Er ist in der Geschichte Deutschlands und Europas ein zwiespältiger Tag, der 9. November. Wenn wir an den Fall der Mauer und die Friedliche Revolution 1989/90 denken, dann können wir nur mit Freude auf diesen Tag blicken. Dankbar auch dafür, dass durch dieses Ereignis sich das jüdische Leben in Ostdeutschland wieder frei entfalten konnte.

Wenn wir allerdings an den 9. November 1923, den Hitlerputsch denken, oder an den 9. November 1936, der Tag, an dem das Mendelssohn-Denkmal vor dem alten Gewandhaus von den Nazis entfernt und dann unauffindbar beseitigt wurde (dies führte zum Rücktritt des damaligen Oberbürgermeisters Carl Goerdeler, der von den Nazis nach dem 20. Juli 1944 ermordet wurde), dann müssen wir uns mit den dunklen Seiten der deutschen Geschichte auseinandersetzen.

Sie fanden mit der Zerstörung jüdischer Gottes- und Lebenshäuser in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ihren ersten, grausamen Höhepunkt. Was folgte, war die systematische Erniedrigung, die gewalttätige Demütigung und Ermordung von Millionen Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens – ein Verbrechen unvorstellbaren Ausmaßes, vollzogen unter den Augen der deutschen Bevölkerung.

Durch dieses waren und sind die Grundlage auch des christlichen Glaubens, die Grundlagen der Zivilisation bedroht. Das bedeutet: Wir müssen uns immer neu mit dem Verbrechen des Holocaust auseinandersetzen und dürfen dieses niemals nivellieren oder der Vergessenheit anheimgeben. Auch muss die Kirche sich immer wieder dem von ihr selbst gepflegten Antisemitismus stellen.

Doch damit erschöpft sich das Gedenken nicht. Der 9. November hat auch für die Demokratiegeschichte eine große Bedeutung. Am 9. November 1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die Deutsche Republik aus und besiegelte damit das Ende der Monarchie. Und am 9. November 1848 wurde der herausragende Leipziger Demokrat Robert Blum, Abgeordneter im Frankfurter Paulskirchenparlament, in Wien erschossen.

Gerade weil wir derzeit dem Generalangriff des Autokratismus auf die freiheitliche Demokratie ausgesetzt sind, ist das umfassende Gedenken an diesem Tag so wichtig. Wer sich vor Diktatur, Völkermord, autokratischer Willkür, Krieg schützen will, der muss hier und jetzt für Demokratie, Freiheit, Vielfalt eintreten und gerade am heutigen Tag Haltung zeigen.

Insofern war es ein Segen, dass am Montag dieser Woche Hunderte Leipziger Bürger/-innen verhindert haben, dass rechtsnationalistische Gruppierungen mit Fackeln an den Stolpersteinen für die Familie Frankenthal am Dittrichring vorbeiziehen konnten. Bedenklich nur, dass bei dieser Aktion die Generation derer weitgehend fehlte, die sehr viel dichter am Geschehen von 1938 und 1989 groß geworden ist. Das sollte sich am heutigen Tag nicht wiederholen.

Herzliche Einladung

17:00 Uhr Gedenkaktion an den Stolpersteinen für die Familie Frankenthal, Dittrichring 13, mit Frank Kimmerle (Ehrenvorsitzender des Erich-Zeigner-Haus e. V.), Friedrich Magirius (Städtepräsident a.D.), Dr. Anja Jackes (Kulturamtsleiterin), Christian Wolff (Pfarrer i.R.)

18:00 Uhr Gedenkveranstaltung der Stadt Leipzig an der Gedenkstätte in der Gottschedstraße mit Oberbürgermeister Burkhard Jung

19:00 Uhr Gottesdienst zum Gedenken an den 9. November 1938 mit Pfarrerin Britta Taddiken, Thomasorganist Johannes Lang und dem Synagogalchor Leipzig

Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de

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