Kommentar. Wenn die virtuelle Klima-Pressekonferenz 2021 des Deutschen Wetterdienstes am 9. März irgendeine Erkenntnis gebracht hat, dann die, dass es die Menschheit nicht schaffen wird, wenn sie ihr Denken über Wohlstand, Wachstum und Politik nicht ändert. Und dass Deutschland dabei genauso behäbig ist wie der Rest der Völkergemeinschaft. So jedenfalls steuert der Planet auf eine Erwärmung zu, die unserer Zivilisation den Boden entziehen wird.

Trotz der weltweiten Pandemie mit ausgebremster Wirtschaft und reduzierter Mobilität sei die Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre auch 2020 wieder gestiegen, meldete der Deutsche Wetterdienst. Der Anstieg gehe also ungebremst weiter. „Damit werden wir die im Paris-Abkommen vereinbarte Temperaturerhöhung von deutlich unter 2 Grad über dem vorindustriellen Niveau bis zum Jahr 2100 nicht erreichen. Leider sieht es im Moment sogar nach einem Plus von 3 bis 4 Grad aus“, sagte Prof. Dr. Gerhard Adrian, Präsident der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) und des Deutschen Wetterdienstes (DWD).

Zudem sei die globale Jahresmitteltemperatur seit Ende des 19. Jahrhunderts bereits um 1,1 Grad gestiegen. In Deutschland sind es 1,6 Grad. Die Folgen konnten, so Adrian, auch 2020 beobachtet werden: Das vergange Jahr war weltweit das zweitwärmste seit Beginn der Aufzeichnungen.

Die 3 bis 4 Grad machten dann diverse Medien zur Schlagzeile, obwohl das keine neue Erkenntnis war. Auch der DWD hat dazu keine neuen Zahlen. Das Jahr 2020 bestätigte nur den alten, unheilvollen Trend.

Adrian: „Ich bin immer wieder erstaunt, wie treffend der Weltklimarat schon in der 1990er Jahren unser jetziges Klima und die aktuellen Wetterextreme beschrieben hat. Heute liegen uns deutlich verbesserte wissenschaftliche Szenarien zur künftigen Entwicklung des Klimas und den Auswirkungen auf unsere Umwelt vor. Wir sollten sie deshalb sehr ernst nehmen.“

Und nicht nur das. Wir sollten unsere Politik ändern. Und zwar sehr radikal. Samt dem dahintersteckenden Denken.

Das übrigens jetzt schon teure Folgen zeitigt. Auch in Deutschland.

In Deutschland war 2020 mit einer Mitteltemperatur von 10,4 Grad Celsius (°C) das zweitwärmste Jahr seit Beginn der inzwischen 140-jährigen Temperaturzeitreihe des DWD, berichtet Dr. Thomas Deutschländer, Klimaexperte des DWD. Damit fielen neun der zehn wärmsten Jahre in Deutschland ins 21. Jahrhundert. Wie schon 2019 waren elf der zwölf Monate zu warm – verglichen mit der Referenzperiode 1961–1990.

Zwar wurden im Sommer 2020 Spitzenwerte von über 40 °C wie 2019 nicht erreicht. Die hochsommerlichen Temperaturen hatten aber wieder negative Auswirkungen. In der Landwirtschaft litten in Verbindung mit zu geringen Niederschlägen vor allem Obstgehölze und Wein, regional auch Mais, Zuckerrüben und Grünland unter der Trockenheit. Für die Wälder hielt die Trockenstresssituation in manchen Regionen selbst im November an.

„Insgesamt betrachtet verstärken die vergangenen drei Jahre die Befürchtungen der Klimaforschung, dass wir künftig immer öfter mit Wetter- und Klimaextremen rechnen müssen“, stellte Deutschländer fest. In der warmen Jahreszeit würden sich dabei Hitze und Trockenheit regelmäßig mit Starkniederschlagsepisoden abwechseln – zulasten gemäßigter und wechselhafter Witterung.

Was wünschen sich die Deutschen wirklich?

Wobei das nur die nähere Zukunft ist. Und sie nimmt nur Deutschland in den Blick, während die Folgen in anderen Ländern – und gerade den ärmeren Ländern des Südens – noch viel heftiger sein werden. Seit über 30 Jahren aber vermeidet Deutschland das Umsteuern. Ein Umsteuern, das immer wesentlich einfacher ist, wenn man früh genug die richtigen Weichen stellt, was ja mit dem von den Grünen initiierten EEG-Gesetz 2000 schon geschah.

