„Wandererwitz, kommst du nach Berlin, verkündige dorten, du habest / Uns hier wählen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“ (nach Schiller) - Die Inschrift auf einem alten Sandstein-Monolithen beim Thermohosen-Engpass am Fuße des Liliensteins zeugt noch heute von der endgültigen Bezwingung der renitenten Ureinwohner des Ostens. Osten – schon das Wort lässt einen erschauern wie der Wind, der um die Sandsteinfelsen pfeift.

Undurchdringbare Plattenbausiedlungen, betonkrebsverseuchte Autobahnen, Hutzel- und Räuchermänner, die unverständliche Wortfetzen singend von sich geben. Vor über dreißig Jahren wurden sie mit der neuen Hochkultur konfrontiert, und man schenkte den von der Welt entrückten technisch Zurückgebliebenen die ersten Wählscheibentelefone. Seitdem wählen sie, doch wählen sie dauernd Unsinn. Zu Recht nun die Rüge Wanderwitzens, künftig besser, dankbarer und sich nicht mehr zu verwählen.

Er ist einer von ihnen, einer, der sich aus der Platte rausmeißeln konnte und zu höfischer Anstellung kam. Das ist der gute Ossi. Doch der widerspenstige Ossi bleibt unergründbar. Dutzende Naturforscher und Experten werden bis heute auf selbige losgelassen; Lehrstühle untersuchen Stuhlproben, die noch nach dreißig Jahren Soljankareste enthalten, und Schädelvermessungen ergaben frappierende Ähnlichkeiten zu Wladimir Putin.

Ein Sozialforscher fand jüngst heraus, dass sie „besonders laut mit Petitionen und Offenen Briefen gegen die Schritte der Regierenden“ zur Corona-Zeit protestieren. Und als vor einem Jahr die Ausgangssperre kam, da äußerte die Bundesregierung, man müsse den östlichen Mitbürgern die Beschränkungen unter schöner klingenden Begriffen verkaufen, sie reagierten durch die DDR-Zeit noch übersensibel auf solche Maßnahmen.

Der anhaltinische Ministerpräsident verlautbarte das Gegenteil. Gerade weil die Ossis diktaturerfahren sind, können sie mit den Einschränkungen viel besser umgehen. Und dann blieben die Fallzahlen zunächst niedrig; ja wo denn? Im Osten! Eine virenimmune Rasse, so einer der vielen Experten, also durch die DDR gegerbt, Überlebende realsozialistischer Gemeinschaftsimpfung mit Sputnik, Nowischok und Tschernobyl-Fallout!

Monate später waren die Fallzahlen am höchsten, ja wo denn? Richtig. Im Osten! Denn dort, so fanden Forscher heraus, wo falsch gewählt wird, wird auch gehustet. Vor allem in den Pflegeheimen, wo sogenannte Corona-Heldinnen im Jenseits vom Tariflohn mit Zonengehältern Leonidas‘ gleich gegen die Übermacht der Rendite kämpfen.

Soweit OK, aber verwählen dürfen sie sich dabei nicht! War es nicht der Jupp aus dem Rheinland, der bereits vor 76 Jahren am 8. März in der Stadthalle Görlitz vor der Gefahr aus dem Osten warnte? Und jetzt in der vergrößerten guten alten Bundesrepublik sollte man Wanderwitzens Vorschlag von 2010 nicht etwas modifizieren und die nicht integrierbare Urbevölkerung der wiedergewonnenen Ostgebiete auf zu privatisierende griechische Inseln umsiedeln? Kräppelchen statt Moussaka auf Ithaka! Was würde der Jupp dazu sagen? Ei verbibbch noch äma!

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