Nach zweiwรถchiger Pause hatte PEGIDA (โ€žPatriotische Europรคer gegen die Islamisierung des Abendlandesโ€œ) Dresden am Montagabend, 15. Juni 2020, erneut zur Versammlung mit anschlieรŸendem โ€žSpaziergangโ€œ auf den Dresdner Altmarkt gerufen. Mit verhaltenem Erfolg: Dem Aufruf folgten laut Polizeiangaben rund 650 Pegida-Anhรคnger/-innen, welche sich zudem um die 1.000 Menschen gegenรผbersahen, die sich unter dem Motto โ€žGemeinsam gegen den Faschismusโ€œ gegen die Pegida-Kundgebungen stellten. Aus Leipzig war Alexander Kleine, Chef der Ortsgruppe der โ€žIdentitรคren Bewegungโ€œ, als PEGIDA-Redegast angereist.

Der Gegenprotest bestand an diesem Montag aus zwei angemeldeten Versammlungen: Unter dem Motto โ€žJetzt erst Recht, Rassisten/-innen entgegen tretenโ€œ startete die Dresdner Initiative โ€žHOPE โ€“ fight racism!โ€œ einen Demonstrationszug vom Hauptbahnhof zum Altmarkt. Zur Unterstรผtzung angereist waren verschiedene zivilgesellschaftliche Gruppen unter anderem aus Chemnitz und Leipzig (โ€žLeipzig nimmt Platzโ€œ). Am Altmarkt wartete eine zweite Gegenversammlung mit dem Titel โ€žNationalismus raus aus den Kรถpfenโ€œ.

Nachdem es bei der letzten Pegida-Demo inklusive Gegendemo am Pfingstmontag zu einem kurzzeitigen ZusammenstoรŸ zwischen beiden Lagern gekommen war โ€“ die Polizei hatte plรถtzlich und ohne Vorankรผndigung ihre trennende Personenkette aufgelรถst, woraufhin Pegida-Anhรคnger/-innen in Richtung der sitzenden Gegendemonstrierenden rannten und sie teilweise kรถrperlich attackierten โ€“ achtete die Polizei dieses Mal sehr penibel darauf, dass es zu keinem erneuten ZusammenstoรŸ kam.

Gegendemonstration etwa doppelt so groรŸ

Der Gegendemonstrationszug, der grรถรŸtenteils aus jungen Menschen bestand, startete gegen 17:45 Uhr am Dresdner Hauptbahnhof in Richtung Altmarkt. Mit Parolen wie โ€žAlle zusammen gegen den Faschismusโ€œ, โ€žLasst das Glotzen sein, reiht euch in die Demo einโ€œ und โ€žNie, nie, nie, nie wieder Deutschlandโ€œ als Ruf gegen nationalistische Interessen unter Verweis auf die NS-Zeit ging es durch die Dresdner Innenstadt. Die hoch gebauten Hotels und Bรผrogebรคude in der Prager StraรŸe lieรŸen die Sprechchรถre widerhallen.

Ein Redner wandte sich am Georgplatz direkt an durch den Demonstrationszug zum Stehen gebrachte Autofahrer/-innen: โ€žEs tut uns leid, dass wir die StraรŸe blockieren mรผssen, aber wenn ihr euch zu den Pegida-Anfangszeiten damals uns angeschlossen hรคttet, mรผssten wir das jetzt hier nicht tun.โ€œ

Ein erster Redebeitrag vom Lautsprecherwagen auf dem Weg zum Altmarkt thematisierte zudem die โ€žOperation Adlerklaueโ€œ. Im Rahmen dieser Offensive hatte die tรผrkische Luftwaffe in der Nacht zum Montag kurdische Stรผtzpunkte im Nordirak bombardiert, unter den Angriffszielen sollen auch Wohngebiete sowie das Flรผchtlingslager Machmur sein.

Zwischen dem Pirnaischen Platz und dem Altmarkt sรคumten die ersten vereinzelten Pegida-Anhรคnger/-innen den Gegendemonstrationszug, was โ€žBuhโ€œ-Rufe und ein paar Stinkefinger von den Gegendemonstrierenden zur Folge hatte.

