Mittlerweile beschäftigen ja eine ganze Reihe Anträge zu Straßenumbenennungen den Leipziger Stadtrat, nachdem der Anfang des Jahres schon der Umbenennung der Arndtstraße zustimmte. Zu jedem dieser Anträge verfasst das Dezernat Allgemeine Verwaltung in der Regel eine Stellungnahme – in der Regel ablehnend, weil seit 1999 so eine Art Stillhalteabkommen gilt, nachdem Verwaltung und Stadtrat eine Kompromissformel gefunden hatten, um die Umbenennungswelle der 1990er Jahre zu beenden.

Wir geben hier einmal die Stellungnahme zur Petition zur Umbenennung der Jahnallee wieder, die die wesentlichen Argumente vonseiten der Verwaltung formuliert.

Die zentrale Position lautet: „Die Verwaltung vertritt diesbezüglich die Auffassung, dass Straßennamen in ihrer Gesamtheit und Benennungsgeschichte eine Form des öffentlichen Stadtgedächtnisses bilden.“

Das Geldargument, gerade für die betroffenen Gewerbe in der Straße, spielt eine Rolle. Aber insbesondere verweist das Dezernat auch auf einen Stadtratsbeschluss von 1999, mit dem im Grunde ein Schlussstrich gezogen werden sollte unter die vielen Umbenennungen ab 1990, als im Grunde die meisten Umbenennungen aus der DDR-Zeit aus dem Stadtbild verschwanden. In dem Beschluss hieß es: „Die Beratung über die Namen im Zeitraum von 1945 bis 1989 nach Personen benannten Straßen ist abgeschlossen. Die Wiederaufnahme im Einzelfall bedarf neuer Erkenntnisse.“

Was die Stellungnahme des Dezernats nicht thematisiert, ist die Tatsache, dass sich durch heutige Emanzipationsbewegungen auch die Haltung zu Personen ändern könnte, die man bislang als nicht störend im Stadtbild empfunden hat. Und es stimmt: 1999 war noch nicht vorstellbar, dass Bewegungen wie #metoo oder „Black Lives Matter“ eine stillschweigende Diskriminierung öffentlich machen könnten, die auch 1999 von der Stadtratsmehrheit als normal – weil: nicht wahrnehmbar oder nicht „störend“ – wahrgenommen wurde.

An der Stelle weicht die Stellungnahme eher aus. Aber lesen Sie selbst:

Die Stellungnahme des Dezernats Allgemeine Verwaltung:

Die Jahnallee ist nach Johann Friedrich Ludwig Christoph Jahn, geb. 1778 in Lanz bei Lenzen (Prignitz), gest. 1852 in Freyburg (Unstrut), benannt. Die ursprüngliche Benennung in „Friedrich-Ludwig-Jahn-Allee“ erfolgte 1956. Die Umbenennung in „Jahnallee“ trat 1992 in Kraft.

Jahn war Pädagoge, Begründer der Turnbewegung in Deutschland und nationalistischer Politiker. Er war gewähltes Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/1849.

Friedrich Ludwig Jahn und der von ihm eingeführte Turnunterricht sind als politische Erscheinungen ihrer Zeit zu verstehen, aus der sich das heutige Geräteturnen herausbildete. Gleichzeitig ist nicht zu bestreiten, dass einige Ausführungen Jahns nach freiheitlich-demokratischen Maßstäben als fremdenfeindlich bewertet werden können und er deshalb aus jetziger Sicht nicht mehr für eine Straßenbenennung qualifiziert wäre.

Das Wirken von Personen ist jedoch immer im Kontext der jeweiligen Zeit zu bewerten, da Wertmaßstäbe und politische Idealvorstellungen einem ständigen Wandel unterliegen. In dem Fall von Friedrich Ludwig Jahn handelt es sich um einen Wandel von 200 Jahren. Die Begründung der zugrunde liegenden Petition berücksichtigt somit nicht das Gesamtschaffen von Friedrich Ludwig Jahn. Aufgrund der durch ihn zu Lebzeiten geäußerten nationalistischen Meinungen, ist es nicht verwunderlich, dass er zu verschiedenen Zeiten als idealisierter Nationalheld aufgegriffen wurde.

Zudem ist die in der Petition getroffene Aussage, dass alle Benennungen nach Friedrich Ludwig Jahn in der Zeit der „nationalen Bewegungen“ vollzogen wurden, zu berichtigen. Von denen in der Aufzählung genannten Namen fallen drei Straßen in die Zeit des Nationalsozialismus: Jahnweg in Engelsdorf (Beschluss von 1934), Ludwig-Jahn-Straße in Böhlitz-Ehrenberg (Beschlussdatum wird nur in das Jahr 1934 vermutet, ist aber nicht mehr eindeutig nachweisbar), Vater-Jahn-Straße in Lindenthal (Beschluss von 1938).

