Der erste Teil der Überschrift klingt wohl schon für ein in Berlin aufgewachsenes Kind im Alter von 10 Jahren bedrohlich, wenn Opas Dorf in der Uckermark oder in Oberbayern liegt. Wie mag es erst für ein gleichaltriges in Deutschland geborenes und aufgewachsenes Kind klingen, wenn es plötzlich nach Syrien, Äthiopien oder sonst wohin abgeschoben wird?

FRONTEX, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, hat jetzt eine Veröffentlichung namens „Mein Leitfaden zur Rückkehr“ herausgebracht, mit der sie versucht, eine Normalität für die Betroffenen vorzutäuschen. Unter dem Titel „Oh, wie schön ist Abschiebung“ hat sich Markus Reuter von NETZPOLITIK.ORG schon kritisch mit dem Thema befasst, dem ist aber noch einiges hinzuzufügen. Er schreibt von der Broschüre, die Kinder und Jugendliche auf die Abschiebung vorbereitet, ich zitiere:

„Denn sie ist ein zynisches Machwerk der Menschenverachtung. In euphemistischen Worten und in vermeintlich kindgerechter Sprache verniedlicht sie das Herausreißen Minderjähriger aus ihrem Leben – in illustrierter Ratgeberform.“

Dem Artikel wäre nicht viel hinzuzufügen, wenn es nicht den Teil „Handbuch für Eltern und Vormünder“ (ab Seite 57 der PDF-Datei) gäbe. Der hat es auch in sich, schauen wir uns das an.

Ein Hinweis zu den Bildern: FRONTEX stellt die abzuschiebenden Menschen, wie zu sehen, größtenteils als muslimisch geprägt dar. Wie wir alle wissen, betrifft es aber nicht nur diese Menschen, viele erkennt man äußerlich kaum als solche.

Der Teil „Das Gespräch mit Ihren Kindern über die Rückkehr“ (ab Seite 67) beginnt mit:

„Möglicherweise wollen Ihre Kinder nicht zurückkehren, sind glücklich, wo sie gerade sind, und haben kein Interesse an einem Umzug. Oder aber Ihre Kinder freuen sich darauf, Freunde und Verwandte wiederzusehen.“

Genau das klingt wie die Artikelüberschrift so schön beschwichtigend, wie: „Du fandest doch den Urlaub auf dem Dorf immer schön.“ Das Problem ist nur: Viele der Kinder kennen das Herkunftsland ihrer Eltern nicht, haben dort keine Freunde und mit den Verwandten ist das so eine Sache.

Was soll ein Mädchen denken, wenn die Mutter sagt: „Mein Vater und die anderen Männer der Familie wollten mich mit einem älteren Mann verheiraten. Das war der Grund, warum meine Mutter mich hierher gebracht hat.“

Soll das Mädchen denken: „Super, ich freue mich auf die Verwandtschaft“?

FRONTEX: Mein Leitfaden zur Rückkehr, Screenshot LZ
FRONTEX: Mein Leitfaden zur Rückkehr. Screenshot: LZ

Dafür gibt es unter „Wie können Sie Ihren Kindern helfen zu verstehen, wie das Leben in Ihrem Heimatland aussehen wird?“ einen Tipp: „Wenn Ihre Kinder Fragen stellen, beantworten Sie diese ehrlich und positiv.“

Die Mutter sagt dann also zur Tochter: „Dein Opa wird einen guten Mann für Dich finden.“ Soll das die positive Variante sein?

Der Folgesatz „Wenn es beispielsweise in dem Gebiet, in das Sie ziehen, viel Kriminalität gibt, sprechen Sie darüber, was Ihre Familie tun wird, um sich zu schützen“ könnte die Antwort des Vaters „Ich schließe mich einer Miliz an, sonst kann ich Euch nicht schützen“ nach sich ziehen. Immer schön ehrlich bleiben.

Im Teil „Über die praktischen Aspekte der Rückkehr sprechen“ wird es für besonders gut integrierte Menschen vollkommen absurd. Ja, es gibt migrantische Familien, die mit ihren Kindern Deutsch sprechen, deren Kinder in deutschen Schulen gute Leistungen haben. Kurz gesagt, die den Spracherwerb der Wahlheimat, wie von der Gesellschaft gefordert, in den Vordergrund stellen.

Für diese gilt nun:

„Wenn Ihre Kinder die Sprache Ihres Heimatlandes noch nicht vollständig beherrschen, sollten Sie sich mit den Möglichkeiten für Sprachunterricht nach ihrer Rückkehr befassen. Sobald sie die Sprache vollständig verstehen und sprechen können, wird es ihnen leichter fallen, sich einzuleben. Dies ermöglicht es ihnen, zu kommunizieren und neue Freundschaften zu schließen sowie eine bessere Vorbereitung auf die Schule.“

Hier gibt es mindestens zwei sprachliche Tricks der Agentur: Zum ersten ist es nicht das Heimatland der Kinder, sondern das Herkunftsland der Eltern. Das zweite ist, die Kinder können kommunizieren, haben Freundschaften geschlossen und sind bereits oft in der Schule.

Kommen wir zum Schluss. In „Die Zukunft / Zurück in Ihrem Heimatland“, hier muss nochmal betont werden: Es ist das Herkunftsland, steht zu lesen:

„Stellen Sie sich auf einen umgekehrten Kulturschock ein: Auch wenn es Ihre heimische Kultur ist, kann es sein, dass Sie sich erschöpft und gereizt fühlen, wenn Sie sich wieder an die Sprache und die örtlichen Verhaltensweisen anpassen müssen.“

FRONTEX: Mein Leitfaden zur Rückkehr, Screenshot LZ
FRONTEX: Mein Leitfaden zur Rückkehr. Screenshot: LZ

Die Bebilderung ist hier besonders perfide, das abgeschobene muslimische Paar, er mit Vollbart, sie mit Kopftuch, kommt in die Heimat zum „europäisch aussehenden“ Großelternpaar. Schlimmer geht’s kaum.

Da steht es „anpassen“, der blanke Hohn für Menschen, die sich hier integriert haben und jetzt gehen müssen. „Anpassen“ bedeutet oft den Schleier für Frauen, die diesen abgelegt hatten, Zwang zu religiösem Leben für Menschen, die wegen diesem geflüchtet waren und Leben in einer Diktatur für Menschen, die Freiheit wollen.

Wie man sich richtig anpasst, wird auch beschrieben:

„Kinder, insbesondere Jugendliche, benötigen möglicherweise Erklärungen zu kulturellen Unterschieden. Vielleicht gibt es Teile Ihrer Kultur, die ihnen nicht gefallen oder die sie sich zu akzeptieren weigern. Erinnern Sie sie daran, dass sie sich an eine Kultur anpassen können, ohne mit allen kulturellen Praktiken einverstanden zu sein. Helfen Sie ihnen dabei, Wege zu finden, um Ihre Kultur zu respektieren, ohne dabei wichtige Teile ihrer Persönlichkeit aufzugeben.“

Lassen wir das so stehen, in den europäischen Staaten versteht man unter Integration gemeinhin nicht Anpassung im beschriebenen Sinne. Für das Herkunftsland der Eltern soll das aber genügen.

Fazit: Die Broschüre für die Eltern ist, vorsichtig gesagt, eine Zumutung. Eine Abschiebung ist keine Rückkehr in ein Heimatland, es gab Gründe, dieses zu verlassen. Es wird in ein Herkunftsland abgeschoben. Für Kinder ist es oft nicht einmal das eigene Herkunftsland, sondern das der Eltern.

Egal, geht es nach FRONTEX, dann sollen die Eltern ihre Kinder beruhigen und ihnen bei der Anpassung helfen. Letzteres wird oft die Gesellschaft, in die abgeschoben wird, mit Zwang erledigen.

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