Dresdens 210. Pegida-Versammlung

Angekommen auf dem Altmarkt, wo bereits einige hundert Menschen vor dem Pegida-Kundgebungswagen unter anderem Deutschland-, Reichs-, Friedens-, Israel-, Russland-, Wirmer- und IB-Flaggen schwenkten, wurden neben den inhaltlichen Punkten die Unterschiede der Demonstrationslager auch in Bezug auf die Corona-Krise deutlich: Auf Seiten Pegidas trug fast niemand eine Maske (Veranstalter Lutz Bachmann hatte zuvor dazu aufgerufen, ohne โ€žMaullappenโ€œ zu kommen), der PEGIDA-Altersdurchschnitt lag gewohntermaรŸen bei rund 50 Jahren. Die Gegendemo bestand grรถรŸtenteils aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen, von denen die meisten eine Mund-Nasen-Bedeckung trugen.

Auch zahlenmรครŸig unterschieden sich die beiden Versammlungen deutlich: Die Zahl der Gegendemonstrierenden war etwa doppelt so groรŸ wie die der fรผr Pegida Angereisten. Nach wenigen Minuten trennten nicht nur die Polizeikette und eine Distanz von etwa 30 Metern die beiden Versammlungen, sondern erneut der von Pegida-Anhรคnger/-innen aufgebaute โ€žSichtschutzโ€œ, bedruckt mit riesigen Deutschlandflaggen.

Leipzigs IB-Chef als Gastredner bei Pegida

Nach Simon Kaupert (Grรผnder des Wรผrzburger PEGIDA-Ablegers โ€žWรผgidaโ€œ) betrat Alexander โ€žMalenkiโ€œ Kleine, neurechter Youtuber und Kopf der โ€žIdentitรคren Bewegungโ€œ (IB) Leipzig, die Bรผhne; barfuรŸ, vollbรคrtig, mit hochgekrempelter Jeans und Schirmmรผtze. Vor seinem eher im Rentenalter angesiedelten Publikum wirkte der 28-jรคhrige Influencer ein wenig fehl am Platz.

In seinem zehnminรผtigen Redebeitrag bedauerte der Vertreter der vom Verfassungsschutz beobachteten Organisation den Parteiausschluss des rechtsextremen Brandenburger AfD-Chefs Andreas Kalbitz (โ€žmit ihm ging die Chance, eine echte Durchschlagskraft im Parlament zu entwickeln, eine echte Opposition zu bildenโ€œ) und relativierte den Mord am Afroamerikaner George Floyd in den USA mit den Worten โ€ždie Justiz dort muss jetzt einschรคtzen, inwiefern der Polizist etwas fรผr den Tod des verhafteten Drogensรผchtigen kannโ€œ. Auch strukturellen Rassismus hielt โ€žMalenkiโ€œ fรผr ausgeschlossen und bezeichnete ihn als ein โ€žNarrativ der schwarzen Community und der Antifaโ€œ.

Zum Abschluss forderte Kleine die Zuhรถrenden offenbar im Angesicht der zahlenmรครŸige Unterlegenheit im Vergleich zu den Gegendemonstrierenden auf, standhaft zu bleiben: โ€žEs waren in der Geschichte schon immer einige wenige, die den Umbruch in der Gesellschaft bewirkt haben.โ€œ

Weitere Redner waren Vize-Chef Siegfried Dรคbritz und der Zittauer PEGIDA-Kopf Thomas Walde, die sich an den รผblichen Themen politische Korrektheit, โ€žLรผgenpresseโ€œ und โ€žIdiotenregierungโ€œ abarbeiteten. Ein zuvor von Lutz Bachmann angekรผndigter eventueller โ€žรœberraschungsgastโ€œ blieb aus.

Insbesondere der 69-jรคhrige Walde aus der Oberlausitz zeigte keine Scheu, sein rassistisches Weltbild darzulegen. Er munterte die Anwesenden dazu auf, schwarze Menschen als โ€žNegerโ€œ zu betiteln und machte sich รผber die Diskussion รผber den Begriff โ€žRasseโ€œ im deutschen Grundgesetz lustig, denn es gebe laut Walde entgegen aller wissenschaftlicher Erkenntnisse eindeutig unterscheidbare Menschenrassen. Mit einer weiteren Aussage bezรผglich des coronabedingten Kollapsโ€™ des Gesundheitssystems in Italien und Spanien sorgte er fรผr zustimmendes Gelรคchter im Pegida-Publikum: โ€žSo hat man ja herausgefunden, dass der sรผdeuropรคische Typ das Medikament, was man ihm gegen Corona gegeben hat, am schlechtesten von uns vertragen hat.โ€œ

