Es geht nicht nur einigen L-IZ-Lesern so, die fast verzweifelt zurückmelden, es sei doch alles ganz schrecklich, man könne nichts mehr machen, man fühle sich so hilflos im Angesicht der Dinge, die da geschehen. Es ist tatsächlich so: Immer mehr Menschen leben mitten in beängstigenden Weltuntergangsphantasien. Aber das hat Ursachen. Unser Gehirn ist ja so leicht zu verführen. Aber ich schätze mal: Ihr Fernseher hilft Ihnen aus der Patsche nicht heraus.

Denn die Sache ist komplex, sie hat auch mit der Funktionsweise unserer Medienwelt zu tun. Und Sie werden kaum ein hochkarätiges oder kleinkariertes Treffen überbezahlter Medienmacher finden, auf dem nicht jeder Guru am Mikrophon predigt, die Währung der Medien von heute sei Reichweite. Und der Reichweite wird dann alles untergeordnet – die Sendungen werden „populärer“, es gibt mehr fun, action und crime, die Nachrichten werden kürzer und immer einfacher formuliert.

Damit glaubt man tatsächlich, mehr auch nicht so denkbegabte Zuschauer erreichen zu können. Aber die Wahrheit ist: Man verkrüppelt die Information, man nimmt ihr die wirkliche und notwendige Komplexität. Man reduziert das Weltgeschehen auf lauter theaterreife Prügeleien von Politikern, Sportlern, Stars und Sternchen, die vor aller Augen lauter Komödien aufführen – aber der Raum für wirklich gute, tiefgründige Recherchen und Hintergrundberichte verschwindet.

Und weil das Jagen nach Reichweite zuallererst von den Algorithmen der „social media“ getrieben wird, lässt man sich von dem Spuk vor sich hertreiben, der dort regiert.

Und da darf man durchaus über ein lesenswertes Interview von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales in der „Zeit“ stolpern, der – mit der Erfahrung der hochengagierten Wikipedia-Community – das, was Mark Zuckerberg bei Facebook treibt, mit höchst kritischem Blick sieht (und sagen Sie jetzt nicht, dass die meisten Untergangsphantasien nicht aus Facebook heraussuppen).

Wales hat zumindest begriffen, wie verheerend die Gier von Facebook auf die Medien in allen Ländern des Nordens wirkt. Denn was Medien leisten können, wird über das Geld definiert.

Aber „Reichweite“ erreicht man nun einmal schnell und billig mit „Clickbaiting“. Es sind die Reichweite-Schinder, die mit schnellen (und oft genug falschen) Nachrichten die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und damit „Reichweite“ produzieren, auch wenn es nur die Reichweite des millionenfachen Starrens auf kleine flackernde Bildschirme ist.

Wales: „Das Finanzierungsmodell ist schon lange am Boden, der finanzielle Druck ist riesig und zwingt selbst qualitativ hochwertige Medien dazu, Clickbaitschlagzeilen zu verfassen. Gleichzeitig weiß ich, dass es eine tolle Gemeinschaft gibt, die mit Leidenschaft Sachverhalte verifiziert. Reiner Bürgerjournalismus beantwortet nicht alle Fragen, es gibt Dinge, für die man professionelle Journalisten braucht.“

Das hat er zum Model für das neue Projekt „WikiTribune“ gemacht.

Aber das ist nur ein Aspekt, aber eben ein wichtiger: Wenn quatschdumme Algorithmen darüber entscheiden, was wichtig ist und worüber möglichst viele Menschen sich aufregen sollen, dann ist der Boden bereitet für Verschwörungstheorien, Lügen, Fakes und Untergangsszenarien. In vielen, viel zu vielen Communitys bei FB herrscht schon lange Armageddon-Stimmung.

Aber die entsteht natürlich nicht von allein. Sie wird gemacht. Hinter jedem Weltuntergangs-Szenario steckt eine Gruppe von Menschen, die genau das wollen: Die Menschen in Panik vorm Jüngsten Gericht treiben.

Im Mittelalter hat das die Kirche selbst am liebsten gemacht und die Angst der Menschen vor der Hölle mit allen Mitteln geschürt.

