Das kam bei den Gewerkschaftsmitgliedern im Betrieb gar nicht gut an, dass die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) noch am Vortag des Streiks vom 1. und 2. März versuchten, diesen Streik gerichtlich untersagen zu lassen. Auch mit dem Blick auf die Verkehrswende, die natürlich ohne einen funktionierenden ÖPNV nicht vorankommt. Aber einen funktionierenden ÖPNV gibt es nun einmal nur mit motiviertem Fahrpersonal. Schon länger haben die LVB Probleme, genug Fahrerinnen und Fahrer zu rekrutieren.

Was natürlich mit dem um sich greifenden Mangel an Arbeitskräften zu tun hat. Längst stehen auch die kommunalen Verkehrsunternehmen in einem harten Wettbewerb mit Arbeitgebern aller Branchen um die verfügbaren Fachkräfte.

Und der Mangel macht sich eben auch in der eigenen Belegschaft bemerkbar – mit immer mehr Überstunden und vielen Krankheitsausfällen. Jetzt zeigt sich auch immer deutlicher, dass am deutschen ÖPNV in der Vergangenheit massiv gespart wurde – am Personal selbst, aber auch an der Vergütung und an den Investitionsmitteln. Was in der großen Politik natürlich immer einen wesentlichen Grund hatte: Bundesverkehrsminister wollten nie eine Verkehrswende. Sie steckten das Geld lieber in neue Autobahnen.

Doch diese verfehlte ÖPNV-Politik kommt an ihre Grenzen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der LVB streiken eben auch um Arbeitsbedingungen, die ihren Job künftig erleichtern. Und sie waren ja nicht allein. In ganz Deutschland wurde der ÖPNV „in Wellen“ bestreikt, weil sich überall die Probleme gehäuft haben.

Die LVB haben sich mit ihrem Versuch, den Leipziger Streik vom Gericht untersagen zu lassen, in eine zusätzlich schwere Verhandlungsposition gebracht. Denn die Gewerkschaftsmitglieder im Unternehmen sind richtig sauer.

Mehr dazu lesen Sie in unserem Beitrag vom 29. März zum Streik und zur Position der LVB.

Die ver.di-Mitarbeiter haben jetzt extra einen Offenen Brief geschrieben, veröffentlicht auf der Homepage von ver.di, um ihre Position in den Verhandlungen mit den LVB deutlich zu machen.

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Offener Brief der LVB Betriebsgruppe als Reaktion auf Schreiben der Geschäftsführung und Versuche, die Streiks zu unterbinden

Sehr geehrte LVB-Geschäftsführung,

überrascht und verärgert verfolgen wir Ihre Entscheidungen der letzten Wochen.

Nochmal zusammengefasst: Zuerst sagte der KAV (Kommunaler Arbeitgeberverband, d. Red.) die Verhandlung mit unserer Tarifkommission kurzfristig ab. Den darauffolgenden Streik haben Sie versucht, mit einer Verfügung zu verhindern. Als das nicht erfolgreich war, ließen Sie am ersten Streiktag die Streikbrecher ausrücken. Im Laufe des Nachmittags mussten Sie den Verkehr jedoch einstellen. Wir sehen in den von Ihnen eingeleiteten Schritte eine Zäsur in der Zusammenarbeit.

Nicht zufrieden damit, diese Schritte unkommentiert zu lassen, schickten Sie über das Intranet der LVB eine Nachricht an alle Kolleg*innen, in der Sie Ihre Klage gegen den Streik, sowie die Absage der Verhandlung, mit erstaunlich plumpen Argumenten rechtfertigen. Diese können wir nicht so stehen lassen.

Beginnen wir mit der Absage der Verhandlungen am 28.02. Da die Tarifverträge des ÖPNVs in mehreren Bundesländern zur gleichen Zeit verhandelt werden, hat ver.di bundesweit Aktionstage am 01.03. und 02.03. ausgerufen. In anderen Bundesländern wurde bereits vor dem 28.02. für diese Tage zum Streik aufgerufen, da hier schon die Verhandlungsrunden erfolgt waren.

In Sachsen war dies nicht der Fall, hier wurde bewusst auf die Ergebnisse der Verhandlung gewartet. Im Saarland konnten beispielsweise weitere Streiks durch ein gutes Angebot der Arbeitgeber verhindert werden. Bei einem entsprechenden Angebot hätten auch in Sachsen die Streiks nicht stattgefunden – dies kam von Ihnen aber nie.

Stattdessen haben Sie versucht, die Streiks als Bedrohung für die Verkehrswende darzustellen. Angeblich würden bessere Arbeitsbedingungen die Finanzierung gefährden. Wir können dem nur entgegnen, dass schlechte Arbeitsbedingungen und geringe Löhne ein sicherer Weg sind, die Verkehrswende zu blockieren. Denn dies führt zu Personalschwund und hohen Krankenständen und damit zu Taktausdünnung und letztendlich auch der Streichung ganzer Linien aus dem Fahrplan.

So rückt ein Ausbau des ÖPNV in weite Ferne. Unser Erfolg in der Tarifrunde im öffentlichen Dienst im Jahr 2023 zeigt, dass ein höherer Lohn den Fahrer*innenberuf deutlich attraktiver macht. Die stark gestiegenen Bewerbungszahlen seit dem Abschluss des Tarifvertrags belegen das. An der Stelle muss angemerkt werden, dass wir uns diese Erhöhung, mit der Sie jetzt neue Fachkräfte werben, damals auch hart von Ihnen erkämpfen mussten.

