Ein berühmter Schriftsteller aus dem Osten in einer Graphic Novel? Höchste Zeit, darf man sagen. Nicht nur, weil der in Chemnitz geborene Stefan Heym (1913–2001) ein Leben voller Höhen und Tiefen und immer neuen notwendigen Fluchten erlebt hat, sondern auch weil der Osten damit endlich als ein Raum erschlossen wird, in dem Menschen genauso lebten und Leben erlebten wie anderswo. Deutsch-deutsche Befindlichkeiten machen blind für erlebtes Leben.

Und natürlich hat Dirk Oschmann recht, wenn er den „Osten“ zu einer westdeutschen Erfindung erklärt. Wobei Erfindung hier vielleicht nicht ganz passt: Es ist eine Kulisse, die sich Westdeutsche geschaffen haben. Und wer in diese Kulisse gerät, muss sich gefallen lassen, nicht als gleichwertiger Mensch betrachtet zu werden.

Davon erzählt allein schon die unwürdige Szene bei der Eröffnung des frisch gewählten Bundestages von 1994, als Stefan Heym (de für die PDS ein Direktmandat gewonnen hatte) mit 81 Jahren das Recht zustand, als Alterspräsident die Eröffnungsrede zu halten und es die Unionsfraktion fertigbrachte, anders als üblich, nicht aufzustehen.

Vorher schon hatte der Innenminister Manfred Kanther das Gerücht gestreut, Heym hätte für die Stasi gearbeitet, obwohl die Stasiakten das Gegenteil belegen. Heym war es, der jahrzehntelang ausgespäht und überwacht wurde. Und seine Rede hätte ein Moment der Versöhnung werden können. In Ausschnitten hat sie Gerald Richter mit ins Buch übernommen. Denn an dem, was sie sagen und schreiben, soll man sie messen.

Und es gibt eine Reihe Intellektueller, die in der DDR lebten, die mit ihren Worten die DDR, so wie sie war, kritisierten und an ihren eigenen Ansprüchen maßen. Und gerade die Exilautorinnen und -autoren, die nach 1945 in den Osten gingen und nicht nach Westdeutschland, zeigen mit ihren Biografien die Brüche der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert.

Leben auf der Flucht

Helmut Flieg, der sich bei seinen ersten Veröffentlichungen das Pseudonym Stefan Heym zulegte, erlebte dieser Brüche gleich mehrfach – schon als junger Mann, der aus Deutschland fliehen musste, weil er nicht nur deutliche linke Sympathien zeigte, sondern auch noch jüdische Wurzeln hatte. Dabei hatte sich sein Vater so viel Mühe gegeben, sich als Jude zu assimilieren – nur um dann die ganze Wucht der Diskriminierung durch die Nationalsozialisten zu erfahren und auch noch als Geisel genommen zu werden, als sein Sohn nach Prag floh.

Die sieben Leben Stefan Heyms sind vor allem Leben auf der Flucht. Aber Richter und der Illustrator Marian Kretschmer belassen es nicht bei der Oberflächlichkeit, die im deutsch-deutschen Dilemma seit 34 Jahren dominiert. Sie haben auch Zitate und Gedichte von Heym in den wuchtigen Bildern platziert, die ihren Helden in den Turbulenzen der Zeit zeigen. Gedichte, die Heym nicht nur als begabten Dichter zeigen, sondern auch einen Autor, der zutiefst humanistische Ideale vertritt.

Und da wurde es in den Kalamitäten des 20. Jahrhunderts immer kompliziert. Geändert hat sich daran im 21. Jahrhundert eigentlich auch nichts. Auch jetzt gibt es wieder die Fundamentalisten aller Art, die einem einreden wollen, die Welt sei nur Schwarz und Weiß und wer nicht für uns sei, sei gegen uns. Man möchte Schreien über so viel Blödheit.

Stefan Heym hat da lieber Romane geschrieben und mit einer auch für deutsche Romanciers des 20. Jahrhunderts seltenen Sprachgewalt die Katastrophen seiner Zeit aus der Perspektive der Betroffenen gezeichnet und gemalt.

Zwischen allen Stühlen

Auch wenn seine Karriere als Romanautor erst in den USA begann, wohin ihm mit einem Studentenvisum die Flucht aus Prag gelungen war. Und ehrlich gesagt: Der Wikipedia-Artikel zu Heym liegt falsch, wenn er schreibt, Heym „war ein deutscher Schriftsteller und einer der bedeutendsten Schriftsteller der DDR“. Nicht unbedingt falsch in Bezug auf die Bedeutung in der DDR.

