Vielleicht werden sich auch die Suchberichte der Stadt Leipzig einmal ändern, wenn ein neuer Bürgermeister / eine neue Bürgermeisterin die Verantwortung trägt. Vielleicht auch nicht. Denn solange Süchte nicht als Grundproblem einer Gesellschaft verstanden werden, die alles im Leben der Menschen zur Ware macht, wird auch mit harten und weichen Drogen falsch umgegangen, wird ein „Kampf gegen die Drogenkriminalität“ geführt, der kein Ziel und kein Ende hat.

Denn wenn der Bedarf an Suchtmitteln nicht sinkt, weil eine Gesellschaft selbst süchtig nach immer neuen Stimulanzien ist, dann wird es auch immer Produzenten der begehrten Ware geben, Dealer, die sie verteilen und Menschen, die alles tun, um an den begehrten Stoff zu kommen.

Neuer Bericht, keine Änderung

Der aktuelle Suchtbericht 2022 mit den Daten aus 2021 liegt seit Mittwoch, 21. September, vor. Er weist darauf hin, dass der Konsum von illegalen Drogen weiterhin hoch ist, der Konsum von Stimulanzien und Cannabis ist leicht gestiegen.

Unter den Fällen mit illegalem Drogengebrauch befinden sich zum größten Teil Abhängige von Stimulanzien (826 Fälle), zu denen u. a. Crystal Meth gehört (2020: 808 Fälle). Die zweitgrößte Gruppe bilden Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten mit 569 Fällen (2020: 546 Fälle). Die Zahl der Opioidabhängigen (darunter Heroin) liegt bei 404 Fällen und hat damit im Vergleich zu 2020 um 44 Fälle abgenommen (2020: 448).

Das sind zumindest die Zahlen aus den Suchtberatungsstellen, wo jene Menschen auftauchen, de zumindest eingestehen, dass die Sucht ein Problem für sie ist. Die meisten Konsumenten tauchen dort gar nicht auf.

Die Gesamtauswertung zeigt, dass in den Suchtberatungsstellen 1.919 Personen wegen des Gebrauchs illegaler Drogen und 1.526 Personen mit einer Alkoholproblematik betreut wurden. Im Vergleich zum Jahr 2020 sind beide Fallzahlen etwas gesunken (illegale Drogen: 1.947 Fälle; Alkohol: 1.612 Fälle).

Insgesamt wurden in den neun Suchtberatungs- und Behandlungsstellen 4.139 Fälle betreut, wovon 3.685 Fälle Personen mit eigener Suchtproblematik betrafen und 454 Fälle auf die Angehörigen von Suchterkrankten zurückgehen. Die Fallgesamtzahl hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr um 217 Fälle verringert (2020: 4.356).

Was die Polizei dazu sagt

Natürlich hat die Polizei ganz andere Zahlen. Sie betrachtet das Phänomen auch nicht aus der Sicht von Hilfe und Prävention, sondern als Kriminaldelikt.

Und da gibt man sich geradezu kampferprobt:

„Die Ermittlungsergebnisse zeigen, dass sich die Kreisfreie Stadt Leipzig zum Anlaufpunkt in der Dealer- und Konsumentenszene entwickelt hat. Es haben sich feste Beschaffungs- und Anbieterstrukturen entwickelt, denen offenbar jede Art von illegalen Drogen zur Verfügung steht. Vorwiegend albanische und syrische Tätergruppierungen spielen in diesen Strukturen eine wesentliche Rolle.

Die Täter beschaffen zunächst die Betäubungsmittel, lagern sie in Leipzig und verkaufen sie dann an ihre Abnehmer. Es gibt Hinweise darauf, dass Betäubungsmittel von Leipzig aus in andere Bundesländer transportiert und verkauft werden.

Die Absprachen hierzu finden in verschiedenen Lokalen, Wohnungen und anderen weitgehend von der Öffentlichkeit abgeschirmten Bereichen statt. Diese Vernetzung der Täterschaft bis in andere Bundesländer hinein deutet auf eine zunehmende Verfügbarkeit von Betäubungsmitteln sowie eine hohe Nachfrage hin.“

Fahren unter Betäubungsmitteln. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2022
Fahren unter Betäubungsmitteln. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2022

Was man auch als Eingeständnis lesen kann, dass die Polizei nicht weiterkommt und – egal wie wie viele kleine Dealer sie von der Straße fängt – an die großen Marktstrukturen gar nicht herankommt. Und das Wegfangen dieser Straßendealer nutzt auch nichts. Denn gerade die gut situierten Käufer werden niemals irgendwo in Bahnhofsnähe herumlaufen, um an ihre gewünschte Ration zu kommen.

Denn, so die Polizei: „Außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung findet der Handel im Internet statt, welches sich als Vertriebs- und Bezugsmöglichkeit etabliert hat. Käufer empfinden in der vermeintlichen Anonymität des Internets mehr Schutz vor Strafverfolgung, da beim Erwerb kein persönlicher Kontakt zu Straßenhändlern aufgenommen werden muss. Hierzu werden vorwiegend Handelsplattformen im Darknet genutzt.“

Fein säuberlich nach Nationen sortierte Tatverdächtige. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2022
Fein säuberlich nach Nationen sortierte Tatverdächtige. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2022

Diese Konsumenten erwischt man dann bestenfalls mal, wenn sie bei einer Straßenverkehrskontrolle auffallen.

