Der Leipziger Suchtbericht ist eigentlich kein Suchtbericht, auch wenn ihn das Dezernat Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule bequemerweise so nennt, denn die meisten Sucht-Arten werden gar nicht weiter untersucht. Dafür spiegelt sich im Bericht die sächsische Law-and-order-Politik. Auch wenn man es tunlichst vermeidet, es so genau zu benennen. Die steigende Straftatenzahl in Leipzig hängt direkt mit der massiv verstärkten Kontrolltätigkeit der Leipziger Polizei zusammen.

Die hat Gründe, das stimmt. Nicht zu unrecht fühlen sich Menschen, die mit Drogen nun wirklich nichts zu tun haben wollen, im sogenannten Leipziger „Bahnhofsviertel“ bedrängt und verunsichert. Dort hat der Handel mit Drogen sichtbar zugenommen, versuchen vor allem junge Leute mit zumeist unsicherem Aufenthaltsstatus sich eine Art Lebensunterhalt aufzubauen, der mit legal nichts mehr zu tun hat.

Weshalb hier eigentlich auch andere Behörden gefragt wären, nicht nur die Polizei, die am Schwanenteich, auf dem Bahnhofsvorplatz, am Rabet und rund um die Eisenbahnstraße ihre Kontrolle auf Rauschgift massiv ausgeweitet hat. Die Ausweitung der Waffenverbotszone kann man ruhig auch in diesem Zusammenhang sehen.

Der ganze Berichtsteil zu „Repression“ im Suchtbericht wirkt wie eine Ohrfeige für die Leipziger Präventionspolitik. Dabei wissen Leipzigs Polizeidirektion und das Leipziger Ordnungsamt ganz genau, dass sie mit ihrer ausgeweiteten Repression das Drogenproblem nicht gelöst kriegen. Im Gegenteil: Da sie die Ursachen nicht beseitigen, bekämpfen sie immer nur die Symptome. Und sie verdrängen die Dealer und die Süchtigen in andere, bisher nicht betroffene Stadtgebiete.

So kann man lesen: „Die Schwerpunktgebiete der abgestimmten repressiven und präventiven Arbeit im Leipziger Osten sind nach wie vor der Koehlerplatz und das Rabet sowie der ,Rosengarten‘ zwischen Konstantinstraße und Jonasstraße. Es ist ein Abwandern der Klientel in andere Bereiche im Leipziger Osten zu beobachten, was auf den hochgehaltenen Kontrolldruck von Polizei und Ordnungsamt zurückzuführen ist.“

Das Märchen von der Einstiegsdroge

Es ist nicht die einzige Stelle, an der man merkt, dass der so fein abgestimmten Zusammenarbeit jede wissenschaftliche Grundlage fehlt – und jede Vorstellung davon, wie Suchtmechanismen funktionieren. Wieder einmal wird die – falsche – Behauptung von Cannabis als Einstiegsdroge kolportiert: „Die Gründe dafür sind unter anderem in der proaktiven Bekämpfung dieser Droge durch Polizei, Politik, Verwaltung und öffentlicher Aufklärungsarbeit zu suchen. Eine deutliche Zunahme ist dagegen bei den Substanzen Cannabis und Amphetamin zu verzeichnen. Cannabis findet zunehmend Akzeptanz, vor allem bei Jugendlichen und Heranwachsenden. Sie gilt als Einsteigerdroge schlechthin, weshalb gerade hier verstärktes Handeln von Polizei, Jugendhilfe und Bildungsträgern im Sinne einer gezielten Präventionsarbeit notwendig ist.“

Falsch: Die Einsteigerdrogen in Deutschland heißen Nikotin und Alkohol. Aber zu dieser Problematik findet sich fast nichts im Suchtbericht, außer dass die Alkoholabhängigen irgendwann in den Beratungsstellen der Stadt auftauchen. Und die Suchtmechanismen werden mit der Behauptung, die jungen Leute würden mit Cannabis ihre Drogenkarriere beginnen, auch nicht erhellt. Man findet auch nichts zu Medikamentenabhängigkeit, Spiel- und Computersucht.

Anteile der von der Polizei sichergestellten Substanzen. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2019
Anteile der von der Polizei sichergestellten Substanzen. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2019

Fast schon als kleine Distanzierung kann man es lesen, wenn das Dezernat Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule in seiner Mitteilung zum „Suchtbericht“ auf den ganzen wie ein Fremdkörper wirkenden „Repressions“-Teil der Polizei gar nicht eingeht, sondern lieber von der wirklich mühevollen Arbeit in den Beratungsstellen berichtet.

Zahlen zur Suchtberatung

So hat unter anderem die Nachfrage von Jugendlichen und ihren Angehörigen in der Jugenddrogenberatungsstelle mit 1.197 Beratungen im vergangenen Jahr zugenommen. „Suchterkrankungen sind für die betroffenen Menschen, deren Angehörige und Freunde mit viel Leid verbunden, insofern ist es wichtig, die Menschen frühzeitig zu erreichen und Hilfen anzubieten und mit Präventionsangeboten einer Suchtentwicklung vorzubeugen“, erklärt Bürgermeister Thomas Fabian.

