Seit dem 3. Januar 1870 gibt es eine Arndtstraße in der Leipziger Südvorstadt, benannt anlässlich des 100. Geburtstages des Publizisten und Dichters Ernst Moritz Arndt. Ende Oktober 1813 traf Arndt als Sekretär des Reichsfreiherrn Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein in Leipzig ein und hielt sich hier acht Wochen auf.

„Leipzig näher kommend, sah und erfuhr ich nun durch den eigenen Augenschein an den greulich zerfahrenen Straßen, an eingeäscherten und in allen Zäunen und Gärten verwüsteten Dörfern und an hundert anderen Zeichen der namenlosen Schrecken und Greuel, was Krieg heißt, wo mehr als eine halbe Million streitbarer Männer und mehr als tausend schwere Geschütze drei Tage zwischen Sieg und Tod miteinander gerungen haben. Meine Ankunft war an einem der letzten Tage des Weinmonds. …

Hier in Leipzig lebte ich nun über zwei Monate; in rüstiger, lustiger Arbeit, ich kann wohl sagen in Ehren und Freuden, wie die Zeit sie gab, siegesfroh unter Siegesfrohen. Auch die meisten Leipziger mitten unter allen greulichsten Erscheinungen des Elends, Jammers und Grauens, mitten unter den Leichenkarren, die mit vielem verderblichem Pesthauch täglich durch die Gassen ihre fürchterlichen Umfahrten hielten, teilten doch mit uns die aufrichtige Freude, daß der große Reichsfeind auf diesen Gefilden alter Mordschlachten mit seiner besten Stärke sehr zusammengeschmettert war“, so Ernst Moritz Arndt in seinen „Erinnerungen 1769 – 1815“.

Seine glänzendste Periode

Ernst Moritz Arndt (* 26.12.1769 Groß-Schoritz auf Rügen; † 29.01.1860 Bonn), diesen „Stolperstein der deutschen Geschichte“ aus heutiger Sicht, beurteilt das „Leipziger Tageblatt“ anlässlich des hundertsten Geburtstages mit einer ausführlichen Würdigung seines Lebens und Wirkens.

Da heißt es: „Im Jahre 1813 begann nun die glänzendste Periode Arndts. In diesem Jahre nämlich und in den darauf folgenden wurden von ihm eine Menge Flugschriften, auch wohl größere Bücher verfaßt, welche zum Zwecke hatten, zunächst die Deutschen zum Freiheitskampfe gegen Napoleon aufzurufen und dann die öffentliche Meinung auf Das hinzulenken, was nun aus Deutschland werden sollte. Alle diese Schriften erfreuten sich der größten Theilnahme von Seiten der öffentlichen Meinung.

Bald galt Arndt als einer von Denjenigen, welche am entschiedensten und klarsten die Wünsche und Hoffnungen der deutschen Nation aussprachen. Durch seine historischen Studien war es ihm klar geworden, was der Erbfehler der Deutschen sei, was uns heruntergebracht und namentlich die letzte schmähliche Epoche in unserer Geschichte erzeugt habe: nämlich die Zersplitterung und die Vielherrschaft.

Nicht oft genug kann er daher diese Wahrheit seinen Volksgenossen zurufen. Dagegen weist er auch auf eine glänzende Zukunft hin, wenn die Deutschen, diesen Fehler vermeidend und zu einer einzigen Nation sich wieder erhebend, die herrlichen Kräfte, die in ihnen liegen, zur Entwickelung bringen wollten. Das Gefühl deutscher Nationalität sollte Alle, Männer wie Frauen, durchdringen; sei dieses vorhanden, so ergebe sich das Andere von selbst.“

Arndt kann noch, „körperlich und geistig frisch“, sein 90. Lebensjahr vollenden – „da wurden ihm aus allen Gauen vom deutschen Volke so viele und so herzliche Glückwünsche dargebracht, daß der Alte durch die so reiche, nie geahnte Liebe tief erschüttert ward. Die freudige Aufregung, mit welcher er für die meisten der ihm übersandten Glückwünsche Zeilen des Dankes schrieb, warf ihn auf das Krankenlager, von dem er nicht wieder aufstehen sollte.

Er starb den schönsten Tod, um den ihn mancher Fürst beneiden kann, sanft und ruhig, von seinem Volke wie ein Vater herzinnig geliebt. Um die Mittagsstunde des 29. Januar 1860 flog die Trauerkunde durch Bonns Gassen und zwei Tage später beklagte das ganze deutsche Volk den Tod seines Lieblings und treuen Eckarts.“

Ein Kriegslied gegen die Welschen

Mit über 300 Veröffentlichungen in hohen Auflagen wird Arndt dank seiner volkstümlich-verständlichen Ausdrucksweise und Wortgewalt zum meistgelesenen Publizisten der Befreiungskriege. Arndt steigert sich aber vom Patriotismus in einen Nationalismus, er ruft gegen Nation und Volk der Franzosen auf.

Ein reichliches Jahrzehnt nach seinem Tode, 12 Tage nach Beginn des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71, bringt die in Leipzig erscheinende „Deutsche Allgemeine Zeitung“ vom 31. Juli 1870 auf ihrer Titelseite das „Kriegslied gegen die Welschen“, von der Redaktion als ein „herrliches Kernlied unseres ehrwürdigen E. M. Arndt“ gefeiert. Die 4 Strophen des bereits im April/Mai 1859 entstandenen Liedes enden stets mit der Zeile „Alldeutschland in Frankreich hinein!“

In dem Reclam-Band „Deutsche Lyrik seit Goethes Tode“, von 1877 bis 1886 bereits erschienen in zehn Auflagen, fand ich zwei Beiträge von Arndt: „Des Deutschen Vaterland“ und das „Vaterlandslied“. Da heißt es im vorletzten Vers des ersteren: „Das ist des Deutschen Vaterland, / Wo Zorn vertilgt den wälschen Tand. / Wo jeder Franzmann heißet Feind, / Wo jeder Deutsche heißet Freund, / Das soll es sein, / Das ganze Deutschland soll es sein.“

Und im zweitgenannten dann im vorletzten Vers: „Laßt klingen, was nur klingen kann, / Die Trommeln und die Flöten! / Wir wollen heute Mann für Mann, / Mit Blut das Eisen röthen, / Mit Feindesblut, Franzosenblut, / O süßer Tag der Rache! / Das klinget allen Deutschen gut, / Das ist die große Sache!“

Und längst sieht so mancher in E. M. Arndt, wie eingangs angedeutet, einen „Stolperstein der deutschen Geschichte“. Wegen der Widersprüche seines Lebenswerkes gilt Arndt als „umstritten“.

Das Humanitätsideal nunmehr verlassen

Der jüdische Gelehrte Victor Klemperer (1881–1960) notierte in seinem „LTI – Notizbuch eines Philologen“ (Abschnitt XXI „Die deutsche Wurzel“) unter anderem: „Es ist darauf hingewiesen worden, daß Jahn und Arndt den deutschen Juden als Deutschen gelten lassen … Ja – aber dreißig Jahre später … in den ‚Reden und Glossen’ vom Jahre 1848 (Leipzig, Weidmann’sche Buchhandlung, 1848, in den ‚Anmerkungen’, S. 37/38: – P.U.) klagt derselbe Arndt, der vordem zur Humanität hielt:

‚Juden und Judengenossen, getaufte und ungetaufte, arbeiten unermüdlich und auf allen äußersten radikalsten Linken mitsitzend, an der Zersetzung und Auflösung dessen, worin uns Deutschen bisher unser Menschliches und Heiliges eingefaßt schien, an der Auflösung und Zerstörung jeder Vaterlandsliebe und Gottesfurcht … Horcht und schaut euch doch ein wenig um, wohin diese giftige Judenhumanität mit uns fahren würde, wenn wir nichts Eigentümliches, Deutsches, dagegenzusetzen hätten.’“ … –

(Hier fehlt allerdings noch der letzte Absatz der „Anmerkungen“ des E. M. Arndt von S. 38: „Ich sage dies wahrlich nur aus der Wahrheit, nicht aus Haß gegen die Kinder Israel. Ich verehre ihre große welthistorische Bestimmung zu sehr, und zähle gottlob aus diesem Stamme zu viele recht fromme und auch recht deutsche Freunde, als daß ich solche Anklage leichtsinnig niederschreiben könnte.“)

Victor Klemperer dagegen schlussfolgert aus seinen Notizen: „Hierbei bleibt es Sache der Auslegung, wieweit man in diesem über die Taufe hinausgreifenden Antisemitismus bereits Rassenantisemitismus sehen will; aber außer Frage steht, daß das die Menschheit umfassende Humanitätsideal nunmehr verlassen ist und daß dem Ideal des Deutschtums eine ‚giftige Judenhumanität’ gegenübersteht.“

Ein Beschluss des Leipziger Stadtrates vom 22. Januar 2020, die Arndtstraße in Hannah-Arendt-Straße umzubenennen, wird aufgrund einer Petition mit vielen Unterschriften „Arndt bleibt Leipziger – Keine Umbenennung der Arndtstraße“ am 16. September 2020 wieder aufgehoben.

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