Seit 2008 kürt der Deutsche Musikrat alljährlich das „Instrument des Jahres“, das dann für die folgenden zwölf Monate im Fokus der Öffentlichkeit steht. Für 2025 fiel die Wahl auf die menschliche Stimme. Im folgenden Interview spricht Prof. Michael Fuchs, Leiter der Sektion Phoniatrie und Audiologie sowie des Zentrums für Musikermedizin am Universitätsklinikum Leipzig (UKL), darüber, was menschliche Stimmen so besonders macht, wie man sie gesund erhalten kann, und wie am UKL Erkrankungen der Stimme beziehungsweise Störungen bei der Stimmbildung behandelt werden.
Außerdem wirft er einen Blick voraus auf Aktionen und Veranstaltungen, mit denen das „Instrument des Jahres“ in Sachsen in den kommenden Monaten gewürdigt wird.
Herr Prof. Fuchs, was macht die Stimme so besonders?
Prof. Dr. Michael Fuchs: Wenn man so will, ist die Stimme das älteste Instrument der Welt, das wir als Stimmapparat immer in uns tragen. Im Unterschied zu allen anderen Instrumenten ist sie nur akustisch, aber nicht visuell wahrnehmbar. Noch bevor der Mensch Instrumente gebaut hat, hat er gesungen. Im Unterschied zu einem Instrument ist es der Stimme möglich, zusätzlich zur Melodie auch Text zu vermitteln und somit Sprache hörbar werden zu lassen sowie Emotionen unmittelbar zu transportieren.
Jeder weiß: So sehr wir uns auch bemühen – die Stimme verrät immer, wie es uns gerade geht. Sie bildet also einen wesentlichen Teil unserer Persönlichkeit. Darauf weist übrigens auch der Ursprung des Wortes „Person“ hin – es stammt vom lateinischen „per sonare“, was mit „laut erschallen“ oder „durchklingen“ übersetzt werden kann.
Kann jeder Mensch seine Stimme als Instrument nutzen?
Ja. Singen kann prinzipiell jeder. Am Beginn des Lebens sind die anatomischen, biologischen und physiologischen Voraussetzungen zum Singen bei allen Menschen ungefähr gleich. Im Kindes- und Jugendalter kommt es sehr darauf an, wie stark die entsprechenden Anlagen durch musikalische Anregungen gefördert werden. Überdies gehört eine gute Gesangstechnik dazu, die sich jedoch erlernen lässt. Außerdem muss das Interesse an der Stimme geweckt werden.
Übrigens ist es nie zu spät, das Singen zu erlernen und viel Freude daran zu haben – auch noch im fortgeschrittenen Lebensalter. Studien zeigen allerdings auch, dass vor allem diejenigen ihr Leben lang singen, die bereits früh – sprich als Kind und Jugendlicher – damit begonnen haben.
Wie lässt sich die Stimme auf Dauer gesund erhalten?
Wer seine Stimme lange gesund und leistungsfähig halten möchte, sollte sie gut pflegen. Eine einfache Maßnahme ist es, ausreichend zu trinken. Dadurch wird gewährleistet, dass die Schleimhäute des Kehlkopfes und die darin befindlichen Stimmlippen ausreichend befeuchtet werden. Sie können dadurch besonders gut schwingen.
Außerdem sollte man sie vor Überlastung schützen, wozu es beispielsweise durch zu langes, zu lautes oder durch technisch falsches Sprechen und Singen kommen kann. Die Stimme wird dadurch zu stark beansprucht und möglicherweise geschädigt.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, auf das Rauchen und den Genuss von hochprozentigem Alkohol zu verzichten. Und gerade in der kalten Jahreszeit ist Wärme ein wichtiger Faktor. Bei Erkältungsinfekten und stimmlichen Erschöpfungszuständen haben sich unter anderem Kaltinhalationen bewährt, mit denen sich die Oberflächen der inneren Anteile des Stimmapparates gut befeuchten lassen. Bei auftretender Heiserkeit es das Beste, der Stimme für ein paar Tage weitgehend Ruhe zu gönnen, damit sie vollständig genesen kann.
Und schließlich sollte sich jeder, der eine stimmliche Leistung vollbringen möchte, indem er beispielsweise auf einer Bühne oder in einem Chor singt, vorher gut einsingen. Dieses „Aufwärmen“ versetzt die Stimme in einen guten Funktionszustand, ehe man ihr Höchstleistungen abverlangt. Das gilt auch für die vielen Sprechberufe, in denen man sich einsprechen sollte.
Was sind die häufigsten Probleme bei Menschen, die ihre Stimme professionell benutzen?
Häufig sind es Überlastungsphänomene, sprich: Dem Stimmapparat wird zu viel zugemutet. Stimmlippen sind ja nichts anderes als kleine, nur wenige Millimeter lange Schleimhautfalten, die in unserem Kehlkopf schwingen. Wenn das Maß der Belastung zu groß ist und dies zusammenfällt mit einer vielleicht nicht idealen Stimmtechnik, kommt es zu wirklichen mechanischen Überlastungen.
Diese äußern sich zunächst in klanglichen Einschränkungen der Stimme. Bei fortgesetzten Überlastungen besteht die Gefahr, dass sich die Oberfläche der Stimmlippen verändert und sich dort kleine Knötchen oder Wassereinlagerungen bilden. Dies beeinträchtigt den Schwingungsablauf und somit den Tongenerator, der unsere Stimme überhaupt zum Klingen bringt. Wird sie in einem solchen Zustand weiterer Beanspruchung ausgesetzt, kann das mittel- und langfristig zu einer Schädigung führen.
Neben diesen funktionellen Störungen gibt es primär organische Erkrankungen der Stimme. Darunter fallen Veränderungen der Stimmlippen beispielsweise durch die Bildung von Zysten und Polypen, aber auch Krebserkrankungen oder Lähmungserscheinungen. Und schließlich kann die Stimme auch durch rein psychogene Störungen, wie sie zum Beispiel als Folge großer emotionaler Belastungen oder traumatischer Erlebnisse entstehen, versagen.
Welche Möglichkeiten der Therapie gibt es bei Störungen der Stimme beziehungsweise der Stimmbildung?
Die Methoden der Behandlung orientieren sich immer am jeweiligen Krankheitsbild. Überwiegend operativ oder medikamentös behandelt werden organische Erkrankungen des Stimmapparates. Bei Überlastungen hilft es hingegen oft, die Technik der Stimmbildung zu verbessern. Hierbei arbeiten wir eng mit Logopäd/-innen, Stimmtherapeut/-innen oder Gesangspädagog/-innen zusammen.
Und im Falle des oben erwähnten Stimmverlustes als Folge emotionaler Ausnahmesituationen müssen die zugrunde liegenden Ursachen psychotherapeutisch behandelt werden. Bei der Behandlung psychogener Krankheitsbilder können wir uns auf langjährige Erfahrungen stützen.
Welche Möglichkeiten bietet hier das UKL?
Patient/-innen mit Erkrankungen der Stimme bieten wir am UKL nicht nur ein breites Spektrum an Behandlungsmöglichkeiten, sie profitieren bei Stimmdiagnostik und Therapie auch vom interdisziplinären Zusammenwirken hochspezialisierter Expert/-innen verschiedener Fachrichtungen wie Phoniatrie und Pädaudiologie sowie HNO-Heilkunde.
Neben dem umfassenden, ganzheitlichen Blick auf die Stimme verfügt das Klinikum auch über eine exzellente technische Ausstattung. Dazu zählen beispielsweise ein hochmodernes System zur Feinschwingungsanalyse der Stimmlippen oder ein Gerät zur dreidimensionalen Darstellung des Kehlkopfes, über das nur sehr wenige Kliniken in Deutschland verfügen.
Mit ihm ist es beispielsweise möglich, die Ausdehnung eines Defekts genau zu bestimmen, wodurch eine Vielzahl von Eingriffen patientenschonend ambulant mit örtlicher Betäubung erfolgen können. Müssen stimmbildendende Organe wie der Kehlkopf entfernt werden, beispielsweise bei Krebspatient/-innen, sind wir auf den Einsatz von Ersatzsystemen wie beispielsweise Stimmprothesen spezialisiert.
Wohl einzigartig sind unsere Angebote des Zentrums für Musikermedizin wie auch die bundesweit einzige Spezialsprechstunde für Stimmstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Damit haben wir uns weit über Leipzig hinaus einen Namen gemacht, sodass Patient/-innen aus dem gesamten Bundesgebiet zu uns kommen, um sich hier untersuchen und behandeln zu lassen. Als Klinikum in der Musikstadt Leipzig betreuen wir beispielsweise auch die jungen Sänger des Thomanerchores und begleiten sie bei ihrem Stimmwechsel in der Pubertät.
Mit welchen Aktionen wird die Stimme als „Instrument des Jahres“ in den kommenden Monaten präsentiert?
Nach der Auftaktveranstaltung vom 21. bis 23. Februar im Rahmen des 21. Leipziger Symposiums zur Kinder- und Jugendstimme richten sich die Blicke schon auf den „Tag der Stimme“, der am 16. April stattfinden wird. Daneben stehen im Lauf des Jahres zahlreiche weitere Festivals, Workshops und Vorträge im Zeichen der Stimme. Interessierte erhalten dazu weitere Informationen beim Sächsischen Musikrat (www.saechsischer-musikrat.de).
In Leipzig können wir übrigens auf eine lange Tradition bei der Forschung zur Stimme und bei der Behandlung von Störungen und Erkrankungen der Stimme zurückblicken. Als der Sächsische Musikrat auf mich zukam und mich fragte, ob ich die Schirmherrschaft für das „Instrument des Jahres“ in Sachsen übernehmen möchte, musste ich deshalb nicht lange überlegen.
Empfohlen auf LZ
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:
Keine Kommentare bisher