In Ihrem Schreiben sagen Sie, die gestiegene Kosten durch bessere Arbeitsbedingungen ließen sich nur durch Preissteigerungen für Fahrgäste erreichen. Seit Jahren versuchen Sie schon, unsere Fahrgäste gegen uns aufzubringen. Sie verschweigen dabei, dass höhere Kosten auch durch den Staatshaushalt übernommen werden können, wie es im Fall der Lohnsteigerungen durch den TVöD geschehen ist.

Dabei ist es im Interesse der Fahrgäste, dass sich die Bedingungen für uns verbessern. Was sind ein oder zwei Tage, an denen Busse und Bahn nicht fahren, gegen den Normalzustand von immer mehr Ausfällen, Verspätungen und Linienstreichungen? Das von Ihnen angestrebte Weiter-So ist dafür das Patentrezept. Sollte sich der Personalschwund ungebremst fortsetzen, wird es in Zukunft keine Streiks mehr brauchen. Die Fahrgäste werden von ihrem ÖPNV ohnehin nichts mehr zu sehen bekommen.

Das Tuch zerschnitten haben Sie aber endgültig mit ihrem erfolglosen Versuch, den Streik vor Gericht zu verbieten. Sie reden gerne von Demokratie und einem liberalen Miteinander. Mit ihrem Angriff auf unseren Streik stellen Sie sich auf den Standpunkt eines eingeschränkten Streikrechts in Deutschland, das größtenteils auf Richtersprüchen fußt, die im internationalen Vergleich besonders repressiv sind und deren Ursprünge vor der Gründung der Bundesrepublik liegen.

Wie wenig Sie sich für die demokratische Mitbestimmung von uns Beschäftigten interessieren, haben Sie dann am Freitag auch deutlich gemacht. Um den Streik zu brechen, haben Sie Kolleg*innen unter Missachtung der geltenden Arbeitszeitgesetze auf die Straße geschickt. Sie haben sich zunutze gemacht, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats während des Streiks ausgesetzt ist.

Aus dem Ganzen ziehen wir das Fazit: Nachdem in der ersten Verhandlungsrunde auf keine einzige unserer Forderungen zur Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen eingegangen wurde, haben Sie zusammen mit dem KAV die Auseinandersetzung in drei Schritten extrem verschärft:

Im ersten Schritt haben Sie die Verhandlung unter einem billigen Vorwand abgesagt.

Im zweiten Schritt haben Sie unseren Streik juristisch attackiert und gerichtlich zu verbieten versucht.
Im dritten Schritt haben Sie unter Missachtung der Arbeitszeitgesetze und dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats Kolleg*innen als Streikbrecher eingesetzt.

Es werden keine Mühen und Kosten gespart, wenn es darum geht, die eigenen Beschäftigten daran zu hindern, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wir wären froh, würden Sie die gleichen Mühen und Gelder stattdessen in Zukunft dafür aufbringen, langfristige Verbesserungen herbeizuführen – um einen ÖPNV zu ermöglichen, der uns Beschäftigten, den Fahrgästen, und dem Klima gleichermaßen zugutekommt.

Mit freundlichen Grüßen
ver.di Betriebsgruppe LVB

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Es gibt 2 Kommentare

Ich denke, dass die Gewerkschaften Streiks im Wesentlichen für die Dinge ausrufen sollten, die sich in einen Tarifvertrag gießen lassen. Wenn auf der einen Seite unternehmenspolitische Dinge wie “Attraktivität des Berufes”, in dem Fall anscheinend der Innenfahrerberuf, als Argument für den Streik herangezogen werden, dann kann man auch Rückfragen wie “Woher sollen denn die hunderte neuen Lokführer kommen, die bei der Bahn mit der Arbeitszeitsenkung auf 35 Stunden nötig sind?” wegwischen mit einem lapidaren Verweis auf andere Zuständigkeiten (“Für Personalrekrutierung ist das Unternehmen zuständig, nicht wir”). Entweder bleibt man bei den eigenen Zuständigkeiten, oder man trägt dann auch komplett die Verantwortung.

Auch Sachen wie zerschnittene Tücher, zu große Vorstandsgehälter oder das marode Schienensystem sind alles Ablenkungsmanöver / Aushilfsargumente. Es geht um die Kohle, Punkt aus. Arbeitszeit kann man als Lokführer schon jetzt senken, allerdings gibts dann natürlich auch weniger Geld. Also lassen wir doch die Nebenkriegsschauplätze einfach weg, vonwegen die Zeitbelastung wäre zu groß. Wem es zu viel ist, der kann etwas ändern. Konnten auch wir schon lange bei uns, dennoch wurde auf 35 Stunden gegangen, “im Sinne der Gerechtigkeit Ost-West”.

Und im ÖPNV wird der Arbeitskampf – so heißt das doch noch, oder? – natürlich von beiden Seiten aus mit allen Mitteln geführt. Der Arbeitgeberseite vorzuwerfen, sie nütze die ihrigen Mittel, und dabei auf das Menschelnde der Tischtücher zurückzugreifen, ist nicht ganz ernst zu nehmen. Und nicht nur bei Amazon, wo die Gewerkschaft schon Jahre versucht ihr seltsames Spiel zu treiben (Einzelhandel vs. Logistiktarif), stehen nicht alle Kollegen hinter den Streiks. Logisch, dass demzufolge auch Manche arbeiten gehen und Teile des Betriebs aufrecht erhalten. Zum Glück.

Naja, auch das gerichtliche Vorgehen gegen einen Streik ist ja ein demokratisches Element.
Es ist recht undemokratisch, anderen die demokratischen Möglichkeiten abzusprechen, nur weil einem das mögliche Ergebnis nicht passt.

In der eigentlichen Sache bin ich jedoch bei den Mitarbeitern, die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden, sonst macht den Job bald keiner mehr.

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