Am Montag, 12. August, haben wir uns ja etwas kritischer mit der neuesten „Studie“ des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zu den „abgehängten Regionen“ Deutschlands beschäftigt. Am selben Tag stellte der Neuland 21 e. V. in Berlin seine Studie vor, wie man die Dörfer abseits der urbanen Zentren vielleicht retten könnte. Denn eins ist Fakt: Mit den üblichen alten Gießkannen funktioniert das nicht. Die ländlichen Räume müssen sich völlig neu erfinden.

Neuland 21 hat sich im Auftrag des Berlin-Instituts mit den Entwicklungen beschäftigt, die es heute schon gibt. Auch in Ostdeutschland. Hier kämpfen vor allem ländliche Gebiete fern der Großstädte mit Abwanderung und einem anhaltenden Bevölkerungsrückgang. Dieser Trend lässt sich nur stoppen, wenn die Dörfer sich neu erfinden und ein urbanes Klientel für sich begeistern. Seit Kurzem erprobt auch hier eine kreative urbane Szene mit innovativen Wohn- und Arbeitsprojekten, wie sich neue Formen digitaler Arbeit mit dem Landleben verbinden lassen.

Bislang zeigt sich in vielen entlegenen Landstrichen im Osten das gleiche Bild: Dörfer und Kleinstädte erleben einen schleichenden Bevölkerungsschwund, die Bevölkerung altert stark und die Orte verlieren weiter an Attraktivität. Was aber können diese Regionen tun, um den Abwärtstrend zu stoppen und sich dem Sog der Großstädte entgegenzustemmen? Diese Frage beschäftigt betroffene Kommunen und vermehrt auch die Bundespolitik.

Sicher ist, dass Dörfer ein eigenes Profil auf Basis ihrer Vorteile – Naturnähe, mehr Freiräume, günstiger Wohnraum – gegenüber der Stadt entwickeln müssen.

„Das neue Dorf lässt sich allerdings nicht am Reißbrett erfinden,“ meint Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. „Lebenswerte Orte entstehen dort, wo sich Menschen mit neuen Ideen und Projekten ans Werk machen und eine Perspektive für sich und andere schaffen.“

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und der Think Tank Neuland 21 haben 18 solcher Projekte untersucht und die Ergebnisse in der Studie „Urbane Dörfer – wie digitales Arbeiten Städter aufs Land bringen kann“ zusammengefasst.

Die Projekte zeigen, wie das Landleben neuerdings in den Fokus eines traditionell urban geprägten Milieus rückt: Stadtmüde treffen sich auf sogenannten Meetups und besprechen, wie sich flexible Formen digitalen Arbeitens mit einem Leben fernab der Großstädte verbinden lassen.

„Dass nun junge Kreative und digital affine Städter das Land für sich entdecken, birgt für demografisch angeschlagene Regionen eine große Chance“, sagt Silvia Hennig, Gründerin von Neuland 21. „Sie entwickeln und erproben in den Dörfern und Kleinstädten gemeinschaftliche Wohnformen und innovative Arbeitsmodelle. Damit könnten sie Pioniere einer neuen Bewegung sein, die mit digitalen Ideen das Leben auf dem Land wieder für mehr Menschen attraktiv machen.“

Digitale Arbeit als Umzugshelfer

Viele der neuen Landbewohner arbeiten in Wissens- und Kreativberufen – von den klassischen Digitalarbeitern wie Programmierern und Grafikdesignern über Architekten und Journalisten, bis hin zu Sozialwissenschaftlern oder Kulturmanagern. Sie können örtlich flexibel ihrem Job nachgehen – also auch vom heimischen Computer auf dem Land aus. Doch sie wollen nicht jeden Tag allein am eigenen Schreibtisch arbeiten, sondern suchen den Kontakt zu Gleichgesinnten.

