Am Mittwoch, 24. Februar, veröffentlichte das Dezernat Soziales, Gesundheit und Vielfalt den Suchtbericht der Stadt Leipzig für das Jahr 2020. Es ist ein Dokument des Scheiterns – mal zugespitzt formuliert, denn natürlich erzählt es auch von all den unerlässlichen Bemühungen in der Prävention. Aber wer die Wurzeln einer süchtigen Gesellschaft nicht angeht, bekommt steigende Fallzahlen.

Und dazu kommt natürlich das verlogene Denken der ach so braven bürgerlichen Politik, die gern so tut, als hätte ihr Agieren mit den Suchtproblemen der Menschen so gar nichts zu tun. Dabei ist die Anfütterung aller möglichen Süchte sogar Grundlage einer völlig enthemmten Konsumgesellschaft.Auch wenn manche Süchte, mit denen große Konzerne richtig viel Geld machen, im Suchtbericht gar nicht oder nur marginal auftauchen. Man wettert lieber gegen die verpönten und verbotenen Suchtmittel, als könnte man sie mit brachialer Politik aus der Welt schaffen.

Zu den gesellschaftlich geduldeten Süchten gehören ja solche Dinge wie Zucker-, Nikotin- und Fresssucht, ungesunder Medienkonsum, Spielsucht, Internetabhängigkeit und Medikamentenabhängigkeit, um nur ein paar der „genehmen“ Süchte aufzuzählen, die allesamt auch ihre gesundheitlichen Folgeschäden haben.

Aber statistisch erfasst werden ja nur die sanktionierten Süchte. Sie tauchen im Suchtbericht allesamt unter dem Titel „Repression“ auf – mit entsprechend sinnlosen Forderungen.

„In Bezug auf den Leipziger Osten, als aus polizeilicher Sicht am stärksten frequentierten Betäubungsmittel-Hot-spots, bestehen weiter die Schwerpunkte im ,Rosengarten‘ zwischen Konstantinstraße und Jonasstraße sowie im Rabet. Festgestelltes Klientel wird konsequent des Platzes verwiesen. Nur durch den anhaltenden Kontrolldruck von Polizei und Ordnungsamt wird eine Verfestigung szenetypischer Orte verhindert“, kann man da zum Beispiel lesen, als wenn dieser Kontrolldruck das Mindeste am Problem ändern würde.

Tatsächlich wird die Szene immer wieder nur verdrängt. Die Zahl der Drogenabhängigen aber sinkt nicht. Im Gegenteil. Die Fallzahlen steigen.

Die ganze Widersprüchlichkeit der ausgeübten Repression wird deutlich, wenn im Suchtbericht zu lesen steht: „Gerade im Schwerpunktbereich des Leipziger Ostens ist festzuhalten, dass der Klientel sukzessive die Rückzugsmöglichkeiten genommen werden und damit das anhaltende Verdrängen in den öffentlichen Raum unausweichlich ist. Durch die fortwährenden stadtplanerischen Umsetzungen und die Aufwertung von Gebäudestrukturen besteht für die Szene weiterhin anhaltend der Druck, den Betäubungsmittelkonsum auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen oder in Grün- und Erholungsanlagen auszuüben. Hier müssen die Verantwortlichen über vertretbare alternative Lösungen nachdenken, die zum einen die Suchtkranken nicht als eine Störung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung deklarieren …“

Betäubungsmitteldelikte im Straßenverkehr

Mit der „Klientel“ sind übrigens vor allem die Suchtbetroffenen gemeint – und zwar vor allem die, die auf den Straßenkauf angewiesen sind. Die etwas besser Etablierten kommen auf anderen Wegen an ihren Stoff – und werden dann auch schon mal im Straßenverkehr aufgrund auffälligen Fahrverhaltens oder diverser Unfälle aufgegriffen.

