Lagerbauen sind. Niederträchtige, wie sie Arno Widmann nennt, Leute ohne den Mumm eines wirklichen Politikers, der Politik als ein Feld des Machbaren begreift.

Na gut, von denen gibt es wirklich wenige. Die werden ja schon mit Spott überschüttet, wenn sie heute in einer Parteiversammlung auftauchen: Träumer, Visionäre … Schnee von gestern. Niedertracht ist die Tugend der Zeit.

Ich zitiere Max Liebermann nicht.

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