Heute ist es eher nicht die Kirche, sondern sind es (oft genug fundamentalistische) Gruppierungen, die sehr wohl wollen, dass etwas zu Ende geht: nämlich eine freie und aufgeklärte Welt. Übrigens ein Thema, über das Sonja Zekri in der „Süddeutschen“ schreibt, weil ihr unangenehm aufgefallen ist, wie viele Bücher derzeit ausgerechnet den Untergang der Demokratie prophezeien. Lauter selbsternannte Experten melden sich zu Wort und sprechen der Demokratie die Zukunftsfähigkeit ab.

„Eine eigenartige Lust am Untergang greift um sich, die naiv nennt, was nur vernünftig ist: das Vertrauen in die Durchsetzungsfähigkeit eines Modells, das Winston Churchill ‚die schlechteste aller Staatsformen‘ nannte – ‚ausgenommen alle anderen‘. Bislang hat nichts und niemand diesen Satz widerlegt“, schreibt Zekri.

Aber sie merkt auch an: „Insofern wundert man sich, wie viel Dreck der Demokratie gerade hinterhergeworfen wird, mit wie viel Verve herbeigeschrieben wird, was doch um jeden Preis verhindert werden soll.“

Denn die Quelle dieses Herbeischreibens ist ja bekannt. Wir haben schon mehrfach darüber geschrieben, wie die Neuen Rechten versuchen, ihr Gedankengut in den Mainstream zu drücken – Typen wie Bannon, Trump, aber die deutschen Rechtsgeister nicht ausgenommen. Systematisch malen sie die Bilder von unbeherrschbaren Urgewalten an die Wand und sorgen dafür, dass ihr Vokabular Eingang in den öffentlichen Sprachgebrauch findet – von Flüchtlingswelle über Überfremdung bis hin zu Gutmenschentum und Sprachpolizei usw.

Das sind alles Worte aus einem Sprachgebrauch, der vor allem eins suggeriert: einen als unveränderbar anzusehenden Status quo. Die Dinge sollen sich nicht ändern. Deswegen wird vorgebaut – mit Mauern und Antiflüchtlingsgesetzen.

Aber Zekri bringt das Grundproblem auf den Punkt, wenn sie schreibt: „Autokratien leben von der Gegenwart, die Zukunft ist nicht ihre Stärke.“

Und das gilt eben nicht nur für Putin, Orban und Erdogan, die sich mit lauter Tricks an der Macht halten. Das gilt auch für die heimischen Möchtegern-Autokraten. Denn ihre Rezepte sind nicht nur über 100 Jahre alt und eigentlich nur 1:1 kopiert und ein bisschen aufgehübscht, man lese ruhig einmal Heinrich Manns „Der Untertan“ mit diesem fatalen Helden Diederich Heßling, der alles, was in die Zukunft denkt und die Dinge als veränderlich begreift und behandelt, für blanken Umsturz hält – und vernichten will.

Diederich lebt ganz und gar in der Anbetung der Macht und des So-Seienden. Eigentlich ein Zustand, der nur in Panik und Ängste münden kann, weil dann alles, was sich außerhalb der eigenen Kontrolle verändert, zur Bedrohung wird. In so einer Welt schaukeln sich die Ängste vor Veränderung und Zukunft geradezu auf. Wer die Utopien des Wilhelminischen Reiches aus der Mottenkiste holt, sieht ein ewiges Kaiserreich, in dem nur eines immerfort immer größer und mächtiger wird: die Waffen.

Dass 1914 so viele Deutsche fröhlich in den Krieg zogen, hat auch eine starke psychologische Komponente, weil damit endlich eine Situation aufgelöst wurde, in der alle nur noch das Allerschlimmste erwarteten. Siehe oben: „Autokratien leben von der Gegenwart, die Zukunft ist nicht ihre Stärke.“

Deswegen neigen viele Anbeter der Macht auch zum Kreationismus – nicht nur den Tieren gegenüber, auch der menschlichen Gesellschaft, der Kultur und der eigenen Überlegenheit gegenüber. Sie halten das für einen gottgegebenen Zustand, den es gegen die „niederen Kreaturen“ immerfort zu verteidigen gilt. Schlechte Fantasy lebt gerade von diesem Topos. Ihr Weltbild ist statisch. Deswegen finden sie Polikfelder wie „Ordnung und Sicherheit“ so toll, weil man da aufrüsten kann gegen alles, was als Gefahr für ein mythisch überhöhtes Sein empfunden wird. Deswegen reden sie gern von Dingen wie Werten, „Leitkultur“ und „Abschottung“. Ihr Weltbild ist das einer Burg, in der sich eine „eingeschworene Gemeinschaft“ gegen den Ansturm der wilden Horden wappnet.