Dort steigen die Zahlen drastisch an, wie im Bericht zu lesen ist: „Die Fahrerlaubnisbehörde erhielt im Jahr 2019 von der Polizei, der Staatsanwaltschaft und dem Kraftfahrt-Bundesamt in 2.348 Fällen Informationen über Betäubungsmitteldelikte. Diese Zahl ist gegenüber dem Jahr 2018, in dem 1.662 Mitteilungen erfolgten, deutlich angestiegen. Es ist ein Zuwachs von 686 Mitteilungen festzustellen. Damit hat sich die Anzahl der eingegangenen Mitteilungen über Betäubungsmitteldelikte innerhalb der letzten 5 Jahre nahezu verfünffacht.“

Hier wird das sichtbar, was man mit der Repression in der Ostvorstadt versucht, aus dem öffentlichen Bild zu verdrängen. Parallel blieb die Zahl der festgestellten Alkoholdelikte auf dem Stand der Vorjahre.

Und eigentlich würde man nach all den Erfolgsmeldungen zur Repression der Drogenszene erwarten, dass irgendwann die Zahlen zurückgehen, weil alle Dealer im Gefängnis sitzen und die Drogenabhängigen alle im Entzug sind. Doch je mehr die Polizei kontrolliert, umso mehr Verstöße stellt sie fest: „Die Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ergab für das Jahr 2019 insgesamt 3.785 erfasste Rauschgiftdelikte. Im Vergleich zum Vorjahr, in welchem 3.684 Rauschgiftdelikte erfasst wurden, ist hier ein Anstieg von + 2,7 % zu verzeichnen, abweichend vom Trend der Gesamtstraftatenentwicklung. Von den registrierten Fällen wurden 3.326 (2018: 3.186) mit insgesamt 2.973 Tatverdächtigen (2018: 2.882) aufgeklärt. Die Aufklärungsquote stieg von 86,5 % (2018) auf + 87,9 %.“

Wobei: Es handelt sich in fast allen Fällen um kleine und kleinste Fische. So formuliert es auch der Suchtbericht: „Gründe für das hohe Niveau im Rauschgifthandel sind zum einen die hiesigen Tatgelegenheiten, insbesondere Crystal kann zu niedrigen Einkaufspreisen in Grenznähe erworben und mit hohen Gewinnen weiterverkauft werden. Zum anderen lassen sich Cannabis und Amphetamin verhältnismäßig leicht herstellen und gewinnbringend veräußern. Der Vertrieb geschieht nach polizeilicher Erfahrung durch Ameisenhandel: Dealerinnen und Dealer bieten die Betäubungsmittel in Kleinstmengen an und Konsumenten erwerben die Drogen in der Regel zum Eigenverbrauch.“

Wie wird jemand zum Dealer?

Und dass es dabei den Repressionsbefürwortern überhaupt nicht um die Suchtbetroffenen geht, wird dann in der Passage deutlich, in der die ökonomische Dimension der Drogenabhängigkeit formuliert wird: „Die Kosten zur Finanzierung der Sucht eines chronisch abhängigen Konsumenten harter Drogen dürften bei etwa 50 bis 80 Euro pro Tag liegen. Allerdings kann das Ausmaß der Kosten für Folgeschäden von Beschaffungskriminalität nicht beziffert werden. Aufgrund der oft ungenügenden finanziellen Ausstattung von Konsumentinnen und Konsumenten harter Drogen ist davon auszugehen, dass dieser Bedarf in erster Linie durch die Begehung von Straftaten der indirekten Beschaffungskriminalität gedeckt wird.“

„Dies indizieren auch Aussagen der Betroffenen und polizeiliche Ermittlungen. In der Gesamtbetrachtung muss der direkte wirtschaftliche Schaden als hoch eingeschätzt werden, und das auch deshalb, weil sich der Ankaufpreis für Hehlgut weit unter 50 % des Zeitwerts bewegt und daher entsprechende Mengen entwendet werden müssen. Zudem entstehen hohe Schadensummen auch durch die Beifügung von Personen- und Sachschäden zur Erlangung des Hehlguts. Medizinische Folgekosten (Raubopfer), Gebäudeschäden (Türen, Fenster, Schlösser), Schäden an Kraftfahrzeugen (Scheiben, Armaturen, Schlösser, Elektronik) sind hier beispielhaft zu benennen.“

Verdammt teure Sucht, könnte man sagen.

Und verdammt erfolglose Repressionsarbeit im Bahnhofsviertel.

