Höchst unzufrieden war die Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen mit den drei Gutachten, die die wissenschaftliche Beratungskommission zu den umstrittenen Namensgebern für die Arndtstraße, die Jahnallee und die Pinkertstraße abgeliefert hat. Die Gutachten sind so wattig, dass sie für den auftraggebenden Stadtrat überhaupt keine Entscheidungsgrundlage darstellen. Also stellt die Grünen-Fraktion einen neuen Antrag.

„Die Gutachten der wissenschaftlichen Beratungskommission zu den historischen Persönlichkeiten Arndt, Jahn und Pinkert liegen vor und sind mittlerweile öffentlich einsehbar. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass z. B. Straßenumbenennungen in diesen drei Fällen nicht notwendig sind. Dieses Ergebnis entbindet die Politik allerdings nicht von der Aufgabe, eine sogenannte ‚kritische Begleitung‘ von umstrittenen Sachverhalten zu gewährleisten – wie auch die Kommission selbst feststellt“, heißt es im Antrag der Grünen-Fraktion.

Denn völlig ausgeklammert haben die Gutachten die heutigen Diskussionen, die eben auch damit zu tun haben, dass Positionen, die vor 150 oder 200 Jahren als gesellschaftlich akzeptabel galten (wenn auch nie in der ganzen Gesellschaft – das klammern die Gutachten ebenfalls aus), heute in der Kritik stehen. Aus gutem Grund und eben leider mit großer Verspätung. Denn solche Diskussionen über Rassismus und Kolonialismus wären damals so nicht möglich gewesen.

„Die heftige Debatte um den Umgang mit dem Kolonialerbe des Zoos und jüngst die Wagner-Festtage zeigen zudem überdeutlich, dass die Leipziger Stadtgesellschaft Fragen bezüglich des Umgangs mit bzw. der Darstellung von historisch zwiespältigen Zusammenhängen umgehend beantworten muss“, findet die Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen.

Und beantragt deshalb: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bis spätestens Ende 2022 eine Konzeption erarbeiten zu lassen, in der sowohl bereits bewährte als auch neuere Formen kritischer Begleitung von erinnerungspolitischen Zusammenhängen zusammengefasst und systematisiert werden. In der besagten Konzeption sollten auch Wege aufgezeigt werden, die beschreiben, wie eine entsprechende Umsetzung der Formen der Auseinandersetzung etwa durch Initiativen der Freien Szene erfolgen könnte.“

Und als zweiten Antragspunkt: „Diese Systematisierung von Formen einer Erinnerungskultur, die sich historischen Ambivalenzen und umstrittenen Persönlichkeiten offensiv stellt, soll Bestandteil der noch zu erarbeitenden Konzeption Erinnerungskultur werden.“

Wobei am Ende die Frage bleibt: Wozu braucht es dann eine Historikerkommission, die sich selbst um die Streitpunkte innerhalb der heutigen Geschichtsforschung herummogelt und die Konflikte nivelliert?

Nun soll die „Freie Szene“ wieder richten, was sich die versammelten Historiker/-innen nicht trauen und was der Stadtrat ursprünglich genau an diese Historikerkommission delegiert hat.

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Keine Kommentare bisher

Vollkommen zu Recht kommt u.a. von den Grünen die Forderung, insbesondere bei den Folgen des Klimawandels doch bitte auf die Wissenschaft zu hören. Das sind nun einmal die Profis!

Hier passt das Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht zur eigenen Ãœberzeugung – komische Ãœberschrift, by the way (“kneift”) – dann liegt die Wissenschaft falsch? Dann schreibt doch selber eine wissenschaftliche Abhandlung darüber. Ach, keine Expertise? Na sowas aber auch…

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