Die drei weiteren genannten Straßen wurden erst nach 1950 benannt: Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße in Miltitz (Beschluss 1953), Jahnstraße in Liebertwolkwitz (Beschluss wird nach Unterlagen in das Jahr 1951 vermutet) sowie die von der Petition betroffene Jahnallee (ursprüngliche Benennung 1956 in Friedrich-Ludwig-Jahn-Allee, Umbenennung in Jahnallee im Jahr 1991).

Die Straße trägt folglich seit 1956 einen nahezu unveränderten Namen. Im Ratsbeschluss Nr. 1673/99 vom 14.07.1999 heißt es hierzu: „Die Beratung über die Namen im Zeitraum von 1945 bis 1989 nach Personen benannten Straßen ist abgeschlossen. Die Wiederaufnahme im Einzelfall bedarf neuer Erkenntnisse“.

Die Verwaltung vertritt diesbezüglich die Auffassung, dass Straßennamen in ihrer Gesamtheit und Benennungsgeschichte eine Form des öffentlichen Stadtgedächtnisses bilden. Straßennamen sollten kritisch begleitet werden, sofern sie Personen mit nach heutigen Ansichten und Wertvorstellungen fragwürdigen Haltungen repräsentieren.

Umbenennungen von Straßen sollten idealerweise nur dann erwogen werden, wenn neuere wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über Handlungen der betroffenen Person vorgelegt werden, die einer öffentlichen Würdigung zweifelsfrei entgegenstehen. Eine Umbenennung sollte jedoch nicht erfolgen, wenn Ansichten und Wertvorstellungen aus der Zeit der Benennung von heutigen Ansichten und Wertvorstellungen in Teilen abweichen.

Weiterhin ist eine Umbenennung in „Frankfurter Allee“ aufgrund der Tatsache, dass zurzeit keine Straße auf die Partnerstadt Frankfurt am Main hinweist, abzulehnen. Frankfurt am Main ist nicht die einzige Partnerstadt Leipzigs, die noch nicht im Stadtbild zu finden ist – auch Birmingham, Bologna, Houston, Nanjing und Thessaloniki gehören dazu. Hier ist der Grundsatz zu beachten, dass bei der Straßenbenennung Namenskomplexe gebildet werden und deshalb von einer losgelösten Namensgebung abzusehen ist, wenn andere Möglichkeiten bestehen.

In Leipzig werden zukünftig ausreichend Möglichkeiten vorhanden sein, neu entstehende Straßen nach Frankfurt am Main zu benennen und dafür keine bereits bestehenden und benannten Straßen umzubenennen. Es ist bereits vorgesehen in neu entstehenden Vierteln der Stadt Leipzig die Straßen nach Partnerstädten zu benennen.

Darüber hinaus sollte bei Überlegungen einer Umbenennung auch die Belastung für Anwohner und ansässige Unternehmen Gegenstand der Abwägung sein. Der Beschluss einer Umbenennung könnte negative Reaktionen in der Stadtgesellschaft hervorrufen. Diese Reaktionen begründen sich in den entstehenden Kosten und dem Aufwand für die notwendigen Adressumstellungen und Änderungen von Ausweispapieren und anderen Unterlagen. Die Arndtstraße kann diesbezüglich als Beispiel dienen. Betroffen wären in der Jahnallee 570 Anwohnerinnen und Anwohner.

Auch für die 140 ansässigen Unternehmen und Handwerksbetriebe entstehen zusätzliche Kosten, die je nach Gewerbetypus teilweise erheblich sind. Die Aufwendungen umfassen Kosten für erforderliche Ummeldungen, Änderungen von Registereinträgen, Kunden- und Geschäftspartnerinformation, Anpassungen von Werbematerialien oder beschrifteten Produktionsmitteln etc.

In der Verwaltung selbst (Hauptamt/Bürgeramt, Amt für Statistik und Wahlen, Rechtsamt, Ordnungsamt/Meldebehörde und Zulassungsstelle, Amt für Wirtschaftsförderung, Amt für Geoinformation und Bodenordnung, Verkehrs- und Tiefbauamt, Referat Kommunikation) verursachen das notwendige Verwaltungsverfahren und die praktische Umsetzung des Beschlusses einen noch nicht abschließend bezifferbaren Arbeitsaufwand und binden erhebliche Ressourcen.

Die Verwaltung vertritt daher die Auffassung, dass die mit der Umbenennung gegebenenfalls erzielbaren Effekte die dargestellten Aufwände nicht aufwiegen. Es wird daher vorgeschlagen, den Namen Jahnallee trotz Kenntnis seiner Ansichten, die aus heutiger Sicht als nicht mehr zeitgemäß anzusehen sind, beizubehalten. Eine Erläuterungstafel soll auf die kritische Betrachtung hinweisen.

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Es gibt 3 Kommentare

Bitte ‘Acht’ geben und den Hauchlaut sicher verwahren – einige haben damit schon viel Unsinn getan.
Vielleicht ergibt sich ja irgendwann ein fehlendes Dehnungs-h…

#Christian: Stimmt. Jetzt liegt wieder ein überflüssiges H bei uns rum.

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