Der „Kampf gegen Clankriminalität“ hat es dieser Tage wieder vermehrt in die Schlagzeilen geschafft. Medien berichten über „drastisch steigende Zahlen“ in Niedersachsen und „Massenschlägereien“ im Ruhrgebiet. Dr. Hatem Elliesie findet Begriffe wie „Clan“ und „Parallelgesellschaft“ unpassend bis irreführend. „Es werden gesellschaftliche Ressentiments gegenüber Personen aus dem Nahen Osten geschürt“, sagt der Forscher, der die Professur für Islamisches Recht am Orientalischen Institut der Universität Leipzig vertritt.

Bundesjustizminister Marco Buschmann hatte in der vergangenen Woche damit Schlagzeilen gemacht, dass sein Ministerium ein härteres Vorgehen gegen „Clankriminalität“ plane. „Der Minister schlug unter anderem vor, ‚spezielle Verbrechen der Clans auch auf unkonventionelle Weise‘ zu bekämpfen. ‚Beispielsweise indem wir die Statussymbole von Clanmitgliedern nach Straftaten einziehen, etwa deren Luxuskarossen, teuren Schmuck und Uhren.‘“, zitierte ihn der „Spiegel“ nach seinen Aussagen in der Springer-Zeitung „Bild am Sonntag“.

Doch diese Wortwahl ist höchst kritisch zu sehen, sagt Dr. Hatem Elliesie vom Orientalischen Institut der Uni Leipzig.

Herr Elliesie, das Wort Clankriminalität macht aktuell wieder die Runde. Sie haben sich stets gegen diesen Begriff ausgesprochen – warum?

Weil es sich bei dem Kompositum „Clankriminalität“ um ein vom Mediendiskurs, der Politik und Sicherheitsbehörden konstruierten Begriff handelt, der in Statistiken auf Nachnamen von Großfamilien rekurriert. In diese Statistiken fließen auch Ordnungswidrigkeiten und kleinere Vergehen ein. Dadurch werden gesellschaftliche Ressentiments gegenüber Personen aus dem Nahen Osten geschürt. Der wirksame Mythos, der Rechtsstaat sei durch Familien XY gefährdet, deckt sich so aber nicht mit unseren und uns bekannten empirischen Forschungsbefunden.

Vielmehr ist es doch äußerst bedenklich, wenn man grundlegende rechtsstaatliche Errungenschaften aufgibt, indem man nicht einmal mehr vorgibt, der Aufklärung konkreter Straftaten zu dienen, sondern aufgrund von Nachnamen und Herkunft per se eine Verstrickung in Straftaten unterstellt.

Gibt es dennoch die sogenannten rechtsfreien Räume? Wie sehen die aus?

Dies ist ein weiteres medientaugliches Schlagwort, das den eben genannten Mythos untermauern soll. Darunter versteht man allgemeinhin die Unfähigkeit des Staates, Gesetze bei einem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung durchzusetzen. Tumultlagen, wie wir sie beispielsweise in Berlin oder Nordrhein-Westfalen immer wieder erleben, sind polizeilich zuweilen zwar schwerlich und unter hohem Personaleinsatz in den Griff zu bekommen, es handelt sich deswegen aber noch nicht um einen rechtsfreien Raum.

Wie ich bereits an anderer Stelle gesagt hatte, gibt es, bezogen auf migrantische Milieus, in Deutschland keine rechtsfreien Räume. Bilder von blinder Zerstörung und eskalierender Gewalt, wie wir sie beispielsweise aus den Pariser Vororten kennen, sind uns fremd.

Wie und wo erforschen Sie die Communities, wie Sie statt Clans gemeinhin sagen – und was haben Sie bereits herausgefunden?

Meine Forschung, die meiner Forschungsteams und Forschungsverbundpartner findet grundsätzlich im ganzen Bundesgebiet statt. Es hat sich aber herausgestellt, dass die Phänomene der sogenannten Clankriminalität verstärkt in den Bundesländern Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen vorzufinden sind. Dort haben wir zahlreiche Interviews durchgeführt und Personengruppen im Alltag begleitet. Parallel dazu führen wir auch eine Studie in der Justiz und den Ermittlungsbehörden der Bundesländer durch.

So banal es auch klingen mag, alle Gesprächspartner/-innen bringen es auf einen wesentlichen Punkt: Die jahrzehntelang mangelnde Integrationspolitik, mit aufenthaltsrechtlichen Duldungen und fehlenden Arbeitserlaubnissen, hat kriminelle Strukturen gedeihen lassen. Nun, wo Flüchtlinge aus Syrien und der Ukraine mit besseren Förderprogrammen unterstützt werden, entstehen gesellschaftliche Spannungen, die sich in Gewalttätigkeiten entfalten, wie wir sie jüngst in Nordrhein-Westfalen erleben. Die Politik hat darauf noch keine Antwort.

Das Interview führte die Medienredaktion der Universität Leipzig.

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Es gibt 10 Kommentare

@Philipp Thorsten

Chapeau für diese “Argumentation”. Ein sehr eleganter und intelligenter Versuch, dem Thema aus dem Weg zu gehen.
Richtig: Diese Fragen muss man auch diesen “Clans” immer wieder stellen: Warum habt ihr euch damals an den Verbrechen der Nazis beteiligt und warum tut ihr es immer noch (wieder), bzw. warum arbeitet ihr eure Vergangenheit nicht auf?
Und falsch, weil das wiederum nichts mit dem Thema des Artikels und der daraus resultierenden Fragestellung zu tun hat. Auch wenn man Parallelen sehen könnte. Neudeutsch nennt man diese Methode “Whataboutism”, so habe ich es mir sagen lassen.

Also noch einmal die Fragen:

Gibt es kriminelle Großstrukturen in – einzelnen – arabischstämmigen Familienverbänden? Und wenn ja, wie soll man sie nennen?

Nicht ganz von der Hand zu weisen. Und da suchen Sie jetzt auch nach einem anderen Begriff für “Clan”, oder wie ist der Bezug zum Thema des Artikels?

Bei Deutschlands gefährlichsten Familien-Clans denke ich zuerst an den Jacobs-Klan, die Quandts und die Fincks, die den Faschismus förderten und von ihm profitierten und es teilweise schon wieder tun.

@cx
Ich weiß nicht was “Wording” sein soll, aber ich vermute iegendwie, es lässt sich wohl mit dem altbewährten Wort “Wortwahl” übersetzen, richtig?

Mir ist jetzt immer noch nicht klar, wie man bestimmte Personengruppierungen nennen sollte, wenn in derem nahen Umfeld gehäuft Schwer- und Schwerstkriminalität auftaucht. Haben Sie einen Vorschlag? Sie haben ziemlich viel geschrieben, aber meine Frage wurde nicht beantwortet.

Oder soll ich das so verstehen, dass es keine kriminellen Strukturen gibt? Gibt es denn ihren Informationen nach so etwas wie die Mafia, oder bilden sich z.B. die italienischen Strafverfolgungsbehörden so etwas nur ein? Diese Frage stelle ich, weil Sie selbst dieses Beispiel gebracht haben.

Und was haben Autofahrer, Radfahrer, Mountainbiker usw. mit Schwerkriminalität zu tun. Ok, manche fahren wirklich kriminell. Doch dies ist wohl eher ein symbolisches Bild 😉

Also:
1. Gibt es kriminelle Strukturen
2. Und wenn ja, wie soll man sie denn benennen.

Huch, jetzt bin ich ja schon wieder hartnäckig beim Nachfragen 😉

“Nun, wo Flüchtlinge aus Syrien und der Ukraine mit besseren Förderprogrammen unterstützt werden, entstehen gesellschaftliche Spannungen, die sich in Gewalttätigkeiten entfalten, wie wir sie jüngst in Nordrhein-Westfalen erleben. ”
Da würde ich mal einen Blick bei Wikipedia riskieren, wo die schon viel früher entstanden ist:
“Die Entstehung des Phänomens der Clan-Kriminalität geht bis in die 1980er-Jahre zurück.”
Quelle Wikipedia

Das Hinwenden zu illegalen Aktivitäten, wie z.B. Einbrüchen, Überfällen, Erpressungen, Drogen, Prostitution u.ä. wird also mit der mangelnden Integrationspolitik entschuldigt?
Mit dem “in Deutschland wohnen und zu Hause sein” verbinde ich das Anerkennen von hier gültigen Regeln und Gesetzen.

Ich denke nicht, dass der Begriff Clan-Kriminalität ausschließlich dem Nahen Osten (ein sehr dehnbarer Begriff) zugeschrieben ist.
Seit wann gehören z.B. Tschetschenen dazu?
NRW: Bei erfassten Straftaten sind der größte Anteil Verdächtiger mit Clan-Hintergrund deutsche Staatsbürger.
Clan-Kriminalität bezeichnet also eher eine Ansammlung von kriminell Werktätigen, verschiedener Kulturkreise.
Und das darf man gern auch als solche bezeichnen.

Dass der überwiegende ethnische Anteil auffälliger Clan-Strukturen vor allem arabischen Staaten Vorderasiens zugeschrieben wird, hat vermutlich damit zu tun, dass diese zahlenmäßig aufgefallen sind. Also selbstverdient.

Für mich hat diese Bezeichnung nichts mit einem Generalverdacht von Menschen ausländischer Herkunft zu tun. Das ist an den Haaren herbeigezogen.

Ich bin absolut dafür, dass Ausländern, oder auch Leuten mit ausländischen Wurzeln oder “nichtdeutschem” Aussehen nicht per Generalverdacht Kriminalität unterstellt wird. Aber ging es hier darum?

Wenn sich herausstellt, dass in bestimmten Gegenden gehäuft mit Messern und anderen Waffen umgegangen wird und Leute damit angegriffen werden, dann ist es für mich kein sinnloses “Stempel aufdrücken”, wenn dort für diese Gegend bestimmte repressive Maßnahmen getroffen werden. Das muss keine Waffenverbotszone sein, auch wenn ich die Idee erst mal gut finde, sondern auch die Förderung von Gendrifizierung kann da eine Möglichkeit sein. Denn Fakt ist doch: Nicht in jedem Stadtteil Leipzigs gibt es gleich häufig Schießereien, Messerangriffe oder Polizeieinsätze. So zu tun als gäbe es dort nichts weiter zu tun ist Irreführung der Leute.

Und wenn sich herausstellt, dass Kriminalität mit Netzwerken zu tun hat, na dann kann man das doch auch so nennen. Sollte hier etwa der Versuch gestartet werden, dass die besonders arbeitsteilige Organisation innerhalb von z.B. arabischen Familien (“Clans”) im erwiesenen Ermittlungsfall nicht mehr so genannt werden darf, um “keine Ressentiments zu verbreiten”?
Ich finde an solchen Netzwerken gar nichts mysteriös; eher mafiös.

Über Community Forscher Dr. Hatem Elliesie können sicher auch Toni Hamady und andere Habibis schmunzeln. Was der alles rausfindet, wow. Den vorletzten Satz darf man also so deuten dass Ukrainer und Syrer sich jetzt wegen verschiedener Fördermöglichkeiten gewalttätig entfalten? Was? Wie bitte? Wo? Seit wann? Dr. Hatem Elliesie hat auch keine Antworten, er hat noch nichteinmal die richtigen Fragen. Slawa Aleikum.

@Der Michel: “Clankriminalität” ist diskriminierendes Wording.
Früher sagte man zB “Mafia” zu allem was italienische Pizzerien usw war, heutige hat das auch eher eine andere Bedeutung.
Dahinter steht Verschwörungstheorie – in dem Sinne dass Menschen bestimmten Glaubens, nationaler Herkunft, bestimmter sexueller oder politischer Orientierung (was einem auch immer als Kategorie einfällt) durch ein mysteriöses Netzwerk getrieben die selbst gefühlte Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe gefährden.
Wanderer gegen Mountainbiker, Autofahrer gegen Radfahrer, was auch immer.

Polarisieren und Abstempeln ist für ein Zusammenleben nicht hilfreich, aber sehr populär, weil ist eingängig für den letzten Dummkopf (huch schon wieder Wording ;))

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