Fast zwei Jahre ist es her, dass wir zum ersten Mal mit dem Team der Leipziger Poliklinik in Schönefeld gesprochen haben. Im März 2020 hatte die Einrichtung gerade seit ein paar Monaten ihre Arbeit aufgenommen: Unter einem Dach können die Menschen hier verschiedene Angebote wahrnehmen, wie die psychosoziale Beratung, ergotherapeutische Anwendungen, Entspannungsgruppen oder eine allgemeine Gesundheitsberatung, oder sie werden von hier aus weitervermittelt. Seit der Eröffnung erhält die Klinik großen Zulauf.

Wie hat sich die Arbeit vor Ort seitdem entwickelt? Was das Team von Beginn an gemerkt hat: Der Bedarf an Beratung und Unterstützung ist da. Das erste Angebot, die psychosoziale Beratung, wurde von Anfang an gut angenommen, erzählen Mai Makosch und Jonas Löwenberg, die sich beide im Team des „Solidarisches Gesundheitszentrum Leipzig e. V.“ engagieren, welcher die Poliklinik Leipzig betreibt.

„Die Angebote, die wir bisher haben, sind sehr gefragt. Unsere interdisziplinäre Sprechstunde beispielsweise wird regelrecht überlaufen. Sie findet einmal in der Woche für jeweils vier Stunden statt. Das Interesse und vor allem die Nachfrage hier im Stadtteil waren ja schon da, bevor wir überhaupt da waren.“ Den Standort Schönefeld wählte der Verein nicht ohne Grund: „Der Stadtteil ist unterversorgt, was medizinische Beratungsstellen und Arzt- oder Psychotherapiepraxen angeht. Das ist deutlich sichtbar auf der Karte.“

Förderungswürdig oder nicht?

Dennoch sind solche sozialen Angebote vorrangig auf Förderungen und sich im Ehrenamt engagierende Personen angewiesen. Auch die Arbeit in der Poliklinik ist jedes Jahr aufs Neue nicht „in trockenen Tüchern“. Der Verein hofft neben der Zusage für Finanzmittel aus einer noch ausstehenden Förderung darauf, dass der im Februar 2023 behandelte Leipziger Doppelhaushalt für 2023 und 2024 Gelder für die Poliklinik bereitstellt.

„Es wäre schlichtweg enttäuschend, wenn Stiftungen oder die Stadt den Bedarf nicht sehen würden. Sollten wir diese Förderung nicht bekommen, können wir womöglich die festen Stellen nicht bezahlen“, fasst Jonas die aktuelle Situation zusammen. Momentan arbeiten sieben Personen fest angestellt für jeweils 20 Wochenstunden in der Klinik. Weitere 15 engagieren sich ehrenamtlich oder über eine Stelle im Bundesfreiwilligendienst.

„Die Mittel im städtischen Doppelhaushalt würden es uns ermöglichen, unser momentanes Angebot aufrechtzuerhalten und, wenn es gut läuft, noch auszuweiten. Wichtig vor allem ist der Aufbau der Stellen – entweder die 20-Stunden-Stellen zu erweitern oder mehr Personen einstellen zu können.“

Denn Arbeit gibt es für den Verein genug. Allein durch die Einführung des Bürgergelds rechnen die Mitarbeitenden in der Poliklinik damit, dass mehr Menschen die Sozialberatung in Anspruch nehmen werden. Viele benötigen Unterstützung beim Ausfüllen von Anträgen etc. Ein guter Teil der Energie des Teams wird allerdings allein dafür beansprucht, Fördergelder für das Projekt zu generieren und somit dafür zu sorgen, dass ihre Stellen erhalten bleiben.

„Solche Fördermittelanträge sind manchmal ein bisschen wie Lottospielen: Man füllt alles korrekt aus und dann gibt es entweder Geld oder nicht – oft auch ohne Erklärung, wenn es nicht geklappt hat. Wir bezweifeln, dass es überhaupt einen sozialen Träger gibt, der in Ruhe arbeiten kann, ohne Energie und Nerven in die Beschaffung von Fördermitteln zu stecken.“

Zwar gebe es viel Unterstützung in Form von Begeisterung und viel positivem Feedback auf kommunaler-, Landes- und Bundesebene. Doch sobald es um finanzielle Hilfe geht, werde es schwierig.

Wirtschaftsfaktor Gesundheit?

Schwierig in der Projektförderung ist auch der ständige Nachweis von Ergebnissen. Wie evaluiert man soziale Beratung und das „Dasein“ für Menschen? Und wie weit kommen wir mit dem Ansatz, psychosoziale Gesundheitsversorgung als Wirtschaftsfaktor zu betrachten? Vor allem in der Präventionsarbeit sei es schwierig, „messbare“ Ergebnisse zu liefern.

Momentan steht die vorbeugende Arbeit aber ohnehin in den Sternen. „Wir löschen derzeit Feuer an allen Ecken und Enden. Bis wir in der Poliklinik Präventionsarbeit leisten können, müsste an so vielen anderen Stellschrauben gedreht werden. Im Prinzip müsste die Arbeit, die wir jetzt machen – z. B. die Sozialberatungen – bereits erledigt sein, um sich wirklich vorbeugend um die Menschen kümmern zu können“, erklärt Mai die Situation.

Würde das Team können, wie es will, wünscht es sich, ihr Angebot auszuweiten:  Es bräuchte größere Räumlichkeiten. „Für uns steht die Frage im Raum, ob wir irgendwann einen medizinischen und psychotherapeutischen Kassensitz haben wollen. Damit wir nicht nur die Beratung, sondern auch die Behandlung durchführen können.“

Momentan aber muss eher geklärt werden, ob es im nächsten Jahr überhaupt so weitergeht, wie bisher. „Es ist absurd, dass wir vor der Situation stehen, eventuell Menschen eher dabei helfen zu müssen, neue Beratungen zu finden, weil wir unsere nicht weiterführen können“, kritisieren Mai und Jonas.

Dass es Einrichtungen dieser Art in der Stadt bisher nur einmal gibt, sehen die beiden auch als Teil des generellen Problems mit der solidarischen Gesundheitsversorgung. Schließlich geht es dabei ebenso um Nachbarschaftsarbeit und Vernetzung mit weiteren Akteur/-innen im direkten Umfeld. Die würde der Verein auch weiterhin gern betreiben – und hofft auf die Unterstützung des Leipziger Stadtrats.

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