Fast hätte ich geschrieben: „Nachdenken über ... Friedhelm“. Friedhelm ist einer unserer Gelegenheitsleser. Wenn ein Thema ihn aufregt, kommt er vorbei. Und dann liest er gleich noch ein paar andere Artikel. Und dann versucht er seinen Frust mit lauter Leserbriefen loszuwerden, die eigentlich keine sind, sondern eher hingeballerte Kommentare.

Friedhelm schickt uns dann Sachen, die er wahrscheinlich so ähnlich bei anderen Zeitungen einfach so in die Kommentarspalte haut. So etwas zum Beispiel:

„Jede Kritik an der Regierung wird als rechte Hetze bezeichnet. Inhaltliche Diskussionen sind nicht möglich. Täglich gibt es Übergriffe von sogenannten ‚Schutzsuchenden‘ auf andere. Ständig gibt es Forderungen, dass wir uns anpassen sollen (z.B. Halal-Essen in Schule in Hamburg etc.)
Aber all das ist kein Thema.
Wehret den Anfängen gilt auch in Bezug auf diese Dinge.
Oder Chemnitz: Vergleicht mal die mediale Schlammschlacht gegen ‚Rechts‘ mit der vom G20 gegen ‚Links‘. Fällt was auf?
Aber das blendet ihr aus.
Leider.“

Das würde dann wahrscheinlich anderswo gleich wieder ein großes „Hallo!“ und jede Menge Unterstützung bekommen. Hat er sich ja mal getraut, was zu sagen!

Aber was sollen wir dazu sagen? Auch wenn es Friedhelm als Kommentar zum Leserbeitrag „Ein Brandbrief zur aktuellen politischen Lage“ meinte.

Wie kann man in einer Zeitung, wo inhaltliche Diskussionen tagtäglich passieren, schreiben „Inhaltliche Diskussionen sind nicht möglich“?

Wieso wirft man gerade uns vor, dass jede Kritik an der Regierung als rechte Hetze bezeichnet wird? Hallo? Wo leben Sie denn, Herr Friedhelm?

Ich kenne weit und breit keine seriöse Zeitung in Sachsen, die die Regierung beharrlicher und faktenreicher kritisiert als diese. Nicht nur die in Berlin, auch die in Dresden. Das ist unser täglich Brot. Und manchmal ärgern sich auch ein paar Regierungsvertreter gewaltig darüber. Weil die Kritik in der Regel stimmt. Weil die Fakten stimmen. Weil wir wirkliche Fehler und Fehlentwicklungen kritisieren.

Aber wir leben nicht in der Blase. Wir sehen in den von Ihnen in Gänsefüßchen gesetzten „Schutzsuchenden“ nicht die Verursacher aller Miseren. Schon gar nicht die Hauptverursacher. Und ich bin mir sicher, wenn wir uns darüber unterhalten würden, würden auch Sie mir zustimmen, dass die wirklichen Ärgernisse, die Sie direkt betreffen, mit „Schutzsuchenden“ gar nichts zu tun haben. Sie erfahren davon in der Regel nur durch alle möglichen Medien. Und da Sie von „medialer Schlammschlacht“ schreiben, gehe ich davon aus, dass Sie sich alle Nachrichten dazu regelrecht reinziehen.

Das hat etwas mit Ihrem Medienverhalten zu tun. Sie sind augenscheinlich von diesem Lärm – den wir in der L-IZ ja nun sichtlich nur sehr zurückhaltend aufnehmen – irgendwie berauscht, scheint mir. Also eigentlich Teil der „Schlammschlacht“. Denn wenn nicht so viele Leute gierig nach diesem Zeug wären, würden die meisten Medien darüber nicht so exzessiv und plakativ berichten. Sondern ruhiger. Zurückhaltender, mit mehr Aufmerksamkeit für die Hintergründe, die Arbeit der Ermittler, die Sorgen der Beteiligten usw.

Aber solche „Schlachten“ werden ja inszeniert, weil man damit die meisten Friedhelme so richtig in Aufregung versetzen kann.

Genauso wie mit einer Geschichte über eine Hamburger Schule, wo es in der Schulspeisung Halal-Essen geben soll.

Na und?

Im Kern ist “halal” in Bezug auf Ernährung vor allem auf Fleisch eine Vorgabe – wie auch die Thora von “koscher” spricht – des in einer heißen Vegetationszone entstandenen Koran, möglichst keine Tiere zu essen, die “unrein” sind. Dazu gehört Aas, also bereits verendete Tiere aufzusammeln und zu essen. Braten Sie sich eine tot am Wegesrand liegende Stadttaube zum Mittag? Es ist eine Art Hygienevorschrift, welche auch (Achtung, bei 40 Grad im Schatten) den Verzehr von Tierblut verbietet und das gern in kälteren Regionen stationär gehaltene oder eher durch deutsche Wälder rammelndes Schwein verbietet, weil es sich wortwörtlich im Dreck wälzt.

