Am 10. Juni 1989 trafen in Leipzig Musiker aus der ganzen DDR zu einem von der SED verbotenen Straßenmusikfestival unter dem Motto „Für die Freiheit der Kunst“ zusammen. Wie zu erwarten, wurde das Festival von den staatlichen Stellen verboten. Die Volkspolizei nahm 84 Personen fest, davon kamen 53 nicht aus dem Bezirk Leipzig, was die SED zusätzlich beunruhigte.

Bei der Veranstaltungsreihe zu Ereignissen der Friedlichen Revolution mit Vortrag und Zeitzeugengespräch werden am Pfingstmontag, den 10. Juni 2019, um 19.00 Uhr Beteiligte des Festivals anwesend sein, die zum Teil danach festgenommen worden sind. Auch ein Jazzmusiker wird spielen, der als Auftakt bereits um 18.45 Uhr vor der „Runden Ecke“ eine musikalische Einlage geben wird. Der Eintritt ist frei.

Aus Anlass des 30. Jahrestages der Friedlichen Revolution lädt das Bürgerkomitee Leipzig e.V. zu einer Gesprächsreihe mit Zeitzeugen ein. Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe „Heute vor 30 Jahren – Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ stehen herausragende Ereignisse des politischen Protestes in Leipzig, die zur Friedlichen Revolution, zum Sturz der SED-Diktatur und zu einem demokratischen Neuanfang führten.

Ebenso wie der Beginn der Weimarer Republik 1919 und die Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 in der Bundesrepublik ist die Friedliche Revolution von 1989 ein zentrales Datum der Demokratiegeschichte in Deutschland, dem wir uns wieder stärker bewusst werden sollten. Die mit ihr wiedererrungenen Werte – Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – sind heute für ein gemeinsames Zusammenleben in Europa grundlegend und unveräußerlich.

Rückblick: Am 15. Januar 2019 befasste die Gesprächsreihe zu Beginn mit der ersten ungenehmigten Demonstration für demokratische Grundrechte am 15. Januar 1989 in Leipzig. An dieser hatten sich nach der Verteilung von über 4.000 Flugblättern etwa 500 Bürger beteiligt; 53 von ihnen sind festgenommen worden.

Die nächste bedeutende öffentliche Protestaktion war am 13. März 1989, als mehr als 500 DDR-Bürger, vorwiegend Ausreisewillige, nach einem Friedensgebet in der Nikolaikirche auf die Straße gingen und bei ihren Protesten lautstark riefen „Wir wollen raus! Wir wollen raus!“ Wegen der zur Messe anwesenden westlichen Journalisten griffen die Sicherheitskräfte nicht ein.

Die Situation wurde durch die gefälschte Kommunalwahl am 7. Mai 1989 verschärft. Zur Absicherung dieser „Schein-Wahl“ hatte die Stasi die Aktion „Symbol“ vorbereitet, doch Oppositionsgruppen hatten, so auch in Leipzig, eine Kontrolle der öffentlichen Stimmenauszählung organisiert. Dadurch konnte der regelmäßige Wahlbetrug der SED erstmals nachgewiesen werden.

Rund vier Wochen später, am 4. Juni 1989, folgte dann eine Aktion des politischen Protests gegen die Umweltzerstörung in der DDR. Die Route des Pleißepilgerweges verlief entlang des wegen seiner starken Verschmutzung unterirdisch kanalisierten Flusses, der Pleiße. Für die Teilnehmer des Protestzuges war der Pleißepilgerweg „Geländer für gesellschaftliche Veränderungen“.

10. Juni 1989 – Straßenmusikfestival für die Freiheit der Kunst

Beim fünften Teil der Gesprächsreihe rückt der 10. Juni 1989 in den Mittelpunkt: An jenem Tag hatten Leipziger Oppositionsgruppen zu einem Straßenmusikfestival nach Leipzig eingeladen.

Straßenmusik beäugten die Behörden in der DDR, wie alle spontanen Aktivitäten, stets misstrauisch und duldeten sie nur in wenigen Städten und nach vorheriger staatlicher Genehmigung. Die Idee zu diesem Festival ging auf den Theologiestudenten Jochen Läßig zurück, der als Straßenmusiker in Leipzig bereits mehrfach schlechte Erfahrungen mit der Staatsmacht gemacht hatte.

Dabei war ihm deutlich geworden, dass auch Straßenmusik ein Politikum war: „Das Fest sollte ein Zeichen setzen für die Perversion eines Systems, das Lebendigkeit und spontane Lebensfreude unterdrückt.“ Bereits in der Einladung kalkulierten die Organisatoren und Musiker die Konfrontation ein: „Die Frage der Genehmigung ist bisher nicht geklärt, wie wollen uns allerdings davon auch nicht abhängig machen.“

Wie zu erwarten, war auch diese Veranstaltung von den staatlichen Stellen verboten worden. Als eine Begründung wurde angegeben, dass am gleichen Tag das Pressefest der SED-Bezirkszeitung LVZ stattfand. Trotz des Verbots trafen viele Musiker aus der ganzen DDR in Leipzig zusammen und spielten zur Freude der Passanten bis in die Mittagsstunden in der Innenstadt.

Gegen 12.00 Uhr fuhr die Volkspolizei vor und lud die Musiker samt ihren Instrumenten äußerst brutal auf LKWs. Die Verhaftungen dauerten bis zum Nachmittag an. Kurz vor Beginn der Motette des Thomanerchores wurden die letzten noch auf freiem Fuß befindlichen Musiker vor der Thomaskirche am Bachdenkmal eingekesselt und ebenfalls zugeführt. Von den 84 Festgenommenen kamen 53 nicht aus dem Bezirk Leipzig, was die SED zusätzlich beunruhigte.

Bei vielen Zeugen lösten die Übergriffe der Sicherheitsorgane Entsetzen und Unverständnis aus. Bis zum Abend dauerten spontane Solidaritätsaktionen. So wurde aus „unbeteiligten Passanten eine protestierende Menge“. Diese Einschätzung, die Václav Havel im Frühjahr 1989 vor einem Prager Gericht äußerte, war im Sommer und Herbst 1989 auch in Leipzig immer wieder zu machen und hat zum stetigen Anschwellen des öffentlichen Protests beigetragen.

Der damalige Gewandhauskapellmeister Kurt Masur nahm das Verbot und die hohen Ordnungsstrafen zum Anlass, um im August 1989 in der Gesprächsreihe „Begegnung im Gewandhaus“ (big) über das Thema Straßenmusik mit den Leipziger Organisatoren zu sprechen und gab ihnen so auch ein offizielles Podium.

Zeitzeugen erzählen über das nicht genehmigte Straßenmusikfestival vor 30 Jahren

Bei der Veranstaltungsreihe „Heute vor 30 Jahren: Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ werden die jeweiligen Ereignisse aus dem Jahr 1989 und deren Hintergründe zunächst in einem einführenden Vortrag beleuchtet. Im Anschluss kommen die Zeitzeugen Cornelia Matzke, Martin Koenitz und Jochen Läßig unter der Moderation von Gedenkstättenleiter Tobias Hollitzer über das damalige Geschehen, aber auch über dessen Bedeutung für die heutige Gesellschaft miteinander und mit dem Publikum ins Gespräch.

Sie berichten über die Stimmung auf dem Straßenmusikfestival, aber auch die Reaktionen der staatlichen Organe und die Verhaftungen. Anwesend ist auch Frank Nowicky, langjähriger Leiter der LeipzigerBigBand, der im Sommer 1989 als Student den Auftrag bekam, als Auftakt für eine Big-Veranstaltung vor dem Gewandhaus zu musizieren. Bei der Veranstaltung am Pfingstmontag wird er ab 18.45 Uhr als Auftakt wieder Live-Musik spielen. Während der Veranstaltung präsentiert Nowicky dann unter anderem das Stück, dass er auch vor 30 Jahren vor dem Gewandhaus gespielt hat.

Veranstaltungsort: ehem. Stasi-Kinosaal der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“. Eintritt frei.

Die nächsten Termine der Reihe sind der 9. Juli 2019 (Statt-Kirchentag) und der 4. September 2019 (erste Montagsdemonstration nach der Sommerpause).

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