Aber die Wahrheit ist nun einmal: Er war zeitlebens einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller. Hier ist dieses Schisma unübersehbar, das die Schriftsteller der Nation bis heute in hüben und drüben teilt. Als hätte einer wie Heym nur für das Ländchen DDR eine Rolle gespielt – was dann meist die Feststellung einschließt, die Autoren aus der DDR würden sowieso keine Rolle spielen in der deutschen Literaturgeschichte.

Aber gerade am Beispiel von Heym kann Richter sehr gut erzählen, dass einer, der wie Heym am Ende das Angebot annimmt, nach Ostberlin zu gehen, ganz und gar nicht dort gelandet ist, weil er so schön ins Programm der SED passte. Er wäre auch nur zu gern in den USA geblieben, für die er als Offizier in einer Propaganda-Kompanie, den Ritchie-Boys, am Zweiten Weltkrieg teilnahm.

Eine Abteilung der Army, in die er auch deshalb kam, weil er sich mit dem Roman „Hostages“ (in der deutschen Ausgabe „Der Fall Glasenapp“), der auch verfilmt wurde, schon einen Namen als Autor gemacht hatte. In „Hostages“ hatte er über den tschechischen Widerstand gegen die Nationalsozialisten geschrieben. Es war eins der ersten Bücher, das den Amerikanern zeigten, worum es in Europa eigentlich ging, dass es beim Kampf gegen die Nazis um Menschenrechte und Selbstbestimmung ging. Um ein Leben in Freiheit und Demokratie sowieso.

Die Dinge beim Namen nennen

Wer in DDR-Zeiten Stefan Heym las (oder lesen konnte), war immer mit diesem unbändigen Anspruch an Selbstbestimmung, Wahrhaftigkeit und Menschenwürde konfrontiert.

Und man kann mit Richter und Kretschmer nachempfinden, wie Heym sich mit seiner Frau Gertrude 1950 gefühlt haben muss, als Heym in die Verfolgung der McCarthy-Zeit geriet. Auch sein Roman über seine eigenen Kriegserlebnisse „Kreuzfahrer von heute“ kam gar nicht so gut an. Denn Amerikaner reagieren beleidigt, wenn einer die Dinge so beschreibt, wie sie passiert sind.

Zeitlebens sollte Heym so zwischen den Stühlen sitzen. Und so wie sein Versuch scheiterte, mit Gertrude in Prag Aufnahme zu finden, scheiterte auch der, vielleicht in Polen ein neues Zuhause zu finden. Und beim Versuch, an der sowjetischen Botschaft anzuklopfen, wurde ihm gleich mal klargemacht, dass auch die Russen beleidigt reagieren, wenn einer einen falschen Zungenschlag über sie schreibt.

Und so blieb am Ende fast nur noch, die Einladung nach Ostberlin anzunehmen, wohin auch andere bekannte Autor/-inner aus dem Exil gegangen waren – Bert Brecht etwa oder Anna Seghers. Eigentlich eine illustre Runde.

Aber schnell wurde Heym auch hier beigebracht, dass eine dogmatische Partei bestimmt, was veröffentlicht wurde und was nicht. Sodass die Bücher, die Heym in der DDR schrieb, jahrelang nur im Westen erschienen – darunter bis heute so legendäre Titel wie „5. Tage im Juni“ und „Collin“, Bücher, mit denen er das Innenleben der DDR analysierte, die aber eben erst einmal im Westen zum Bestseller wurden.

Das Schisma der DDR

Grund genug für die Stasi, Heym rund um die Uhr zu überwachen, seine Wohnung zu verwanzen und ein riesiges Dossier über ihn anzulegen.

Eigentlich der Punkt, an dem das Schisma der DDR, die so gern das „bessere Deutschland“ gewesen wäre, deutlich wird. Denn gerade da, wo Autoren wir Heym das Humanistische einforderten und die Fehler eines kaputten Systems aufzeigten, wurden Zensur und Verbot eingesetzt.

Und es war nicht nur der Tod seiner Frau Gertrude, der Heym dann den herrlichen „König David Bericht“ schreiben ließ, der tatsächlich sogar 1988 in der DDR erscheinen konnte, sieben Jahre nach seiner Erstveröffentlichung in München. Ein Buch, in dem er nicht nur versuchte, den Tod seiner Frau zu verwinden, sondern auch zeigte, wie die Mächtigen im Lande ihre eigene Geschichte immer wieder umschrieben, redigierten und zensierten.