Und die Beschlussfassungen der EU genauso wie die der Bundesregierung zeigen, wie weit dieses alte neurechte Denken schon das Denken unserer politischen Eliten bestimmt. Wie wollen aber Politikerinnen und Politiker, die keine Zukunftsvisionen mehr haben und nur noch das jetzt scheinbar Bedrohte zu verteidigen glauben, irgendwelche Hoffnung nähren, es gäbe noch so eine Art Morgen und Übermorgen und viele Millionen Morgen danach?

Dieses „Denken allein im Jetzt“ verkürzt den Blick, sorgt dafür, dass die Zukunft nur noch mit Ängsten besetzt ist, die in der Gegenwart lähmen und immer mehr Menschen verzagen lassen. Denn warum soll man noch irgendetwas tun, wenn es doch morgen schon alles vergeblich ist?

Genau so funktioniert das Denken der Autokraten und derer, die wieder Autokraten ins Amt hieven wollen. Ihre Waffe ist die geschürte Angst – eine doppelte Angst: vor der Zukunft und vor dem „Rest der Welt“, der nur noch als beängstigend wahrgenommen wird. Nicht als Reichtum, was er tatsächlich ist. Autokraten schüren diese Ängste, damit ihre Wähler Angst vor dem Tag haben, an dem sie nicht mehr da sind.

Sie wollen, dass alle Bürger sich von ihrer „väterlichen“ Regierung geborgen, geschützt und abgelenkt fühlen vor den Gefahren da draußen. Und deshalb ihre Selbstbestimmung und Freiheit preisgeben. Das funktioniert immer wieder.

Aber jetzt versuchen eine Menge Leute, genau diese Angst vor der Zukunft tief im Herzen unserer Gesellschaft zu verankern. Wer Angst hat, handelt nicht mehr rational. Wer Angst hat, ruft nach Rettern und Beschützern. Die Macht dieser Art des Denkens darf man nicht unterschätzen. Damit setzen die esoterischen Verlage der Neuen Rechten Millionen um, denn jede neue Untergangsphantasie bestätigt das Weltbild. Die Leser dieser Bücher fühlen sich in ihren Ängsten immer stärker bejaht und finden auch nicht wieder heraus, denn meist sind sie längst in Filterblasen unterwegs, in denen diese Art des Denkens immerfort bestärkt wird.

Das menschliche Gehirn ist ja auf immer neue Bestätigung programmiert. Es lechzt danach. Wenn es erst einmal gefangen ist in einem derart hermetischen Weltbild, dann wird jede Veränderung, jede andere Meinung, jeder andere Handlungsstrang als Bedrohung empfunden. Also wird gefiltert. Wahrgenommen wird nur noch, was das Bild einer statischen, rings von Gefahren bedrohten Burg bestätigt.

Aber wer sich in einem nur noch als unveränderbar gedachten Jetzt verbarrikadiert, hat natürlich keinen Blick mehr dafür, dass Leben in Wirklichkeit immer Veränderung ist, dass jeder Tag hunderte Handlungsvarianten anbietet, dass unsere Zivilisation das Ergebnis von Millionen kleinen Veränderungen ist. Und dass es nun einmal nie die Burgherren waren, die die Welt bewegt haben, sondern die Menschen, die die Burg verlassen haben, Neues ausprobiert und Neues entdeckt haben.

Unvorstellbar, dass das mit einem dieser neurechten Spiegelfechter zu machen ist. Ihr Bild einer autokratischen Welt ist ein Bild von Feiglingen, Schissern und Angsthasen, die sich einbunkern aus lauter Angst vor dem Leben.

Das gefällt Autokraten natürlich: Ein einig Volk lebensfürchtender Schisser.

Die Wirklichkeit setzt eine völlig andere Forderung, daran sei nur noch erinnert: Es gibt verdammt viel zu tun. Packen wir’s an.

Die ganze Serie „Nachdenken über ..“

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