Mehr als 1.000 Menschen haben sich am Dienstagabend an der bislang wohl größten pro-palästinensischen Demonstration in Leipzig beteiligt. Teilnehmer*innen skandierten immer wieder „Hoch die internationale Solidarität“. Die Opfer des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023 waren damit aber offenbar nicht gemeint.
Mit der Parole „2 Jahre Genozid – 2 Jahre Widerstand“ hatte die palästinensische Gruppe Handala zu der Demonstration aufgerufen. Kritische Worte zum Hamas-Massaker seitens der Organisator*innen waren nicht zu erwarten, schließlich hatte Handala den 7. Oktober in der Vergangenheit mehrmals bejubelt beziehungsweise bestritten, dass es „Gräueltaten“ durch den „Widerstand“ gegeben habe.
Trotzdem erschienen laut Veranstalter*innen mehr als 1.000 Menschen bei dieser Demonstration am zweiten Jahrestag des Hamas-Massakers. Die Leipziger Zeitung schätzt die Zahl der Teilnehmer*innen auf 1.000 bis 1.500, was bedeutet, dass es sich um die bislang wohl größte Demo dieser Art in Leipzig gehandelt haben dürfte. Ähnlich äußerten sich auch die Veranstalter*innen auf der Abschlusskundgebung vor dem LVZ-Gebäude im Peterssteinweg.
Kritik an LVZ, Universität und Flughafen
Dorthin waren sie nach dem Start an der Eisenbahnstraße und dem Durchqueren der Innenstadt gezogen, um gegen die Berichterstattung der Zeitung zu protestieren. Diese habe sich „mitschuldig am Völkermord“ gemacht. Mehrmals gab es „Kommt runter“-Aufforderungen an die Mitarbeiter*innen. Tatsächlich dürften die meisten schon im Feierabend gewesen sein. Eine Teilnehmerin lief zum Gebäude, bespuckte die Scheibe und filmte sich dabei.
Redner*innen von Handala, „Young Struggle“, dem „Jüdisch-Israelischen Dissens“ und weiteren Gruppen waren auf der Abschlusskundgebung zu hören. Sie kritisierten unter anderem Waffenlieferungen über den Leipziger Flughafen und die Zusammenarbeit der Universität mit akademischen Einrichtungen in Israel. In der kommenden Woche soll an der Uni eine Kampagne namens „Akademische Komplizenschaft beenden“ starten.
Friedenspläne ohne Palästinenser*innen
Äußerst kritisch wurden die aktuellen Friedenspläne betrachtet. Palästinenser*innen seien bei den Verhandlungen außen vor geblieben und ausgerechnet Tony Blair soll den geplanten Frieden in Gaza verwalten. Auf der Demonstration wurde der ehemalige Premierminister des Vereinigten Königreichs wegen seiner Rolle im Irak-Krieg als „Schlächter“ bezeichnet.
Handala und die anderen Gruppen wünschten sich ein Ende der israelischen Besatzung und des militärischen Vorgehens im Gaza-Streifen – laut Redner*innen, Teilnehmer*innen und vielen internationalen Expert*innen ein Genozid.
Was an diesem 7. Oktober nicht zu hören war: Mitgefühl mit den Opfern des Hamas-Massakers. Stattdessen war beispielsweise auf einem Banner der kommunistischen Gruppe „Rote Wende“ mehrdeutig zu lesen: „Wo es Unterdrückung gibt, wird es Widerstand geben“. Zumindest in der Vergangenheit hatte die Gruppe betont, dass für die Hamas in einem „sozialistischen Palästina“ kein Platz sei – aktuell im Kampf gegen die „Unterdrücker“ aber wohl kein Weg an ihr vorbeiführe.
Steinmeier-Besuch in Synagoge kritisiert
Neben den Opfern in Israel mussten auch viele Jüd*innen in Deutschland auf Mitgefühl seitens der Demo verzichten. Eine Rednerin bezeichnete es als „absurd“, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier heute eine Synagoge in Leipzig besucht hat. Dabei sehen verschiedene staatliche und zivilgesellschaftliche Stellen einen deutlichen Anstieg von Antisemitismus innerhalb der vergangenen beiden Jahre.
Während in Leipzig das Hamas-Massaker eher indirekt zur Sprache kam, wurde es anderenorts offen bejubelt. In Berlin hatte ein Bündnis für den 7. Oktober zur Demo aufgerufen. Dort war im Aufruf von einem „heldenhaften Ausbruch aus dem Gefängnis“ die Rede; der Tag sei angesichts der jahrzehntelangen Vorgeschichte „gerechtfertigt“ gewesen.
Bemerkenswert: An dem Aufruf beteiligte sich auch eine Gruppe namens „Alliance of Internationalist Feminists“. Für diese Feminist*innen waren offenbar auch die sexuellen Gewalttaten durch Hamas-Mitglieder „heldenhaft“ und „gerechtfertigt“.
Selbstverständlich waren heute auch viele Äußerungen zu lesen, in denen das Leiden am 7. Oktober beklagt wurde, sich aber kein einziges Wort zu dem Leiden fand, das in den folgenden zwei Jahren an anderer Stelle stattfand und eine unmittelbare Folge des 7. Oktober war. Mitgefühl im Jahr 2025 reicht offenbar nicht mehr für alle, die es verdient hätten.
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Es gibt 2 Kommentare
Selten so einen guten neutralen Artikel hier in der Liz gelesen
Mitgefühl für alle gibt es manchmal in der Kirche.
Ich habe heute die SZ und die FAZ durchgeblättert. Da gibt es sehr viel Mitgefühl, sehr viele Beiträge für die Opfer des 7. Oktober und so etwas gibt es meiner Wahrnehmung nach nicht vergleichbar für die zahllosen anonymen Menschen, die in Gaza begraben liegen. Ich verfolge dieses Thema seit langem. Dazu gibt es einen absurden Beitrag Münklers über das harte Los der Asymmetrie im Krieg für Israel. Das muss man sich mal nüchtern geben.
In der Bundespressekonferenz wurde kürzlich aufbereitet, inwiefern Staatsräson und die aus dem GG der BRD bestehenden Pflichten zusammengehen. Das ist mal wirklich interessant:
“Jenseits der Staatsräson – eine neue deutsche Nahostpolitik | 2. Oktober 2025 | BPK”
https://www.youtube.com/watch?v=Z0ZrByF7eCM
Das geht uns neben der Verhütung von Antisemitismus auch alle an. Und zum Beitrag hier: Boykotte sind ganz klar durch das GG der BRD gedeckt und sie sind völkerrechtlich zulässig gegenüber einem Staat der Völkerrecht bricht – durch dauerhafte Aneignung völkerrechtswidrig besetzter Gebiete und Vertreibung. Die Verfemung der BDS in der BRD wird das zwar nicht stoppen, aber so sind die juristischen Fakten.
Ich hoffe die letzten Geiseln sind bald zuhause und darauf, dass Netanjahu keine neuen Vorwände geliefert bekommt, die Offensive in Gaza fortzusetzen. Und ich hoffe auch, dass viele Menschen in Israel wieder anfangen, die Palästinenser in Gaza als Menschen zu sehen, nicht länger so wie ihre Politiker. Die Zitate derselben sind leicht auffindbar und bedürfen keiner tiefen Analyse.