Das erfordert differenzierte Angebote in der städtischen Suchthilfe, und Prävention ist wichtiger denn je. Die von der Stadt Leipzig geförderten Jugendschutzprojekte haben 6.000 junge Menschen erreicht. Das Projekt „Wandelhalle Sucht“ der Suchtselbsthilfe Regenbogen leistete dabei mit seinen ehrenamtlichen Mitarbeitern einen großen Beitrag zur Alkoholprävention: An 123 Veranstaltungen nahmen mehr als 1.620 Personen teil. Auch der Polizeidirektion kommt eine wichtige Rolle in der Leipziger Suchtpräventionslandschaft zu. Die Beamten organisierten 147 Veranstaltungen für gut 2.219 Schüler und Lehrkräfte.

Aufsuchende Angebote für alkohol- und drogenabhängige Menschen wurden ausgebaut und haben sich zu einem festen Bestandteil des Hilfesystems entwickelt. Fast 9.000 Kontakte zählten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Streetwork-Teams für Erwachsene 2018. Einen Schwerpunkt bildet dabei weiterhin der Kontakt mit wohnungslosen oder von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen.

Insgesamt verweisen die Daten aus den Suchtberatungsstellen für 2018 mit über 3.900 Fällen in der ambulanten Betreuung wie in den vergangenen Jahren auf eine hohe Inanspruchnahme der Beratungs- und Behandlungsangebote durch Suchtkranke und Angehörige.

Die meisten Klientinnen und Klienten kamen (siehe oben) wegen einer Alkoholabhängigkeit. Mit 1.589 Fällen (rund 40 Prozent) ist diese Gruppe am häufigsten vertreten. 1.550 Klienten haben sich wegen eines Missbrauchs oder einer Abhängigkeit von illegalen Drogen an die Beratungsstellen gewandt. 623 Fälle kamen mit einer Mehrfachabhängigkeit (keiner bestimmten Einzelsubstanz zuzuordnen) in die Beratungsstellen. 2018 wurden in 369 Fällen Cannabismissbrauch oder Abhängigkeit dokumentiert. Die Anzahl von Fällen mit einer Abhängigkeit von stimulierenden Substanzen (darunter Crystal Meth) lag bei 396 Fällen und bei Abhängigkeit von Opioiden bei 234 Fällen.

Und warum steigen dann die Fälle bei der Polizei?

Das wird im Grunde in den mitgegebenen Statistiken der Polizei selbst sichtbar. Denn die meisten Betäubungsmittel-Delikte werden erst dann registriert, wenn die Polizei gezielt daraufhin kontrolliert – entweder bei Verkehrskontrollen oder bei den Streifenkontrollen in den Schwerpunktgebieten. Wer mehr kontrolliert, findet mehr.

Mehr Polizeikontrollen = mehr Rauschgiftdelikte. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2019
Mehr Polizeikontrollen = mehr Rauschgiftdelikte. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2019

Allein das Polizeirevier Zentrum hat die Zahl der mit illegalen Drogen Erwischten von 278 im Jahr 2015 erst auf 605 und 647 in den Jahren 2016 und 2017 gesteigert. Und weil man 2018 noch mehr Streifen durchführte, wurde diese Zahl auf 1.055 gesteigert. Das sind die ganzen Bestreifungen im „Bahnhofsviertel“. Allein das hat die Btm-Fälle in Leipzig um über 400 steigen lassen. Und damit natürlich auch die Mengen an beschlagnahmten Drogen. Am stärksten übrigens bei Ecstasy, wo man die Zahl der sichergestellten Tabletten übers Jahr von 1.162 Stück auf 4.267 Stück steigerte.

Aber selten hat ein Leipziger Suchtbericht so deutlich gezeigt, dass die staatlich geforderte Repressions-Politik so überhaupt nicht mit der kommunalen Präventionspolitik zusammenpasst. Und so können wir in der Bilanz dieser letztlich reinen Symbolpolitik für einen hart durchgreifenden Staat genau dasselbe schreiben wir vor einem Jahr: „Auch verstärkter Einsatz der Polizei hat den Markt für Drogen in Leipzig nicht im mindesten gestört“. Man schaukelt sich gegenseitig hoch. Den Suchtbetroffenen aber hilft das nicht die Bohne.

Die Leipziger Sucht- und Drogenpolitik wird in interdisziplinärer Zusammenarbeit umgesetzt. Der Suchtbericht liefert neben aktuellen Daten der städtischen Suchtberatungsstellen und Kliniken Informationen über Projekte der Suchtprävention, Maßnahmen des Ordnungsamtes sowie kriminalstatistische Daten und Aktivitäten der Polizeidirektion. In jedem Kapitel des Berichts wurden besondere Entwicklungen und Herausforderungen hervorgehoben.

Auch verstärkter Einsatz der Polizei hat den Markt für Drogen in Leipzig nicht im mindesten gestört

Auch verstärkter Einsatz der Polizei hat den Markt für Drogen in Leipzig nicht im mindesten gestört

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