Es gibt sie noch, die Orte in Leipzig, die als authentische Zeugen der Völkerschlacht zu besichtigen sind. Es sind nicht mehr viele. Und meist liegen sie ein wenig verschwiegen im Abseits. So wie das Torhaus des ehemaligen Schlosses in Dölitz, das im Oktober 1813 Mittelpunkt heftiger Gefechte war. Das Schloss ist verschwunden, erlitt im Zweiten Weltkrieg schwere Bombenschäden und wurde danach abgerissen. Aber das Torhaus steht noch und ist heute ein Ort, an dem man ein Stück Völkerschlacht besichtigen kann.
Ein nicht ganz unwichtiges. Denn die Gefechte, die hier zwischen dem 16. und dem 18. Oktober 1813 tobten, waren ein entscheidender Teil der Völkerschlacht. Hier trafen die Österreicher auf die Polen und Franzosen. Und Schloss und Brücke über die Mühlpleiße waren deshalb so heftig umkämpft, weil sich hier entschied, ob die Österreicher den Zugang zur befestigten Straße nach Leipzig bekommen würden, der heutigen Bornaischen Straße.
Da gibt es so einiges zu erzählen, nicht nur über die Gefechte in Dölitz, um Schloss und Mühle. Was in diesem wieder reich bebilderten Band einer ausführlich erzählt, der sich auskennt mit der Materie der Napoleonischen Kriege: Reinhard Münch. Allein das Thema für ein ganzes Buch – auch für all jene, denen gar nicht bewusst ist, wie intensiv die Gefechte im Leipziger Süden waren und warum sich hier auch lange Napoleons Truppen konzentrierten. Auch deshalb, weil die Brücken über die Mühlpleiße eine entscheidende Rolle spielten.
Franzosen, Polen, Österreicher
In Dölitz selbst waren es die polnischen Truppen, die hier über Tage standhielten und auch versuchten, die Österreicher wieder aus dem Schloss Dölitz zu vertreiben. Hier zeichnete sich auch ihr General Jósef Poniatowski wieder aus, den Napoleon für seine Leistungen zum Feldmarschall ernannte, auch wenn sein Aufenthalt in Leipzig am Ende tragisch endete. Logisch, dass Reinhard Münch auch die Geschichte Poniatowskis und seiner Verehrung in Leipzig erzählt, genauso wie die Rolle der polnischen Truppenverbände in der Völkerschlacht.
Und natürlich zeigt er ausführlich, warum Napoleon in Dölitz, Lößnig, Probstheida und Connewitz so verbissen kämpfen ließ. Denn hier ging es nicht um den Sieg, hier ging es um die Deckung des Rückzugs seiner Armee aus Leipzig. Da wurden dann einstmals unscheinbare Dörfer auf einmal zu Schauplätzen heftiger Gefechte, von wechselnden Eroberungen und letztlich dramatischen Verwüstungen.
Ein unscheinbares Dorf
Was dann ein Thema für Thomas Nabert ist, der die Geschichte von Dölitz bis ins Jahr 1813 erzählt, die Spuren des damaligen Dorfkerns lokalisiert und zumindest ein paar Gebäude noch nennen kann, die damals schon standen. Karten ergänzen die Schilderung, die dann in die Folgen der Gefechte von 1813 mündet. Denn sämtliche Gebäude in Dölitz waren geplündert, das Holz von Türen und Dielen herausgerissen.
Man vergisst es ja so leicht: Die Völkerschlacht fiel in eine richtig nasse, kalte Herbstzeit, auch die Mühlpleiße war angeschwollen. Durch das aufgeweichte Gelände des Auwaldes war überhaupt kein Vorankommen. Deswegen war jeder mögliche Übergang mit Brücke heftig umkämpft.
Das Erstaunliche ist trotzdem, wie viel sich von der damaligen Dorfstruktur im heutigen Dölitz erhalten hat. Auch Wiederaufbau und der nachfolgenden Entwicklung des Dorfes hin zu einem von Industriearbeitern bewohnten Leipziger Vorort erzählt Nabert, streift am Rand die Rolle des Schachtes Dölitz, lässt aber auch nicht das Ende des Rittergutes weg und damit letztlich den Totalverlust des kleinen, aber imposanten Schlosses mit dem durchaus typischen Gutsensemble.
Dass das Schloss letztlich verloren ging, hat schlicht mit den fehlenden Ressourcen in der frühen DDR-Zeit zu tun. Eindrucksvolle Fotos im Buch zeigen, was für ein Kleinod es war, das ja letztlich sogar der Stadt Leipzig gehörte. Und dass das Torhaus erhalten blieb, verdankt die Stadt schlichtweg der engagierten Arbeit der Zinnfigurenfreunde aus der Fachgruppe „Stadtgeschichte“ des Kulturbundes, die das Gebäude bezogen, nachdem die Umsiedler, die hier nach dem Krieg ein Obdach gefunden hatten, ausgezogen waren.
Erhardt Straßburg erzählt hier mit Zuarbeit des jüngst verstorbenen Bernd Baumbach die ganze Geschichte der Zinnfigurenfreunde im Torhaus – mit ersten Ausstellungen, immer neuen Reparaturarbeiten in Eigeninitiative, wechselnden Trägern, Schließzeiten und Neuanfängen.
Die Welt der Zinnfiguren
Wer heute das Zinnfigurenmuseum im Torhaus Dölitz besucht, taucht regelrecht ein in die Welt der Dioramen, in denen die Zinnfigurenfreunde mit tausenden original bemalten Figuren nicht nur wesentliche Szenen der Völkerschlacht und in einem Großdiorama auch das Schlachtfeld vom 18. Oktober 1813 zeigen, sondern auch bekannte historische Szenen aus anderen Zeiten und Weltgegenden. Man sieht regelrecht, mit welcher Freude am Detail hier Begeisterte über Jahrzehnte Geschichte zum Leben erweckt haben – und gleichzeitig Generationen junger Menschen für Zinnfiguren begeistert haben.
Längst ist das Torhaus auch beliebter Schauplatz im Umfeld der jährlichen Feierlichkeiten zur Völkerschlacht, zum Lichterfest im agra-Park und zum Wave-Gotic-Treffen. Und da es nun einmal vor allem um die Erinnerung an die Völkerschlacht geht, listet Reinhard Münch auch alle heute noch auffindbaren Denkmäler und Erinnerungstafeln im Stadtbild auf, die an die Ereignisse im Oktober 1813 im Leipziger Süden erinnern.
Für alle Geschichtsbegeisterten, die sich für die Völkerschlacht und einen ihrer markanten Ereignisorte interessieren, ist das Buch natürlich eine echte Einladung – auch eine Augenweide, angereichert mit großformatigen Diorama-Aufnahmen, die einem das Gefühl geben, man würde den Kampfszenen der Völkerschlacht aus der Vogelperspektive tatsächlich zuschauen können.
Und natürlich lädt das Buch ein, sich einfach mal in die Straßenbahn zu setzen und das Torhaus als originalen Schauplatz der Völkerschlacht zu besuchen. Ein Ausflug, der sich besonders lohnt, wenn man auch gleich noch die Öffnungszeiten des Zinnfigurenmuseums nutzt.
Reinhard Münch, Thomas Nabert, Erhardt Straßburg, Bernd Baumbach „Dölitz in der Völkerschlachtzeit“, Pro Leipzig, Leipzig 2025, 24 Euro.
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