Punktlandung am Wochenende: Das schlechte Wetter weiß einfach wie es geht. Und es weiß besonders dann zu quälen, wenn man sich gerade schon so nah dran wähnte am Frühling wie vergangene Woche. Ich sag nur Donnerstagabend: Ganz Leipzig ist noch auf den Socken. Man erwartet eine Nacht im frühen Frühling – vor einem perfide unterkühlten Wochenende. Alle wollen es noch mal wissen: Ob die Nacht hält, was dieser verheißungsvolle Frühlingstag versprochen hat. Die meisten Leute auf den Straßen (bisschen aufgerüscht, bisschen Haare gewaschen, bisschen hohe Schuhe) auf den Freisitzen, die noch mit Heizpilzen befeuert werden, sehen so aus, als ob die erhoffte Rechnung aufgehen könnte.

Natürlich wird sie das. „Ist der Frühling vorbei, fängt der Sommer erst an, unser Leben lang“, hat Rosenstolz schon in allerbester flach-philosophischer Manier gesungen. Und es stimmt. Das Gefühl, dass das alles erst nur Vorgeschmack auf alles andere, alles Erwartbare ist – dieses Gefühl ist unschlagbar.

Die Freude auf alles Erwartbare wird aber rasch wieder auf eine harte Probe gestellt, nähert man sich einer der wichtigsten Zugbrücken in die Innenstadt: Brühl. Ecke Hainstraße. Das Portal der irischen Billigmode-Kette ist zu jeder denkbaren Tages- oder zumindest Öffnungszeit dicht bevölkert, die Menschen sitzen im Rund. Leiten Dinge fester und flüssiger Natur in sich hinein, junge Mädchen und Frauen tragen riesige Papiertüten bei sich, powertrottende Männer begleiten das Geschehen. Manche tun es den Frauen nach. Hartgesottene ziehen leeren Blickes noch schnell eine durch.

Seit fast einem Jahr bietet das Kaufhaus im modernistisch-leuchtenden Stil jetzt auch in unserer Stadt zwei oder fünf T-Shirts für 2 Euro fuffzig feil. Und mir erscheint es immer wieder, als griene das hässliche Gesicht der Überflussgesellschaft hier besonders frech den Fußgängerzoni an. Ich weiß, es ist ungerecht, man könnte auch andere – seit langem am Ort ansässige – Ketten bezichtigen, aber es ist dieses perfekt positionierte seelenlose Mosaiksteichen im großen Plan der Gleichschaltung der Innenstädte dieser Welt. Ohne Übertreibung: Es wirkt auf mich fast wie die Frauenkirche – nur andersherum. Als Denkmal für eine düstere Zukunft.

Vielleicht war diese Neueröffnung im vergangenen Frühjahr aber auch nur ironisch gemeint: Es war ja so was von höchste Eisenbahn! Endlich ein Modegeschäft in da city! Endlich mal ein Top, das man nicht erst nach der Saison wegschmeißen muss, sondern schon nach dem Wochenende! Und obwohl dort ohnehin 234 weitere Shirts herumliegen, ist es einfach berauschend, soooo viele Teile für wenig Mücken heimzutragen. Sozial ist das alles auch noch: Prima, dass jetzt auch die sozial ganz Schwachen nicht vom Konsum ausgeschlossen sind. Das ist einfach nur fair. Und den Detox-Preis haben die vom Kaufhaus auch. Die Klamotten seien absolut giftfrei.

Dafür legt die Näherin in Bangladesh sicher auch die Hand ins Feuer. Wenn sie überhaupt wüsste, welchem Label sie ihren Lifestyle zu verdanken hat.

Aber wir wollen nicht schimpfen. Der Eröffnungs-Jubel der Stimmen in der Stadt ist kaum verhallt, mit der jungen Modekette sei die Attraktivität der Innenstadt noch einmal exorbitant gestiegen, wobei man wohl wissend ein bisschen ein Geheimnis daraus machte, warum Attraktivität von Innenstädten von einer weiteren der gefühlt vorhandenen 3.467 Shoppingmöglichkeiten abhänge. Macht nüscht. Schließen wir uns einfach dem gut gelaunten und humorvollen Statement des Boss’ des Warenhauses an, der die Sache knapp und bündig auf den Punkt brachte: „Es ist nicht unsere Aufgabe, einer 16-Jährigen ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie viele Paar Schuhe sie besitzen muss.“

Das ist zweifelsohne richtig. Richtig ist auch, dass es auch nicht die Aufgabe der schreibenden Zunft ist, jemandem ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie viele Tassen er im Schrank haben muss. Ich habe aber eine Ahnung, dass man durchaus zu viele Schuhe im Schrank haben kann, zu viele Tassen jedoch nie.

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