Am 6. Dezember ist Nikolaustag. Wer aber war dieser Nikolaus? Er wurde ca. 270 n. Chr. in Lykien geboren, einer Gegend in der heutigen Türkei. Schon mit 19 Jahren wurde Nikolaus zum Priester geweiht. Anfang des 4. Jahrhunderts fiel er Christenverfolgungen zum Opfer, saß im Gefängnis und wurde auch gefoltert. Sein ererbtes Vermögen hat er an bedürftige Menschen verteilt. Dieser Wesenszug hat später dazu geführt, Nikolaus als besonderen Menschen, eben als einen HEILIGEN zu verehren.

Nikolaus wurde Bischof von Myra. Myra liegt in der heutigen Türkei. Jetzt heißt die Stadt Demre. Aus dieser Zeit stammt eine der schönsten Legenden von Nikolaus. Legenden sind Erzählungen, die einen wahren Kern haben, aber gleichzeitig die Besonderheit eines Menschen oder eines Vorgangs fantasievoll ausschmücken. Damit sollen herausragende Wesenszüge verdeutlicht werden.

Das Wunder von Myra

Die Bischofsstadt Myra wurde in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts von einer großen Hungersnot heimgesucht. Die Menschen wandten sich hilfesuchend an Nikolaus, den Bischof von Myra. Nun fügte es sich, dass im Hafen von Myra ein Schiff vor Anker lag. Es hatte Getreide für den Kaiser in Rom (andere Fassungen der Legende nennen Byzanz, das heutige Istanbul, als Ziel) geladen. Nikolaus bat die Seeleute inständig, einen Teil des Korns auszuladen.

Damit könnten die Menschen vor dem Hungertod bewahrt werden. Doch die Seeleute wiesen die Bitte zurück. Das Korn sei genau abgewogen. Es dürfe nichts fehlen, wenn sie es beim Kaiser von Rom abliefern. Wenn doch, dann riskierten sie ihr Leben. Doch Nikolaus ließ nicht locker.

Er versprach den Seeleuten: „Ich werde für euch beten – und wenn ihr in Rom ankommt, dann werdet ihr feststellen, dass kein Gramm fehlen wird.“ Das veranlasste die Seeleute, Nikolaus einige Getreidesäcke zu übergeben. Als das Schiff dann in Rom (oder Byzanz) ankam und die Ladung gewogen wurde, stellten die Seeleute verwundert fest: Es fehlt kein Gramm, obwohl sie Getreide in Myra gelassen hatten. Dort aber reichte das Korn, um die Menschen zwei Jahre lang zu ernähren. Sie konnten es als Saatgut einsetzen.

Die Mathematik des Glaubens

Diese Geschichte erzählt etwas von der besonderen Mathematik des Glaubens. Wer das, was er besitzt, mit anderen teilt, hat am Ende nicht weniger, sondern mehr, als er vorher besaß. Ein Versuch lohnt sich: Du nimmst ein schönes, leckeres Stück Lebkuchen. Du hattest Dich so darauf gefreut, dieses Stück nur für Dich zu haben und allein essen zu können. Wenn Du nun den Lebkuchen in zwei Hälften teilst, dann hast Du zwei Stück Lebkuchen in der Hand, also das Doppelte von einem Stück.

Wenn Du dann noch das eine von den zwei Stücken jemandem schenkst, dann gibst Du etwas ab, ohne etwas zu verlieren. Denn Du hast ja immer noch ein Stück Lebkuchen. Und zusätzlich hast Du einem anderen Menschen große Freude bereitet. Das führt dann auch dazu, dass Du Dich freuen kannst und zwar doppelt: darüber, dass Du einem Menschen geholfen hast, und über den Genuss des Lebkuchens. Am Ende haben alle gewonnen, weil auch die, die geteilt haben, nichts verloren haben.

Die Reform des Sozialstaates

Selbst in der politischen Auseinandersetzung um die Reform des Sozialstaates kann es nicht schaden, sich an den Heiligen Nikolaus zu erinnern. Denn sein Werben dafür, das Ausreichende zu teilen, sowie das nicht gerade begeisterte, aber pragmatische Handeln der Seeleute zeugen davon, was umsichtiges und angstfreies Agieren bewirken kann.

Die Seeleute teilen das, was ihnen nicht gehört, was sie nicht selbst erwirtschaftet haben, mit denen, die Mangel leiden – ein schönes Bild für das, was im Blick auf Sozialgesetzgebung auch in den Parlamenten geschieht: Dort wird über Gelder entschieden, die sich nicht im Besitz der Abgeordneten befinden. Sie sind ihnen aber anvertraut. Ihnen liegen die Nikoläuse der Gesellschaft in den Ohren: Sorgt für gerechte Verteilung und fördert vor allem die, die nichts haben.

Es liegt also in der Verantwortung der Abgeordneten (Seeleute), dass es zu einem gerechten Ausgleich kommt, der Teilhabe am Leben ermöglicht. Dieser Ausgleich fällt umso leichter, wenn das „Weniger“ für die, die sehr viel besitzen, nicht als Verlust, sondern als Gewinn, als ein „Mehr“ verstanden wird; und wenn denjenigen, denen jetzt wieder Teilhabe möglich ist, diese auch abverlangt wird: nämlich mit dem Saatgut für das eigene Einkommen zu sorgen.

Christian Wolff, geboren am 14. November 1949 in Düsseldorf, war 1992–2014 Pfarrer der Thomaskirche zu Leipzig. Seit 2014 ist Wolff, langjähriges SPD-Mitglied, als Blogger und Berater für Kirche, Kultur und Politik aktiv. Er lebt in Leipzig und ist gesellschaftspolitisch in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens engagiert. Zum Blog des Autors: https://wolff-christian.de/ 

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar