Da lagern sie nun, auf großen Reisetaschen, die ganze Rathaustreppe vor dem Haupteingang nutzend, im Corona-bedingten Abstand zueinander, maskiert, und teils mit farbigen Decken zugedeckt. Über ihren Köpfen wippt, auf mehrere Schilder verteilt, die Frage: „Wem sollen wir auf der Tasche liegen? Dem Partner? Den Freunden? Den Kindern? Der Bank?“

Und wie zur Antwort steht auf einem Transparent die Feststellung: „Was uns zusteht: Ausfallhonorare!“ Es sind Dozentinnen und Dozenten der Leipziger Volkshochschule, die hier so malerisch Platz genommen haben. Ihre Schule ist seit Anfang November geschlossen, das zweite Mal in diesem Jahr.

„Wir verstehen nicht, warum das in dieser Schärfe sein musste.“ beschwert sich eine Lehrkraft, die an der Volkshochschule Erwachsenen Alphabetisierungskurse gibt (und hier nicht namentlich genannt werden möchte). „Es ist bitter genug, dass keine freizeitorientierten Kurse stattfinden können, aber die Grund- und Berufsbildung ist in Sachsen ausdrücklich ausgenommen. Für meine Lerner, wie für Teilnehmer an Integrationskursen ist Kontinuität das A und O. Wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren Leuten, ohnehin treffen sie die Einschränkungen durch Corona viel härter als andere.“

Aber nicht nur, dass die VHS ausgerechnet jene Teilnehmer im Regen stehen lässt, die die Kurse am nötigsten brauchen, stört die Protestierenden. Auch die Lehrkräfte fühlen sich allein gelassen.

„Es liegt vieles im Argen“, erklärt Karl Kirsch, Integrationskursleiter an der VHS. „Alle, die nicht nur sporadisch an der VHS arbeiten, haben seit März mehrere Monate Einkommen verloren, weil langfristig geplante Kurse abgesagt werden mussten. Durch die angebotenen Hilfen ließ sich davon meist gar nichts ersetzen, die haben einfach nicht gepasst. Jetzt läuft manches Online weiter, aber Online bedeutet für die Kursleitenden einen enormen Mehraufwand, der aber kaum oder gar nicht vergütet wird. Durch den Mehraufwand sehen sich allerdings viele gezwungen, weniger Stunden zu geben; die Einkommen sinken also noch einmal. Wer dieses Jahr mit mehr als der Hälfte seines Einkommens vom letzten Jahr rausgeht, ist richtig gut.“

„Die Volkshochschule hat beim ersten Lockdown den Kursleitenden kühl mitgeteilt, dass Ausfallhonorare nicht vorgesehen seien“, sagt dazu Olaf Broszeit, Gewerkschaftssekretär des Fachbereichs Bildung, Wissenschaft und Forschung in Verdi. „Das entspricht nicht der Rechtsauffassung der Gewerkschaft. Gerade jetzt, an der Corona-Pandemie, können wir sehen, dass es unverantwortlich war und ist, Ausfallhonorare nicht immer mit einzuplanen.“

Die Dozentinnen und Dozenten wollen nicht locker lassen. Auch freiberufliche Mitarbeiter seien Mitarbeiter, finden sie. Die Volkshochschule hänge schließlich von ihrem Fachwissen und ihrer Leistung ab, ohne hochqualifizierte Lehrkräfte kein anspruchsvolles Kursangebot. „Wie alle Beteiligten wissen, sind wir für das, was wir leisten, völlig unterbezahlt“ sagt Karl Kirsch, „aber momentan haben wir das Gefühl, dass es noch nicht einmal Wertschätzung gibt. Jedenfalls kommt sie bei uns nicht an. Als ob wir für die VHS das sind, was für eine Zigarettenfabrik Tabak und Papier sind: Rohstoff, den man in der Flaute ruhig ins Lager schieben kann.“

Auf die für den November versprochenen Hilfen aus Berlin angesprochen, bleiben die Lehrkräfte skeptisch, die vielen Enttäuschungen mit den Hilfen im Frühjahr wirken nach. Wer weiß, sagen sie, ob sie nicht auch diesmal wieder durch das Raster fallen oder ob es mehr gibt als den sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein.

Und außerdem: „Einmalhilfen sind sicher gut“, so Jonathan Böhm, der an der VHS Orientierungskurse gibt, „aber sie sind eben Einmalhilfen. Kursausfälle können aber immer vorkommen. Und dann ist es wichtig, dass man rechtssicher und planbar eine Ersatzleistung erhält.“ An Ausfallhonoraren führt in den Augen der Kursleitenden kein Weg vorbei.

Montag, der 16. November 2020: Appell statt Verbot

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