Bei der Wissenschaftsmesse SPIN2030, die im Februar in Leipziger Kongresshalle stattfand, stellte das Innovationszentrum für Computerassistierte Chirurgie (ICCAS) der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig seinen vernetzten Rettungswagen vor. Klingt erst einmal nicht so besonders. Aber auch Rettungswagen müssen „lernen“ zu kommunizieren. Und zwar gerade dann, wenn das Leben der Patienten in Gefahr ist und die Notaufnahme schon vor Ankunft des Rettungswagens alle wichtige Daten haben muss.

Die LZ durfte sich vor Ort ein Bild machen und wurde von Prof. Dr. Thomas Neumuth und dem ICCAS-Team an den Prototypen über die Projekte „Mobile Medizintechnik für die integrierte Notfallversorgung und Unfallmedizin“ und „Modellbasierte Medizin und intelligenter Operationssaal“ informiert.

Moderne Technologien sind meist ja von klugen Leuten ausgedacht. Nur denken die Unternehmen, die diese Geräte entwickeln, überwiegend nur an sich und ihre Insellösungen. Mit dem Ergebnis, dass die Wunderwerke der Medizintechnik dann oft gar nicht miteinander kommunizieren können.

Sowohl im Rettungswagen als auch im OP gibt es Geräte verschiedener Hersteller, die normalerweise nicht „miteinander reden“. Die Kommunikation zwischen den Geräten wurde inzwischen mit der SDC-Schnittstelle gelöst.

Was ist eine SDC-Schnittstelle? – Die ICCAS-Website erklärt das so: „Den Standard ‚Service-oriented Device Connectivity‘, kurz SDC wurde vom OR.Net e.V. entwickelt (ISO/IEEE 11073 (SDC)-Normen-familie), mit dem wir von Beginn an eng zusammen arbeiten. Diese Normen ermöglichen die sichere Bereitstellung von Informationen und Alarmen sowie die Fernsteuerung von Geräten. SDC steht dabei nicht in Konkurrenz zu anderen Normen, sondern ergänzt diese im bisher nicht adressierten Anwendungsgebiet.“

Klingt wieder sehr technisch, läuft aber darauf hinaus, dass Medizingeräte von verschiedenen Herstellern von dieser Schnittstelle erkannt werden und „unabhängig von den jeweiligen Herstellern miteinander kommunizieren“.

Der Rettungswagen im Einsatz

Bei einem Rettungseinsatz, der zum Abschluss in ein Krankenhaus führt, werden oft Daten vom Rettungsdienst erhoben, die dann später im Krankenhaus erneut erhoben werden müssen. Das ist Mehrfacharbeit, die Zeit und Geld kostet, besonders aber Personal bindet. Die Vitalwerte, die im Rettungswagen gemessen werden, liegen im Krankenhaus nicht vor.

Und nicht nur das entscheidet oft über Leben und Tod. Wenn, wie es oft passiert, die Rettungsassistenten vor dem Notarzt vor Ort sind, ist dieser bis zu seinem Eintreffen nicht über den Fall informiert. Auch er kann schneller reagieren, wenn er schon vor Eintreffen am Einsatzort über die wichtigsten Daten verfügen kann.

Und wie sieht das nun aus, wenn der MOMENTUM-Rettungswagen im Einsatz ist?

Der MOMENTUM-Rettungswagen trifft an einem Unfallort ein und es baut sich ein abgeschirmtes 5G-Campus-Netz um den Rettungswagen auf. In diesem sind alle Geräte des RTW und die mobilen Geräte, mit denen die Rettungsassistenten zur verunfallten Person eilen, angemeldet.

Per Mobilfunk ist auch der – noch in der Anfahrt befindliche – Notarzt verbunden.
Einer der Rettungsassistenten trägt eine Datenbrille, mit der die Verletzungen und die Tätigkeiten der Rettungsassistenten aufgezeichnet und an den Notarzt übertragen werden. Die Messgeräte, wie EKG, deren Sensoren am Patienten angebracht werden, übertragen die Werte an den Rettungswagen, wo sie gespeichert werden. Beim Eintreffen des Notarztes ist dieser über alle vorausgegangenen Schritte informiert und kann nahtlos weiterarbeiten.

Inzwischen liest ein Rettungsassistent im RTW die Versicherungskarte des Patienten ein, im besten Falle sind auf dieser auch die Notfallinformationen wie aktuelle Medikamentierung, Allergien und Medikamentenunverträglichkeiten hinterlegt. Auch diese werden an den Notarzt weitergegeben.

Alle Daten sofort ans Krankenhaus

Sobald durch die Rettungsleitstelle ein Krankenhaus zur Weiterbehandlung zugewiesen wird, wird dieses in die Datenübertragung eingebunden. Dort wird, wenn erforderlich, ein Schockraum vorbereitet und ein Schockraum-Team zusammengestellt.

Da es momentan nur telefonische Informationen über Verletzungen und Zustand des Patienten gibt, wird eventuell aufgrund dieser Informationen ein erweitertes Schockraumteam zusammengestellt. Durch die Übertragung der Daten vom RTW ist hingegen eine genaue Einschätzung des Zustandes des Patienten möglich und das Team kann bedarfsgerecht zusammengestellt werden. Nicht benötigtes ärztliches und pflegerisches Personal kann somit den planmäßigen Arbeiten im Krankenhaus nachgehen.

Wenn der Rettungswagen im Krankenhaus eintrifft, wird der Patient in den Schockraum gebracht und die Sensoren, die bis jetzt mit dem RTW verbunden sind, werden an das Krankenhaussystem angeschlossen. Die ärztliche Versorgung in der Notaufnahme beginnt.
Was ist anders als bisher?

Sämtliche Daten, die Vitalwerte des Patienten, alle Behandlungsschritte der RTW-Besatzung und des Notarztes sowie alle bei der Notversorgung verabreichten Medikamente, stehen dem Team der Notaufnahme vollständig zur Verfügung. Das Notaufnahme-Team und die weiterbehandelnden Ärzte arbeiten mit dieser Dokumentation weiter, ohne dass weitere Medien ins Spiel kommen.

Das vermeidet doppelte Untersuchungen und Behandlungen, die in der momentanen Verfahrensweise entstehen können und es spart Zeit, die gerade bei kritischen Verletzungen oder Erkrankungen eine große Rolle spielt.

Was haben Patientinnen und Patienten davon? Wer selbst schon einmal in einer solchen Lage war, kann das verstehen. Dreimal gestellte Fragen, Warten, bis eine Information eingeholt wurde und ähnliches schüren Ängste und verzögern notwendige Behandlungen. Für den verletzten Menschen ist eine nahtlose Behandlung eine große Erleichterung. Und manchmal die Rettung.

Der Beitrag entstand im Rahmen der Workshopreihe „Bürgerjournalismus als Sächsische Beteiligungsoption“ – gefördert durch die FRL Bürgerbeteiligung des Freistaates Sachsen.

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