Deutschlandhymne versus Cumbia-Big-Band

Diese menschenfeindlichen und teils verschwรถrungstheoretischen Inhalte der PEGIDA-Beitrรคge versuchten die Gegendemonstrierenden mit allen Mitteln zu รผbertรถnen. Das Dresdner Musikprojekt โ€žBanda Comunaleโ€œ machte mit Cumbia-Klรคngen ordentlich Stimmung. Die Polizei setzte Messgerรคte ein โ€“ wohl um die Lautstรคrke des Gegenprotests zu messen. Fast alle Beamt/-innen, die mit ihrer Personenkette die Lager voneinander zu trennen versuchten, beobachteten durchweg die Gegendemo-Seite.

Gegen 19:40 Uhr machte sich die Pegida-Versammlung auf zu ihrem von der Polizei begleiteten โ€žSpaziergangโ€œ, sodass es kurzzeitig relativ ruhig auf dem Altmarkt wurde. Beim Abgang der Pegida-Menschen vorbei an der Gegendemo achtete die Polizei besonders darauf, dass es zu keinen Berรผhrungspunkten zwischen den Lagern kommt. โ€žEs ist traurig zu sehen, wie die Polizei Sachsen demokratische Blockadeversuche verhindert, die Leute hier festhรคlt, damit sie nicht auf die Demo-Route von Pegida gelangen. Es wรคre so ein schรถnes Zeichen von Dresden gewesenโ€œ, kommentierte die Veranstalterinitiative โ€žHOPEโ€œ auf Twitter.

Die Ruhe war nach etwa 20 Minuten wieder vorbei, als Pegida zurรผckkehrte und von Gegendemo-Seite mit Trommeln, Pfeifen und โ€žEs gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda!โ€œ-Rufen wieder โ€žbegrรผรŸtโ€œ wurde.

Kurz bevor der Pegida-Zug wieder auf dem Altmarkt erwartet wurde, versuchte ein Teil der rund 300 eingesetzten Polizeibeamt/-innen mit groรŸem rhetorischen und kleinem kรถrperlichen Einsatz (Schubsen) einzelne dem Gegenprotest zugehรถrige Personen von der Versammlungsflรคche der PEGIDA-Demo zu vertreiben. Immer mit dem Ziel, ZusammenstรถรŸe zwischen den verschiedenen Lagern zu unterbinden. Die Stimmung zwischen Polizei und Gegendemo war teilweise sehr angespannt.

Kurzer Tumult gegen Ende

Gegen Ende kam es auf dem Altmarkt dann doch noch zu einer kurzzeitig unรผbersichtlichen Situation (siehe Video). Plรถtzlich tauchten etwa sechs Mรคnner mit eindeutiger neonazistischer Symbolik an ihrer Kleidung auf und mischten sich unter die โ€žbesorgten Bรผrgerโ€œ. Obwohl PEGIDA auf seinen Werbebannern das Hakenkreuz symbolisch im Mรผlleimer entsorgt, stรถrte sich offenkundig niemand an der Teilnahme von bekennenden neuen Nationalsozialisten an der Pegida-Versammlung.

Aufseiten der Gegendemonstrierenden schon: Kurzzeitig stรผrmten mehrere Dutzend Menschen in Richtung der Neonazis, begleitet von Buh-Rufen und Entrรผstungsbekundungen.

Da die Neonazis aus Richtung Kulturpalast kamen, โ€žmusstenโ€œ sie direkt an der Gegendemo vorbei, um auf den Altmarkt zu gelangen. Die schwarzgekleideten, teilweise kahlrasierten Mรคnner genossen die Aufmerksamkeit sichtlich. Sie wurden von der Polizei abgeschirmt und auf den Altmarkt geleitet. Ob sie den Versuch darstellten, sich unter die Gegendemo zu mischen, wozu von PEGIDA-Organisatoren zuvor aufgerufen wurde, blieb unklar.

Video-Impressionen vom 15. Juni 2020 in Dresden

Video: L-IZ.de

Ist die Peggy da? Lutz Bachmann ruft zur PEGIDA-Demo in Leipzig auf + Update Absage

Ist die Peggy da? Lutz Bachmann ruft zur PEGIDA-Demo in Leipzig auf + Update Absage

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