„Die Fallzahlen im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln steigen im Bereich der PD Leipzig stetig an“, kann man da lesen. „Rauschgiftkriminalität ist Kontrollkriminalität. Der weit überwiegende Anteil der polizeilichen Erkenntnisse zu diesem Phänomen wird durch eigeninitiierte Kontrollmaßnahmen der operativen Einheiten gewonnen. Die tatsächliche Entwicklung der Rauschgiftkriminalität lässt sich daher an den Fallzahlen nur eingeschränkt ablesen. Trotzdem wird davon ausgegangen, dass weniger aufgrund des hohen Kontrolldrucks, gerade im Zentrum von Leipzig, sondern eher aufgrund eines weiterhin allgemeinen Anstieges der Zahl von Konsumentinnen und Konsumenten und der hohen Verfügbarkeit verschiedener Betäubungsmittel die Fallzahlen tendenziell weiter zunehmen werden.“

Und statt die Vertreibung der „Szene“ aus dem Bahnhofsviertel bilanzieren zu können, vermerkt der Bericht, dass sich wohl eine mittlerweile versteckfreudige Szene am Hauptbahnhof etabliert hat.

Das Herz der Konsumgesellschaft

In einer vernünftigen Welt würde man an so einer Stelle die Strategien ändern und anfangen, darüber nachzudenken, warum immer mehr Menschen zu Drogen aller Art greifen. Was ist da los, mitten im Herzen unserer Gesellschaft?

Aber da müsste man sich mit der Rolle der Sucht als Triebkraft einer entfesselten Marktwirtschaft beschäftigen, was man an Hochschulen genauso ungern tut wie in Stadtverwaltungen und Polizeidienststellen.

Und da nun einmal nur die „harten Drogen“ in den Blick geraten, wenn die Polizei kontrolliert, bleiben all die soften Drogen, mit der sich noch viel mehr andere Menschen den Kopf wegkicken, völlig im Dunkeln.

Und eine Portion Homophobie steckt auch im Bericht, wenn da zu lesen ist: „In den genannten Schwerpunktbereichen werden vorwiegend durch männliche Personen nordafrikanischer Herkunft Cannabisprodukte in Form von Marihuana und Haschisch und zunehmend Ecstasy angeboten. Insgesamt 27,4 % (2018: 26,1 %) der insgesamt 2.973 (2018: 2.882) ermittelten Tatverdächtigen sind Nichtdeutsche, bezogen auf die Handelsdelikte beträgt der Anteil 43,9 % (2018: 39,1 %).“

Ohne dass übrigens analysiert wurde, warum gerade junge farbige Männer in diese Szene geraten – oder vielleicht besser: hier zum Anschaffen verdammt sind. Denn auch das Dealen hat eine Menge mit Prostitution zu tun.

Das Fazit, das die Autoren des Kapitels dann ziehen, ist so unlogisch wie in den Jahren zuvor: „Eine wirkungsvolle Drogenpolitik muss ausgewogen sein. Sie steht in dem schwierigen Spannungsverhältnis, der Entstehung von Sucht durch Prävention zu begegnen, Hilfen für suchtkranke Menschen zu gewährleisten und Drogenkriminalität einschließlich der indirekten Beschaffungskriminalität zu bekämpfen. Dieses Spannungsverhältnis aufeinander abgestimmt zu lösen, kann nur über eine konstruktive Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure gelingen.“

Dieses „Spannungsfeld“ lässt sich nicht „aufeinander abgestimmt lösen“. Es lässt sich überhaupt nicht lösen, wenn man sich der Rolle der Sucht in einer völlig enthemmten Konsumgesellschaft nicht bewusst werden will.

Im nächsten Suchtbericht werden wir weiter steigende Zahlen finden, denn der Druck steigt – auf „systemrelevante“ Arbeitskräfte genauso wie auf die, die in „Bullshit-Jobs“ gelandet sind. Und die wirklichen Drogendealer werden weder kontrolliert noch zur Kasse gebeten. Sie sind ja die leuchtenden Vorbilder unserer immer exzessiver werdenden Gesellschaft, die selbst im Angesicht absehbarer Katastrophen unfähig ist, ihr Verhalten zu ändern.

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