„Für den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021 wurden für das Stadtgebiet der Kreisfreien Stadt Leipzig im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Leipzig 609 (2020: 461) toxikologische Gutachten von Blutuntersuchungen anlässlich eines Verkehrsgeschehens statistisch erfasst. Der Nachweis von Betäubungsmitteln war in 540 (2020: 399) Fällen positiv (89 %), wovon 7 % im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall nachgewiesen wurden.“

Verkehrsdelikte und Kontrollschwerpunkt

Gegenüber den Vorjahren ist das Fahren unter Einfluss von Betäubungsmitteln deutlich angestiegen. Natürlich hat man es in all den Fällen mit Fallzahlen zu tun, die eng mit der Kontrolltätigkeit der Polizei zu tun haben. Mehr Kontrollen bedeuten auch mehr angezeigte Fälle.

Aber die steigenden Fallzahlen über mehrere Jahre hinweg deuten zumindest an, dass mehr Konsumenten auch unter Drogeneinfluss im Auto unterwegs sind. Und auch, dass der Verfolgungsdruck kaum Einfluss auf den tatsächlichen Konsum hat.

Und der „Suchtbericht“ widmet dem Verfolgungsdruck gerade im Leipziger Osten eine Menge Platz.

„Der Leipziger Osten bleibt aus polizeilicher Sicht ein stark frequentierter Betäubungsmittel-Hotspot. Schwerpunkte waren 2021 der Bernhardiplatz zwischen Lilienstraße und Hermann-Liebmann-Straße sowie die seit mehreren Jahren als Aufenthaltsort bekannte Grünfläche an der Koehlerstraße (umgangssprachlich als Koehlerplatz bezeichnet). Die Klientel auf dem Koehlerplatz konnte in den vergangenen Jahren durch eine stetige und konstante Kontrolldichte langfristig in andere Bereiche verdrängt werden“, kann man da lesen.

„Die Coronapandemie 2021 verschärfte in diesem Bereich allerdings die Situation wieder, da sich durch die geringere Kontrolldichte von Polizei und Ordnungsamt aufgrund der schwerpunktmäßigen Kontrollerfordernisse zu den Sächsischen Corona-Schutzverordnungen der Aufenthalt der Klientel erneut verfestigt hatte. Gleichwohl fanden weiterhin Bestreifungen und Kontrollen an den Schwerpunkten statt, um eine dauerhafte Etablierung der Szene zu verhindern und diese in Bewegung zu halten.

Bei durchgeführten Kontrollen und Präsenzstreifen werden bei Feststellungen von Vorkommnissen konsequent als polizeiliche Maßnahme nach dem Sächsischen Polizeibehördengesetz eine Platzverweisung ausgesprochen und das Klientel somit zum Gehen aufgefordert.“

Ergebnis: Verdrängung an andere Orte. Problem keineswegs gelöst.

Denn die Sucht ist tief in breiten Schichten der Gesellschaft verankert. Im Leipziger Osten tauchen eher nur die ärmeren unter den „Klienten“ auf. Die anderen lassen sich beliefern. Ware frei Haus.

Eine echte Ursachenanalyse wird man im Suchtbericht nicht finden. Er berichtet im Grunde nur über Zahlen. Auch über die an Suchtmitteln Gestorbenen: „Im Jahr 2021 wurden insgesamt 13 Rauschgifttote (vier Personen im Landkreis Leipzig, zwei im Landkreis Nordsachen und sieben in der Stadt Leipzig) registriert. Das Durchschnittsalter der Verstorbenen betrug 54 Jahre. Die Verstorbenen waren zwischen 15 und 58 Jahren alt.“

Zur Präventionsarbeit

Die Leipziger Sucht- und Drogenpolitik basiert auf interdisziplinärer Zusammenarbeit und ist durch eine gute Kooperation und Vernetzung verschiedener Behörden und Institutionen gekennzeichnet. Der Bericht bildet nicht nur die Daten von Suchtberatungsstellen ab, sondern ebenso von Kliniken, Projekten der Straßensozialarbeit, der Suchtprävention, des Ordnungsamtes sowie der kriminalstatistischen Daten der Polizeidirektion, betont die Verwaltung.

Aufsuchende Angebote für alkohol- und drogenabhängige Menschen wurden mit dem Hilfebus weiter ausgebaut. Im Jahr 2021 haben die Streetwork-Teams für Erwachsene insgesamt 14.380 Kontakte gezählt, von denen der Großteil mit wohnungs- und obdachlosen Personen (8.130 Kontakte) stattfand.

Die Zahlen zeigen, dass differenzierte Angebote in der Suchthilfe notwendig sind. Suchtprävention spielt dabei eine große Rolle. Die von der Stadt Leipzig geförderten Jugendschutzprojekte haben im vergangenen Jahr 3.630 Kinder und Jugendliche erreicht. Die Polizeidirektion organisierte zusätzlich 72 Präventionsveranstaltungen für 1.210 Schülerinnen und Schüler, 130 Pädagoginnen und Pädagogen sowie 74 Eltern.

Der Suchtbericht ist unter www.leipzig.de/suchthilfe als Download zu finden.

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