In den Supermärkten gibt es seit einigen Wochen Lebkuchen und Spekulatius zu kaufen, und in Leipzig zogen heute bereits Weihnachtsmänner und -frauen durch die Straßen: Etwa 300 Gebäudereiniger der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), viele von ihnen mit roter Zipfelmütze, versammelten sich gegen 11 Uhr auf dem Augustusplatz, um für bessere Arbeitsbedingungen in der Reinigungsbranche zu demonstrieren. Die Hauptforderung: Ein tariflich vereinbartes Weihnachtsgeld für die Arbeitskräfte.

„Für viele von uns ist am Ende des Geldes noch zu viel Monat übrig“, prangert ein Gewerkschaftsmitglied auf dem Demo-Fahrzeug an. „Und unseren Kindern und Enkeln können wir im Dezember keine Geschenke kaufen.“ Neben ihm fährt eine kleine Nordmanntanne auf dem Fahrzeug mit, auf deren symbolischen Papierweihnachtskugeln Forderungen wie „Volle Zuschläge“, „7-Tage-Woche Nein“ oder „Respekt der Reinigerbranche“ stehen.

Seit gestern befinden sich die Gebäudereiniger der IG BAU deutschlandweit in einem 48-stündigen Warnstreik, für heute hatte die Gewerkschaft einen Demonstrationszug mit 400 Teilnehmern in der Leipziger Innenstadt angemeldet. Dem Aufruf folgten zwischen 280 und 320 Menschen aus Mitteldeutschland, zum Beispiel aus Magdeburg, Erfurt, Leipzig, Halle und Bernburg. Anlass ist die anstehende Tarifverhandlung am 30. September – im April hatte der Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks (BIV) den bisherigen Manteltarifvertrag, umgangssprachlich auch Rahmentarifvertrag genannt, zu Ende Juli gekündigt.

Grund für die Kündigung war ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts, nach dem auch Teilzeitbeschäftigte Anspruch auf Überstundenzuschläge haben.

Video: L-IZ.de / Luise Mosig

Der geplatzte Rahmentarifvertrag definierte Mehrarbeit erst ab einer Arbeitszeit von über 39 Stunden pro Woche beziehungsweise acht Stunden pro Werktag, auf die Teilzeitbeschäftigte in der Regel nie kommen können. Etwa 80 Prozent der Arbeitnehmer in der Reinigungsbranche sind teilzeitbeschäftigt. Seit dem 15. August treffen sich Gewerkschaft und Arbeitgeberverband BIV zu Tarifverhandlungen, das Gespräch am Montag ist bereits das sechste, bisher ohne Ergebnis.

Kurz vor halb 12 setzt sich der Demonstrationszug vom Augustusplatz über den Johannisplatz und die Talstraße mit dem Ziel Universitätsklinikum in Bewegung. Die streikenden Teilnehmer sind gleichermaßen Männer und Frauen, der Großteil von ihnen zwischen 40 und 60 Jahre alt. Sie tragen neonfarbene Warnwesten, rot-weiße IG-BAU-Fahnen, Tröten und Schirmmützen. Auf ihren Plakaten stehen Sprüche wie „Sauberkeit braucht ihre Zeit“, „Respect for Cleaners“ und „Für Kunden ein Held, in Zukunft nur mit Weihnachtsgeld“.

Unter ihnen sind Kerstin Peters und Heike Borchert, beide um die 50. Sie haben 20 Tage Urlaub im Jahr. Peters wohnt in Magdeburg und arbeitet seit 1986 in der Reinigungsbranche. Sie hat in der DDR eine Ausbildung zur Kernformerin gemacht, „doch dann kam der Westen, und da arbeiteten nur Männer in solchen Berufen“. Weil sie ihr behindertes Kind pflegen musste, kam Schichtarbeit für sie nicht mehr in Frage, und so nahm sie einen Job als Reinigungskraft an. „Das Problem ist: Einmal Reinigung, immer Reinigung“, sagt Peters.

„Wenn du einmal in der Branche arbeitest, vermittelt dir das Jobcenter nix anderes mehr.“ Gesucht würden Reinigungskräfte ja sowieso immer, und so habe das Arbeitsamt immer ein Argument.

Heike Borchert, die in einer Dosenfabrik Büros, Umkleiden und Duschen putzt, nickt und klagt ebenfalls über die Stigmatisierung der Gebäudereiniger. „Alle denken, wir sind dumm und behandeln uns dementsprechend. Dabei haben viele von uns eine abgeschlossene Ausbildung.“ Durch die Hitze der Maschinen putzt sie im Winter bei etwa 30 Grad, im Sommer bei bis zu 50 Grad Celsius bei starkem Geräuschpegel. „Und die Leute in den Ämtern bekommen ab Juni hitzefrei“, merkt Peters an.

Auch der Gewerkschaftssprecher macht deutlich, dass faire Gehälter und Urlaubskonditionen mit einer Wertschätzung des Berufs einhergehen: „Gebäudereinigung ist ein Ausbildungsberuf, viele von uns haben drei Jahre lang gelernt und werden jetzt mit Mindestlohn abgespeist. Das ist ein Skandal“, ruft er ins Mikrofon; aus den Boxen schallt Rick Astleys „Never Gonna Give You Up“.

Zur Abschlusskundgebung vor der Uniklinik spricht nach einem Fridays-For-Future-Aktivisten auch Mirko Hawighorst, Regionalleiter der IG BAU in Mitteldeutschland. Er rechne nicht mit einem Ergebnis am 30. September und fordert die Streikenden gerade deshalb auf, „stärker zu werden und Druck aufzubauen“. Noch einmal fasst er zusammen, was die Gewerkschaft neben dem Weihnachtsgeld von einem neuen Tarifvertrag erwartet: 30 Tage Urlaub, Eingruppierungsmerkmale bei den Gehältern – um Erfahrung und Qualifikation zu vergüten –, keine Verschlechterung bei Zuschlägen und eine faire Regelung bei Arbeit auf Abruf.

„Es gibt zwar ein Gesetz, das eine Ankündigungsfrist von vier Tagen vorschreibt, doch wir alle wissen ja, wie es läuft: Abends bekommt man gesagt, wo man am nächsten Tag arbeiten muss. Und wohin dann so schnell mit den Kindern?“, beklagt Hawighorst. Der aktuell gültige Tarifvertrag aus dem Jahr 2000 sei nicht mehr zeitgemäß.

Sollten die laufenden Verhandlungen scheitern, droht die IG BAU mit einem bundesweiten Streik.

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