Die Corona-Krise setzt momentan vielen zu, zahlreiche Menschen stehen am Rande der Existenz. Was aber passiert in Zeiten von „social distancing“ (soziale Distanz) und Kontaktverboten mit denjenigen, die nicht mal ein Dach über dem Kopf haben? Einige Tagestreffs für obdachlose Menschen in Leipzig, wie die INSEL und die Oase, mussten aufgrund der Ausgangsbeschränkungen ihre Arbeit bereits vorerst einstellen. Der Leipziger Hilfebus ist weiterhin jeden Abend zwischen 18 und 23 Uhr auf den Straßen unterwegs. Holger Herzog, Leiter des SZL Suchtzentrum gGmbH und Suchtzentrum Leipzig e. V., über die Situation.

Herr Herzog, ist es überhaupt möglich, die derzeit erforderlichen hygienischen Auflagen bei Ihrer Arbeit einzuhalten?

Es ist zumindest schwierig. Wir versuchen natürlich, die hygienischen Anforderungen umzusetzen. Beispielsweise keine großen Gruppen entstehen zu lassen. Die Maßgabe liegt ja bereits bei zwei, drei Leuten. Das lässt sich nicht immer umsetzen. Gerade, wenn unser Hilfebus unterwegs ist – da sind zwei Personen drin, das ist einfach notwendig. Wenn dann noch zwei andere Leute hinzukommen, die Hilfe benötigen, sind wir schon bei vier Personen.

Natürlich sind alle darauf bedacht, den Abstand einzuhalten, zu desinfizieren und alles zu tun, damit nichts passiert und eben so gut es geht mit der Situation umzugehen. Vor allem: Die Menschen auf der Straße nicht allein zu lassen. Wir wissen auch nicht, ob wir sie in Unterkünften unterbringen können. Es wird trotzdem Menschen geben, die draußen bleiben wollen.

Wie ist die Stimmung unter den wohnungslosen Menschen?

Na ja, sie sind auch besorgt, natürlich. In der Regel gehören auch die meisten zur Risikogruppe, weil sie Vorerkrankungen haben und nicht unter den gesündesten Umständen leben. Es ist schon einiges los, auch im Netzwerk der Hilfen.

Die verschiedenen Akteure der Wohnungslosenhilfe haben jetzt ein engeres Netzwerk gebildet und versuchen, sich untereinander abzustimmen, wer was wann wo macht, damit es nicht zu Überschneidungen kommt, die nicht notwendig sind. Das funktioniert gut. Es gibt auch viel Austausch untereinander und gegenseitige Unterstützung.

Wir verteilen zurzeit Lebensmittel und Lunchpakete unter den Wohnungslosen, da die Tafel ja nur noch eingeschränkt arbeitet. Abends werden auch Brötchen geschmiert, heißer Tee wird ausgegeben. Das kommt überwiegend aus Spenden, die wir akquirieren. Es gibt mindestens zwei Bäckereien, die uns unterstützen.

Wie hat sich Ihre Arbeit und die Ihres Teams verändert? Ist weitere Hilfe nötig?

Wir wollen das Personal eigentlich möglichst gering halten. Einfach, um die Ansteckungsgefahr möglichst gering zu halten. Wir haben inzwischen die Teams geteilt, die in der Streetwork unterwegs sind. Die sind jetzt getrennt unterwegs und treffen nicht mehr aufeinander, damit ein Team auch dann noch zur Verfügung steht, wenn andere gegebenenfalls in Quarantäne müssen.

Wir versuchen, wirklich alles möglich zu machen, um unter den gegebenen Umständen unsere Arbeit durchführen zu können und den Menschen, naja, ein bisschen zu bieten. Dieser logistische Aufwand frisst unheimlich viel Zeit, die wir eigentlich gar nicht haben. Wir müssen Spenden inzwischen abholen, das haben wir vor Corona nicht gemacht, da konnte das anders organisiert werden. Deshalb müssen unsere Mitarbeiter auch eher raus und eher mit den Vorbereitungen beginnen.

Wie viel Unterstützung kommt vonseiten der Stadt?

Auch die Stadt ergreift Maßnahmen. So wurden beispielsweise die Notunterkünfte Alternative I, Übernachtungshaus für wohnungslose Frauen und Übernachtungshaus für wohnungslose Männer ganztägig geöffnet. Die Versorgung wird so gestaltet, dass die Klienten nicht unbedingt rausmüssen.

Momentan wird geprüft, ob noch eine Notunterkunft eröffnet werden kann, wo die Menschen untergebracht werden, die bisher keine Unterkunft haben. Die entsprechenden Abteilungen versuchen schon, etwas auf die Beine zu stellen. Durch verwaltungsinterne Abläufe dauert das natürlich länger, als bei den Freien Trägern.

Wie ist die Stimmung bei Ihnen und im Team? Wie hoch ist die Belastung?

Ich bin stolz auf unsere Mitarbeiter. Die gehen kreativ an die Situation heran und versuchen, das Beste daraus zu machen und Lösungen zu finden, unsere Arbeit unter den derzeitigen Bedingungen fortführen zu können. Ich finde es großartig, dass sich niemand zurückzieht und sagt, er müsse nun auf sich achten. Dass es einfach vorwärts geht.

Wir haben ja einen Auftrag, wir sind ja nicht umsonst im Sozialwesen tätig. Die Menschen von der Straße sind ja nicht weg. Es ist wahrscheinlich schwieriger, nach dieser Zeit alles wieder aufzubauen, als jetzt gezielt daran zu arbeiten, die Situation zu meistern.

Es ist auch eine Chance, was wir jetzt erleben. Eine Chance, weiterzuentwickeln, wie die Arbeit in Zukunft aussehen soll. Und dass man merkt, dass Abläufe in der Krise gut klappen und auch unter leichteren Bedingungen funktionieren sollten. Diese engere Abstimmung untereinander – ich habe einfach die Hoffnung, dass das zukünftig gezielter läuft. Und dass Konzepte, die jetzt umgesetzt werden, auch nach Krise noch einmal geprüft werden.

Wie kann man als Bürger helfen?

Natürlich freuen wir uns über jeden, der Sachspenden abgibt, aber wir schaffen es momentan logistisch nicht. Wir haben nicht die Zeit dazu, auch hygienisch ist das momentan schwierig. Gerade helfen Geldspenden am meisten, davon kaufen wir ein, was gebraucht wird.

Die Kontoverbindung für Spenden
Suchtzentrum Leipzig
IBAN: DE15 8602 0500 0003 4637 01
BIC: BFSWDE33LPZ

Auch die LZ Medien GmbH (L-IZ.de und LEIPZIGER ZEITUNG) unterstützt die aktuelle (Mehr)Arbeit des Suchtzentrums und hat 250 Euro an den Hilfebus Leipzig gespendet.

„Ich hoffe sehr, dass sich viele unserer Leser dieser in der Höhe eher symbolischen Spende anschließen und hier den derzeit stärker geforderten Profis für solche Aufgaben unter die Arme greifen. Geldspenden haben den Sinn, dass das Suchtzentrum, dessen Arbeit in der Suchtprävention, die Herausgabe der Obdachlosenzeitung „Kippe“, den Betrieb des Kältebusses und sozialer Wohnprojekte ich seit Jahren kenne und schätze, hier selbst am besten entscheiden kann, was gerade am dringendsten gebraucht wird“, so LZ/L-IZ-Mitherausgeber Robert Dobschütz zur Aktion des Teams.

Was das Suchtzentrum Leipzig alles macht, findet man hier im Netz

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