Ein biblisches Thema, das scheinbar die Argusaugen der Zensur unterlief, wie Richter meint. Was wohl eher nicht der Fall war. Denn 1988 ließen sich auch etliche Verlage in der DDR nicht mehr alles verbieten, was irgendein beleidigtes Politbüromitglied nicht veröffentlicht haben wollte.

Die Zensur war sowieso sehr willkürlich. Und was verboten war, war dann umso begehrter.

Nach wie vor hochaktuell: Das Thema Flucht

Einige von Heyms Romanen hat Marian Kretschmer auch noch in furiose Bilder übersetzt. Überhaupt geht Heyms Leben in dieser Graphic Novel nahtlos über in seine großen Romane. Denn natürlich war er zeitlebens Schriftsteller. Sein Werk ist von der Person nicht zu trennen. So wenig wie seine schriftstellerische Haltung von seinem Verständnis für das Leben und Ausgeliefertsein der ganz einfachen Menschen zu trennen ist, die er in seinen Büchern auftreten, leiden und kämpfen lässt.

Wer Heyms Bücher gelesen hat, käme gar nicht auf die Idee, sich so zu benehmen wie 1994 die konservativen Abgeordneten im Bundestag, die so gern von Menschenrechten reden. Aber wenn einer das dann in seinem schriftstellerischen Lebenswerk auch beschreibt, stellen sie sich dumm.

Oder zeigen einfach, dass sie unbelesen sind und Heyms große Romane immer ignoriert haben. Und auch nach 1990 veröffentlichte Heym weiter, mischte sich ein, ließ sich nicht mundtot machen. Selbst seine Bundestagsrede als Alterspräsident ist ein einziger Appell an echte Solidarität und echte Menschlichkeit. Auch mit dem Satz: „Nicht die Flüchtlinge, die zu uns dringen, sind unsere Feinde, sondern die, die sie in die Flucht treiben.“

Ein Satz aus Lebenserfahrung. Aber damals verschärften konservative Politiker schon einmal die Asylgesetzgebung in der Bundesrepublik und seither haben sie sich immer neue Hürden ausgedacht, weil sie glauben, sie müssten etwas gegen Flüchtlinge unternehmen statt gegen die Fluchtursachen.

Die Gedanken kann man nicht einsperren

Stefan Heym wusste, dass ihm die Flucht einst das Leben gerettet hat, dass zu seinem Leben aber auch immer der Widerspruchsgeist gehörte, das unbedingte Beschreibenwollen, wie die Dinge wirklich stattfanden. Und auch zuletzt äußerte er die Überzeugung, dass es immer wieder junge Leute wie ihn geben wird, die sich die Wahrheit nicht verbieten lassen werden: „So wird es immer wieder eine Jugend und Revolutionäre geben, die ein Gedicht schreiben und ein Flugblatt – die Gedanken kann man nicht einsperren.“

Darin steckt der ganze Autor, den Gerald Richter und Marian Kretschmer in dieser Graphic Novel furios würdigen. Ein „Bilderbuch“, das auch all jenen, die Stefan Heym bislang nur von dem ein oder anderen Buchtitel her kannten, als eine echte Persönlichkeit zeigt. Eine Persönlichkeit, die selbst ein furioses und von Dramatik geprägtes Leben gelebt hat, das in diesen Büchern dann immer wieder zum spannend erzählten Stoff wurde.

Und diese bildgewaltige Lebensgeschichte zeigt eben zugleich, dass auch ein Leben in der DDR nicht bedeutete, dass jemand farblos und unwichtig werden musste. Im Gegenteil: Mit Zivilcourage, die Stefan Heym hatte, eckte man an, erwirkte Aktionen und Gegenreaktionen. Und forderte eine graue Bürokratie immer wieder heraus, weil sie genau die Konflikte offenlegte, die die großen Zensoren nur zu gern zugekleistert hätten, weil sie glaubten, man könne die Veränderungen der Welt aufhalten, indem man die Konflikte einfach totschweigt.

Das ging bekanntlich schief. Und wer die Dramen des 20. Jahrhunderts lebendig erzählt lesen will, der greift immer wieder zu Heyms Romanen. Und versteht damit auch die Gegenwart ein bisschen besser, in der Zivilcourage wieder zu einem unersetzlich wichtigen Gut geworden ist.

Gerald Richter, Marian Kretschmer „Die sieben Leben des Stefan Heym“ C. Bertelsmann. München 2024, 30 Euro.

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