Es geht also um Krankheiten, die man vermeiden möchte. Und entgegen landläufiger (antimuslimischer, und so auch antijüdischer) Propaganda ist auch die Betäubung vor dem Schächten erlaubt. Dagegen steht unser Bolzenschussgerät und industrielle Schlachtfabriken, in welchen man das Verenden von Tieren nur nicht mehr sieht. Und die praktisch jährlich neue Lebensmittelskandale hervorbringen.

Da muss man schon ein sehr verdreht-verängstigtes Geschöpf sein, um also aus “halal” die Befürchtung zu konstruieren, wir müssten jetzt zudem alle halal essen oder noch schlimmer, verstehen, was es bedeutet. Dennoch: ist bei Ihnen schon jemand aufgetaucht, der Ihnen das abverlangt? Der Ihnen gar ihr schönes deutsches Sauerkraut mit Würstchen (ein verarbeitetes Tier, dessen Tod Sie nicht gesehen haben) verbietet?

Ich vermute mal: Sie lesen sehr viel. Und alles wild durcheinander. So, wie es reinkommt. Unsortiert. Aber alles mit dicken Ausrufezeichen, sodass das Halal-Essen in einer Hamburger Schule gleich neben den Berichten über Chemnitz steht.

Und dann landen Sie mal wieder bei uns und stolpern über einen Artikel, der sie ebenfalls ganz fürchterlich aufregt – und Sie vermengen das, was sie anderswo aufgeregt hat, mit dem, was Sie bei uns finden.

Wie gesagt: Was sollen wir damit anfangen?

Die Regierung noch mehr kritisieren? Keine Sorge. Das machen wir – aber anders, als Sie das erwarten. Aber das ist nur so eine Vermutung, weil Sie meinen, wir würden eine „Schlammschlacht gegen ‚Rechts‘“ gutheißen oder machen. So recht ist ja ihrem Kommentar nicht zu entnehmen, was wir da wirklich tun sollen.

Aber eins kann ich Ihnen sagen: Einen solchen plakativen Missbrauch eines tragischen Todes, wie er in Chemnitz von den Ihnen so vertrauten „Rechten“ praktiziert wurde, werde ich auch in 100 Jahren nicht gutheißen. Ich finde so etwas anmaßend, peinlich und dreist. Schon dafür hätte ich, wenn mir nach Schlammschlachten gewesen wäre, jede bekannte Nase in diesem seltsamen Trauermarsch so richtig hopp genommen. Aber so richtig.

Und auch die Freunde des Getöteten haben sich deutlich gegen diese Anmaßung und Einvernahme ausgesprochen.

Vielleicht ist es das, was Sie so aufregt: Dass Sie glauben, sich für alles, was in dieser Welt passiert, irgendwie verantwortlich fühlen zu müssen, immerfort irgendwie Partei ergreifen zu müssen und zu erwarten, dass Sie dafür auch noch medial gebauchmiezelt werden.

Wie kommen Sie dazu?

Wir müssen solche Anmaßungen nicht goutieren. Diese scheinheilige Trauermarschiererei war anmaßend und arrogant.

Und bevor wir das vergessen: Diese Scheinheiligkeit war organisiert und inszeniert. Hier wollte jemand ganz viel mediale Aufmerksamkeit – und zwar genau mit der Aufregung, die Sie nun feststellen.

Lassen Sie sich doch von solchen Aufmerksamkeitsstrategien nicht immer ins Bockshorn jagen. Nehmen Sie sich einfach ein Stück weit zurück: Muss man sich über Halal-Essen an einer Hamburger Schule aufregen? Bei nüchterner Betrachtung: Nein. Das ist einfach viel zu weit weg. Oder Sie beginnen nach den Ursprüngen zu suchen, verbringen Zeit mit Tiefe statt Geschrei.

Wobei mich an solchen Geschichten immer interessiert: Wie schmeckt das wirklich? Kann man das irgendwo mal probieren? Ist ja in Leipzig leicht zu machen. Bin ich aber noch nicht dazu gekommen. Ich sitze ja immer hier – ohne Halal-Essen, dafür mit jeder Menge Kaffee im Körper und versuche zu verstehen, warum sich die Friedhelme in dieser Welt so über Dinge aufregen, die mit ihrem eigenen Leben überhaupt nichts zu tun haben. Denn – das müssen Sie zugeben – Sie selbst kommen als Person, als Mensch und Lebendiger in Ihrer Wortmeldung überhaupt nicht vor.

Kann es sein, dass Sie so außer sich sind, dass Sie sich selbst verloren haben?

Nur mal so als Frage.

Die Serie „Nachdenken über …“

Leserbeitrag: Ein Brandbrief zur aktuellen politischen Lage

Leserbeitrag: Ein Brandbrief zur aktuellen politischen Lage

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