Doch ab 2005 wählten die Deutschen immer wieder Regierungen, die das EEG-Gesetz ausbremsten und teilweise regelrecht entkernten, als es behutsam fortzuschreiben. Wozu auch die frühzeitige Einführung eines CO2-Preises gehört hätte, sodass sich auch Kauf- und Lebensgewohnheiten langsam hätten anpassen können. Sämtliche Subventionen für fossile Industrien hätten abgebaut werden oder zwingend mit der Pflicht verbunden sein müssen, auf eine alternative Energiebasis umzuschwenken. Es wäre für Deutschland die Chance gewesen, zum weltweiten Vorbild zu werden. Eine verpasste Chance.

Die freilich auch davon erzählt, wie schwer sich die Deutschen tun, ihr Verhalten – freiwillig – zu ändern, selbst wenn sie sich selbst ausrechnen können, wie klimaschädigend ihr Konsum ist.

Dass wir jetzt in einen kaum noch lösbaren Konflikt hineinlaufen, hat mit diesem bräsigen „Später, später“ und „Warum ich?“ zu tun, diesem Versuch, die angenehmen Seiten einer wuchernden Wachstumsgesellschaft behalten zu wollen und auf nichts verzichten zu wollen. Wobei der Verzicht auf Flugreisen, großen Fleischkonsum oder spritfressende Autos in Wirklichkeit nur der Verzicht auf Luxus wäre, keiner auf ein reiches und erfülltes Leben.

Doch die Bilder stecken im Kopf – bis hin zum (falschen) Traum vom Eigenheim, das vor allem ein tiefer Eingriff in die Ökologie und bis dahin noch intakte Landschaften ist. Andererseits ist es natürlich das Symbol einer Wohlstandsgesellschaft, die „Eigentum“ als heilige Kuh verehrt und zum Statussymbol macht. Beides enorme Triebkräfte für eine Entwicklung, in der Verzicht immer auch sofort als Statusverlust verstanden wird. Als Enteignungsversuch.

Ob das tatsächlich das Denken der Mehrheit ist, weiß niemand. Die Kampagnen der großen bürgerlichen Zeitungen erzählen ja zuallererst von den Ängsten ihrer eigenen Leserschaft, nicht von den Wünschen der Mehrheit, die meist gar nicht zu den Lesern dieser Medien gehören. Aber natürlich genauso dem Beschuss der Werbung ausgesetzt sind.

Was 2015 z. B. eine Umfrage des „Spiegel“ zeigte: „Mehr als die Hälfte wünscht sich Gesundheit, für fast 40 Prozent ist finanzielle Sicherheit ein Traum und nahezu ein Drittel wünscht sich Glück in der Familie. Fast ebenso häufig wie Partnerschaft und Kinder wurde mit 30,4 Prozent aber auch der Wunsch nach materiellen Dingen genannt.“

Und auch wenn der „Spiegel“ dann genüsslich ausbreitet, was sich die Befragten kaufen könnten, wenn sie das Geld hätten, macht die Reihenfolge eigentlich deutlich, dass es den meisten eben nicht ums eigene Auto geht, nicht einmal um einen Lottogewinn, sondern schlicht um eine sichere und gesunde materielle Existenz.

Kaufen, kaufen?

Stichwort Finanzen: „Beim Thema Finanzen sind die Deutschen nicht besonders einfallsreich. 22 Prozent nannten als wichtigen Wunsch, dass sie einfach genug Geld haben. Vom Lottogewinn träumen mehr als sieben Prozent. Nur vier Prozent würden sich von der Fee zum Superreichen mit einem riesigen Vermögen machen lassen. Das ist insofern bemerkenswert, da etwa genauso viele Befragte sagten, sie würden sich einfach nur einen ausreichend bezahlten Job wünschen.“

Nicht besonders einfallsreich?

Es sind solche Volten im Text, die zeigen, dass auch der viel gerühmte „Spiegel“ sich nur als Sprachrohr der Werbewirtschaft versteht. Und dass dort auch niemand arbeitet, der weiß, wie es sich lebt, wenn das Geld niemals reicht, um auch nur einen Monat lang das Gefühl zu haben, unbehelligt leben zu dürfen.

Denn da steckt die unheimliche Triebkraft einer Gesellschaft, die den einen viel zu viel zugesteht und die anderen ganz bewusst knapp hält. Und das hindert nun einmal auch beim Denken. So wird unvorstellbar, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, in der jeder einen „ausreichend bezahlten Job“ hat und jede Schädigung von Ökologie und Klima einen saftigen Preis hätte.

Wenn also alle Alternativen, die dieses Land klimaschonend gemacht hätten, ein völlig anderes Prestige hätten. Aber das hätte dann etwas mit Gemeinsinn zu tun. Aber der wird ja in Deutschland nur beschworen, wenn man sich mit Klatschen billig freikaufen kann.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar