Wenn die Bundesregierung sich mal wieder an die Friedliche Revolution erinnert, dann rückt fast immer der 9. November 1989 in den Mittelpunkt, der Tag, an dem „die Mauer fiel“. Aber das ist gerade aus Sicht der Bürgerrechtler nicht der Tag, der allein im Zentrum stehen sollte. Denn viel wichtiger war der 9. Oktober. Deshalb haben sie jetzt gemeinsam einen Offenen Brief an das Bundesministerium des Inneren geschrieben. Dort ist die Kommission angesiedelt.

Namhafte Bürgerrechtler und ehemalige DDR-Dissidenten fordern in ihrem Offenen Brief die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Entwicklung des Jubiläums zu dreißig Jahren Friedlicher Revolution auf, den Beginn der Feierlichkeiten nicht auf den 9. November, sondern auf den 9. Oktober zu datieren. Die Kommission tagt an diesem Wochenende, um über das weitere Konzept zu beraten.

Der 9. Oktober 1989 sei ein „Tag der Entscheidung“ gewesen, an dem die Ostdeutschen zu Tausenden auf die Straße gingen und sich selbst befreiten. Der Mauerfall und auch die Deutsche Einheit seien ohne die Demonstrationen vom 9. Oktober nicht möglich gewesen. Darüber hinaus sollten DDR-Bürgerrechtler und Opfer des SED-Regimes in die Konzeption des Jubiläums miteinbezogen werden.

Und dann benennt der Brief noch etwas Wichtiges: Außerdem sei die Fokussierung auf den 9. Oktober 2019 als zentralen Tag der Jubiläumsfeierlichkeiten auch ein Beitrag zur Stärkung der ostdeutschen Zivilgesellschaft, da er die Leistungen der Ostdeutschen in der Friedlichen Revolution und dem darauffolgenden Transformationsprozess anerkenne.

Denn mit dem Mauerfall am 9. November wird nun einmal vor allem der deutsch-deutsche Einigungsprozess in Verbindung gebracht. Er ist selbst ein markantes Ergebnis der Umwälzungen, die mit dem friedlich verlaufenden 9. Oktober in Leipzig begannen. Mit der Fokussierung auf den 9. November geriet auch ein ganz zentraler Anspruch der Leipziger Demonstrationen zunehmend aus dem Blickfeld: Dass eine freie Gesellschaft auch souveräne Bürger braucht, die nicht immer nur erwarten, dass „die da oben“ die richtige Politik machen.

Im Brief liest sich das so: „,Für ein offenes Land mit freien Menschen‘, so forderte es eines der ersten Transparente im Leipziger Herbst 89. Da gibt es gemeinsam noch eine Menge zu tun. Der Einsatz für eine offene und demokratische Gesellschaft, in der sich Menschen in ihrer Vielfalt mit Respekt und Toleranz begegnen, in der ein freier Diskurs möglich ist, ohne beleidigt, beschimpft oder gar bedroht zu werden, verlangt auch heute Mut und Courage – überall in Deutschland.“

Es gilt also auch daran zu erinnern, dass es für eine Demokratie mutige Menschen braucht. Und dass man das auch würdigen sollte, auch als Teil einer gemeinsamen Geschichte. Im Brief heißt es dazu: „Wenn Sie, sehr geehrte Kommissionsmitglieder, den 9. Oktober in den Mittelpunkt der Feierlichkeiten rücken, fördern Sie damit auch die lebendige Demokratie in den ostdeutschen Bundesländern. Denn mit der Anerkennung dessen, was ostdeutsche Frauen und Männer in der Friedlichen Revolution und im anschließenden Transformationsprozess bis heute leisten und einbringen, wird die Zivilgesellschaft im Osten Deutschlands weiter gestärkt.“

Der Offene Brief.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar