Kreuzer, Deutschlandfunk und LVZ berichteten vor einiger Zeit, dass der Student*innenrat der Universität Leipzig mit der „Stellungnahme zum Krieg in Israel und Palästina“ eine in Teilen antisemitische Erklärung verabschiedet hätte. Beeinflusst sein soll er dabei von linken Gruppen, maßgeblich dem Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband (SDS) Leipzig, den Kritischen Einführungswochen (KEW), Young Struggle, Handala und weiteren. Der SDS und die KEW wehren sich gegen diese Erzählung.

Auslöser der Diskussionen war ein Antrag namens „Keine Zusammenarbeit mit Unterstützer*innen des Terrorismus“, den der Referent für Hochschulpolitik, Paul Steinbrecher, gemeinsam mit dem ehemaligen Beauftragten für studentische Angelegenheiten an der Universität Felix Fink und dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft einreichte. Der Antrag wolle das Eindringen von „autoritär-hierarchischen und intrinsisch antisemitischen Gruppen“ in die Uni-Strukturen verhindern.

Die Delegierten der Fachschaftsräte lehnten den Antrag im Plenum des StuRa am 24. Oktober mehrheitlich ab, da sich die betroffenen Gruppen dagegen wehrten.

Im Antrag wird eine Liste von 13 Gruppen aufgeführt, mit denen der StuRa nicht zusammenarbeiten solle. Das hätte zur Folge gehabt, dass der Zugang zu Infrastrukturen der Universität erschwert oder komplett verhindert worden wäre.

Weiterhin hätte ein solcher Beschluss für zwei der Gruppen vermutlich das Aus ihres sogenannten Arbeitsgruppen (AG)-Status bedeutet: der Sozialistisch-demokratische Studierendenverband, der die Anti-AfD-Demo zur Immatrikulationsfeier organisierte, und die Kritischen Einführungswochen (KEW), für die das Entziehen des AG-Status nach eigenen Angaben das Ende bedeutet hätte. Die betroffenen Gruppen wurden im Vorfeld nach eigenen Aussagen nicht offiziell informiert.

Der Bericht des Deutschlandfunks suggeriert, dass unter anderem ein Ereignis am Hauptcampus der Universität auslösend für den Antrag war: Die Gruppe Zora zeigte eine Palästina-Flagge und rief die in Deutschland umstrittene Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“.

Diese Aktion fand am 20. Oktober statt, der Antrag für den Ausschluss der Gruppen wurde laut Felix Fink bereits am 18. Oktober gestellt. Gegenüber der Leipziger Zeitung äußerte Fink, dass eine Rede der Gruppe „Zora“ ihn zu dem Antrag veranlasst habe.

„Antrag öffnet Tor für politische Willkür“

Auf welcher Grundlage sollte der Ausschluss dieser Gruppen passieren? Im Antrag heißt es: „Jeglichen Organisationen, Vereinigungen, Einzelpersonen und Arbeitsgruppen des Stu-
dent*innenrates, die 1. Terrororganisationen wie die Hamas, den islamischen Dschihad oder die Hisbollah unterstützen, ihre Mittel rechtfertigen oder verharmlosen 2. terroristische Angriffe[1] unterstützen, rechtfertigen oder verharmlosen (…) wird jegliche Form der Unterstützung durch den Student*innenrat versagt.“

Einbezogen würden auch Gruppen, die mit diesen Gruppen kooperieren, ihre Inhalte verbreiten, ihnen Vorschub leisten oder geleistet haben. Nur „auf Basis einer vollumfassenden Distanzierung“ könnten diese Gruppen wieder die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit dem StuRa bekommen, heißt es im Antrag.

Die Definition davon, was als Unterstützung von Terrorismus gilt, war weit gefasst: „Unter ‚terroristischen Angriffen‘ verstehen wir Akte, die das Ziel haben, Menschen körperlich schwer zu schädigen oder sie zu töten.“

Kilian Fürstenau vom SDS, der sich mit dem Antrag auseinandersetzte und schließlich die „Stellungnahme zum Krieg in Israel und Palästina“ einbrachte, sagte im Gespräch mit der LZ: „Da würde jeder Soldat, der eine Waffe in der Hand hat, nach dieser Definition ein Terrorist sein, wie auch ein Opfer einer Gewalttat, das Notwehr übt. Bei so einer weiten Definition ist der Antrag entweder praktisch unanwendbar oder im schlimmsten Fall der politischen Willkür ausgesetzt. Die Gefahr ist, dass Einzelpersonen das ausnutzen, um Gruppen, die einem politisch nicht gefallen auf diese Liste zu setzen und bei anderen darüber hinwegzusehen. (…) Nach dieser Definition wäre auch das, was Israel tut, Terrorismus.“

Laut Antrag hätte der Ausschuss für Hochschulpolitik des StuRa „auf Antrag eines Mitglieds der Student*innenschaft binnen zwei Wochen über die Aufnahme weiterer Gruppen in den Geltungsbereich dieses Beschlusses“ entscheiden können. Nach Informationen von Insider*innen ist dieser Ausschuss momentan spärlich besetzt, eines der Mitglieder ist Antragsteller Paul Steinbrecher selbst.

Fink sagte gegenüber der LZ, dass er bei der Diskussion über den Antrag im Plenum durchaus verhandlungsbereit gewesen sei. Darauf sei aber nicht eingegangen worden. Er verteidigte auch die Entscheidungsmacht des Ausschusses für Hochschulpolitik. Er habe damit erwirken wollen, dass Gruppen, die „unwissentlich Beiträge von antisemitischen Gruppen“ teilen, die Möglichkeit bekommen, sich im kleinen Kreis zu erklären.

Auch habe man verhindern wollen, dass neue Gruppen die Inhalte übernehmen. Dazu Fink: „Hintergrund ist, dass die entsprechenden Gruppen mitunter recht kurzlebig sind. Schnell tauchen andere Gruppen mit ähnlicher Agenda und identischem Personal auf, weshalb ich die Möglichkeit zu einer schnellen Reaktion für notwendig hielt.“

Paul Steinbrecher wollte keine Stellung nehmen und verwies auf eine Einordnung des Stura zum Plenum am 24. Oktober.

Die Vorwürfe an SDS und KEW

Auf der Liste fanden sich nur Gruppen, die Solidarität mit Palästina ausdrücken und deren mutmaßliche Unterstützer*innen. Dem SDS wird im Antrag vorgeworfen, terroristische Angriffe zu unterstützen, zu rechtfertigen oder zu verharmlosen, sowie andere Gruppen zu unterstützen. Der Antrag begründet es damit, dass der SDS den Aufruf zu der Demonstration „Stoppt den Genozid in Gaza“ der ebenfalls im Antrag genannten Gruppe Handala, sowie weitere Beiträge zum Thema teilte. Außerdem ließ der SDS auf seiner Anti-AfD-Kundgebung zur Immatrikulationsfeier die im Antrag genannte Gruppe Zora reden.

Zudem heißt es in der Antragsbegründung: „Der SDS hat zudem auf Bundesebene ein Statement verfasst, indem sie den terroristischen Angriff der Hamas als ein einen erstmaligen gelungenen ‚Ausbruch aus dem Freiluftgefängnis‘ bezeichnen und fordern, dass man die ‚Ergebnisse‘ in ihrem historischen und gesellschaftlichen Kontext betrachten solle.“

Die KEW tauchen lediglich als Unterstützerin der fraglichen Gruppen auf. In der Antragsbegründung wird kritisiert, dass diese Gruppen „entgegen der Beschlusslage des StuRa“ Veranstaltungen im Rahmen der KEW durchführten und das Couch-Café betreuten.

KEW verteidigt sich

„Die KEW Leipzig haben sich noch nie zum Israel-Palästina-Konflikt geäußert“, heißt es in einer Stellungnahme der KEW. „Wir haben auch keine Beiträge auf Social Media dazu geteilt. Als lokale Veranstaltungsreihe sehen wir nicht, dass wir uns zu weltpolitischen Ereignissen positionieren müssen (auch wenn dies theoretisch denkbar ist) und haben dies bisher nicht getan. Dieses Jahr gab es in unserem Programm insgesamt 0 Veranstaltungen zum Themenkomplex Israel-Palästina.“

Sie schrieben außerdem, dass sie immer wieder Beiträge gegen Antisemitismus geteilt hätten, zum Beispiel zum Anschlag auf eine Synagoge in Halle und den Kiezdöner am 9. Oktober 2023. Eine Veranstaltung des Mitantragstellers „Junges Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft“ hatten die KEW nach eigener Aussage abgelehnt, mit der Rechtfertigung, dass diese laut KEW die Nakba und Kriegsverbrechen in Gaza leugneten, einen Waffenstillstand im Nahen Osten ablehnten und linken Jüdinnen und Juden ihre Identität absprächen.

Stellungnahme zum Krieg in Israel und Palästina

Kilian Fürstenau, Mitglied des SDS, stellte am 24. Oktober schließlich mit einigen betroffenen Gruppen einen Eilantrag unter dem Titel „Stellungnahme zum Krieg in Israel und Palästina“ zur Abstimmung. Lange wurde im Plenum des StuRa diskutiert, danach wurde die Stellungnahme angenommen.

„Es gibt politische Diskussionen um diesen Konflikt“, so Fürstenau. „Es gibt inhaltliche Unterschiede. Aber die sollten ausdiskutiert werden, anstatt mit der Keule rumzurennen und jedem, der eine andere Meinung hat, die Uni-Zugehörigkeit entziehen zu wollen. Das geht politisch meiner Meinung nach nicht.“

In der Stellungnahme wird den Opfern des Krieges in Israel und Palästina gedacht und die Attacken der Hamas, sowie die israelischen Bombardements, „denen Zivilist*innen im Gazastreifen schutzlos ausgeliefert sind“, verurteilt. Pauschale Demonstrationsverbote für Palästina-solidarische Versammlungen werden kritisiert. Der Eilantrag warnt vor der Stigmatisierung von Menschen mit Migrationsgeschichte.

„Der Student*innenRat steht solidarisch an der Seite all jener demokratischen Kräfte, die sich für eine friedliche Lösung des Krieges und der menschenrechtlichen Lage im Nahen Osten einsetzen und auf eine Zukunft hinwirken, in der alle Menschen in dieser Region in Frieden, Würde, Gleichheit und Sicherheit zusammenleben können“, heißt es in der Stellungnahme.

Die Stellungnahme spricht sich zudem für die Sicherheit von Jüdinnen und Juden in Deutschland aus und verpflichtet sich zum Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus.

Im letzten Absatz heißt es: „Der Student*innenRat wird differenzierte und kritische Veranstaltungen fördern, um umfassend Aufklärung über die reellen Lebensbedingungen vor Ort in Israel und Palästina zu betreiben. Dabei stützt er sich u.a. auch auf den im Februar 2022 veröffentlichten Bericht von Amnesty International und fördert kritisch differenzierte Wissenschaft in Zusammenarbeit mit den StuRa AGs.“

Kreuzer: „antisemitisch durchsetzt“

Über die genauen Bedingungen des drohenden Ausschlusses von Gruppen berichteten Kreuzer, Deutschlandfunk und LVZ in ihren Beiträgen nicht. Die verabschiedete Stellungnahme ist laut einem Kreuzer-Kommentar „hoch problematisch (und) antisemitisch durchsetzt“. Der Antisemitismus bestehe im fehlendem Hinweis auf das Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels, Verharmlosung der Hamas, sowie einseitigen Behauptungen über die Taten des israelischen Staates.

Auch schreibt er: „Bisher nicht verifizierte Hamas-Behauptungen wie ein Angriff auf ein Krankenhaus mit 500 Toten werden als belegt herangeführt.“ Diese Aussage lässt sich mutmaßlich wiederfinden in der Formulierung: „Vermeintlich sichere Fluchtrouten und Schutzorte werden bombardiert. (…) Die Bombardements von Krankenhäusern und Schulen stellen laut UN-OHCHR Expert*innen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.“

In der LVZ hatte Fürstenau die Stellungnahme bereits inhaltlich verteidigt: „Palästinensische Stimmen werden in der aktuellen Debatte nahezu gar nicht gehört oder sehen sich pauschal dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt.“

Gegenüber der LZ sagte Fürstenau: „Wer sowas (Antisemitismus-Vorwurf) behauptet, hat den Antrag nicht gelesen.“

Deutschlandfunk erzählt eine andere Geschichte

Im Beitrag des Deutschlandfunk kommen die Antragsteller*innen der „Stellungnahme zum Krieg in Israel und Palästina“ nicht zu Wort. Die Antifa-Referent*in des Stura wird zur Entscheidung des Plenums befragt. Auch berichtet der Deutschlandfunk, dass die KEW vom Stura organisiert seien. Die KEW werden jedoch von einer AG des StuRa organisiert. Dieses Jahr hatte der StuRa dieser AG die finanzielle Unterstützung entzogen, aufgrund ähnlicher Problematiken, wie sie nun zur Debatte stehen. Die Stellungnahme der KEW zur Diskussion wird ebenfalls nicht herangezogen.

Stefan H. (Name von DLF geändert) von der DIG wird im DLF-Beitrag zitiert, als es um die Bedeutung der Parole „From the river…“ und ihre Verwendung geht. Eine in deutschen Medien präsente und auch von H. vertretene Meinung stellt diese Parole so dar, dass sie das Existenzrecht Israels leugne und zu Ereignissen wie dem Angriff am 7. Oktober führe. Sie wird oftmals als antisemitisch bezeichnet. Pro-palästinensische Aktivist*innen betonen immer wieder, dass man eine demokratische Befreiung aller Palästinenser*innen fordere, auch jener, die in Israel leben und nach anderen Gesetzen verurteilt würden als andere Israelis.

LVZ: „… fest in linker Hand“

Die LVZ schrieb zum Thema: „(Der StuRa) ist in Leipzig fest in linker Hand: Der Sozialistisch-Demokratische Studierendenverband (SDS) ist der verlängerte Arm der Linkspartei in die Hochschulpolitik.“

Der SDS ist eine von mehreren Jugendorganisationen der Linken ist. Er muss sich jedoch nicht Beschlüssen der Partei unterwerfen. Beim Themenkomplex Israel und Palästina vertreten bekannte Leipziger Gesichter der Partei wie Michael Neuhaus oder Juliane Nagel andere Meinungen als der SDS.

Die Berichterstattung suggeriert eine Macht des SDS über den Stura. Anders als in anderen Städten wird der StuRa Leipzig nicht in Listen gewählt, sondern setzt sich aus stimmberechtigten Vertreterinnen aller 32 Fachschaftsräte, die von den Studierenden einer Fachschaft gewählt werden, zusammen, sowie aus einem ebenfalls gewählten Referent*innen-Team, sowie der Geschäftsführung. Diese treffen sich in regelmäßigen Plena und stimmen dort unter anderem über die vorliegenden Anträge ab. Politisch finden sich dort unterschiedlichste Positionen.

Die Geschäftsführung des StuRa veröffentlichte zum Plenum am 24. Oktober eine Stellungnahme, in der es unter anderem heißt: „Jedem Mitglied der Studierendenschaft ist das Recht gewährt, Anträge einzureichen und somit hat der Student*innenRat wenig Einfluss darauf, welche Positionen behandelt werden.“

Kreuzer bezieht sich auf fragwürdige Steinbrecher-Aussagen

In einem Kommentar bezieht sich hinsichtlich des Plenums am 24. Oktober maßgeblich auf Aussagen von Paul Steinbrecher. Im Kreuzer-Text heißt es auch, dass Steinbrecher bei dem Plenum nicht anwesend gewesen sei. Steinbrecher stellt die Mitglieder des Plenums als „überfordert“ dar, sagt, dass die betroffenen Gruppen in das Plenum „mobilisiert“ hätten, um „Rededominanz“ zu sichern und sagt, dass der Ursprungsantrag nicht abgestimmt worden sei.

Der Kreuzer schließt daraus, dass das Plenum auf einseitiger Grundlage eine problematische und antisemitische Erklärung verabschiedet hätte.

Das Protokoll der Sitzung ist zum Erscheinen dieses Textes noch nicht öffentlich. Kilian Fürstenau, der bei dem Plenum anwesend war, sagte gegenüber der LZ, dass über den Antrag abgestimmt worden sei und eine große Mehrheit ihn abgelehnt habe.

Er stellt auch die Rededominanz der vom Antrag betroffenen Gruppen, die Paul Steinbrecher behauptet hatte, infrage: „Die angesprochenen autoritären Gruppen haben sich zum großen Teil gar nicht zu Wort gemeldet in der Debatte. Im Gegenteil: Diejenigen, die negativ aufgefallen sind, waren eher die Unterstützer der Antragsteller. Da wurde sogar eine junge Frau ausgebuht, als sie ihren Redebeitrag hielt. Es war die andere Seite, die autoritär aufgetreten ist. Das lässt sich auch im Protokoll des Plenums nachlesen.“

Gegenüber der LZ wollte Steinbrecher sich nicht äußern.

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