„Die ländlichen Digitalarbeiter bringen ein Raumkonzept aus den Städten mit aufs Land: Coworking Spaces,“ sagt Silvia Hennig. „Wie in der Stadt können sich hier Freiberufler und Selbstständige vorübergehend Schreibtische mieten, um gemeinschaftlich zu arbeiten.“

Dörfliche Wohnprojekte in Ostdeutschland. Karte: Berlin Institut
Karte: Berlin Institut

Einige dieser Coworking Spaces entstehen sogar mit angeschlossenen Unterkünften. Hier können sich gestresste Stadtbewohner während längerer Aufenthalte in einer ruhigen Umgebung auf die Arbeit konzentrieren. „Das lockt nicht nur Besucher in den Ort, sondern schafft auch Arbeitsplätze und bringt Geld in die Kassen der Projekte,“ sagt Manuel Slupina, Mitautor der Studie.

In der Mitte und nicht am Rand

Die Wohn- und Arbeitsprojekte zieht es in der Regel nicht in Neubauten am Stadt- oder Dorfrand. Die Umzugswilligen interessieren sich eher für alte und baufällige Gebäude in der Ortsmitte. Sie verwirklichen ihre Ideen in stillgelegten Fabriken und Mühlen, Krankenhäusern und Berufsschulen, Klosteranlagen und Landgütern.

„Sie bringen frisches Leben in Gebäude, die mitunter lange leerstanden und die Ortskerne verschandelt haben,“ sagt Manuel Slupina. „Sie wirken damit einem der drängendsten Probleme ländlicher Räume entgegen: dem Entstehen von sogenannten Donut-Dörfern.“ Dieses Phänomen, bei dem die Ortskerne verfallen, während am Ortsrand die Neubaugebiete wuchern, lässt sich in Deutschland nahezu flächendeckend beobachten.

„Auch wenn die neue Landbewegung den entlegenen Regionen nicht überall aus der Misere helfen wird, wäre die Politik gut beraten, die Motive und Bedürfnisse der jungen Landlustigen besser kennenzulernen,“ sagt Reiner Klingholz, „gerade jetzt, da sie ein neues Interesse an einem Ausgleich zwischen Stadt und Land gefunden hat.“

Denn die Stadt-Land-Wanderer bringen nicht nur Einwohner, Steuer- und Gebührenzahler aufs Land, sondern auch neue Ideen: Sie suchen nach Möglichkeiten, wie man auch ohne Auto auf dem Dorf mobil bleiben kann, denken über Hofläden zur Verbesserung der Nahversorgung nach, eröffnen Galerien und organisieren Festivals. Vor allem aber schaffen sie digitale Inseln, die einen Weg zum Dorf der Zukunft weisen und dabei zu demografischen Steckwürfeln in der Peripherie werden können.

Die Politik sollte diese Pioniere unterstützen und sie von bürokratischen Hürden entlasten, formuliert das Berlin-Institut. Vor allem müsse sie den ländlichen Raum endlich flächendeckend mit einem schnellen Internetzugang versorgen. Denn ohne ein leistungsfähiges Kabel haben die Dörfer im Wettbewerb um Einwohner gegenüber den Städten keine Chance.

Die Studie betont zwar die zentrale Rolle Berlins bei der Gründung vieler solcher Projekte rund um die Landeshauptstadt. Aber auch um Leipzig tut sich schon etwas – so wird etwa das Projekt Schwarzgestein im Leipziger Norden erwähnt, das Kloster Posa bei Zeitz oder der Lebensraum Röblingen im Seegebiet Mansfelder Land.

Wobei das alles nach wie vor erst punktuelle Ansätze sind, noch keine Vision, wie man ganze Dörfer wirklich neu erfinden und strukturieren kann (und muss), dass sie als Lebensort attraktiv bleiben. Das betrifft dann eher ein komplettes Programm an Infrastrukturen, die es erleichtern, auch weitab der Metropolen ein modernes Leben zu führen und einer anspruchsvollen Arbeit nachzugehen.

Wie man Verliererregionen definiert und daraus Sonderwünsche für neue Bundesförderprogramme für die Industrie macht

Wie man Verliererregionen definiert und daraus Sonderwünsche für neue Bundesförderprogramme für die Industrie macht

Die Studie wurde gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie.

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