474 maschinenschriftliche Abschlussarbeiten von Absolventinnen und Absolventen des Instituts für Literatur „Johannes R. Becher“ in Leipzig wurden über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren geborgen, gesichtet und bewertet. Möglich wurde das Vorhaben Virtuelle Archive für die geisteswissenschaftliche Forschung dank Fördermitteln des Wissenschaftsministeriums.

Es steht im Zusammenhang mit dem Landesdigitalisierungsprogramm zur Rettung von Schriften vor Verfall und Vergessen. Rund 1000 Studierende wurden zwischen 1955 und der Abwicklung der für Jahrzehnte einzigen Ausbildungsstätte für Autorinnen und Autoren im deutschsprachigen Raum im Sommer 1993 in Lyrik, Prosa und Drama ausgebildet, darunter heute bekannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller.

Gegründet wurde das Institut auf Beschluss der SED-Parteiführung mit dem Ziel, die „ideologische und künstlerische Ausbildung der Schriftsteller zu fördern“.

Sachsens Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow: „Die Sicherung und qualitative Einordnung des literarischen Materials ist weiterer Baustein für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Die Arbeiten der Studierenden am Becher-Institut spiegeln die Situation der damaligen Autorenausbildung wider.

Oft bewegten sie sich im Spannungsfeld zwischen Hochliteratur und ideologischen Ansprüchen des Regimes. Mit der von der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) realisierten Digitalisierung wird der noch erhaltene Bestand dieser Zeit gesichert und langfristig für weitere wissenschaftliche Forschungen und auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.“

Dr. Sebastian Weirauch, der für das antragstellende Deutsche Literaturinstitut an der Universität Leipzig (gegründet 1995) das Projekt geleitet hat, hat jetzt als ein Ergebnis die Anthologie Experimentierfeld Schreibschule herausgegeben, in der ausgewählte Abschlussarbeiten vorgestellt und kommentiert werden.

Dr. Sebastian Weirauch: „ Die Kommentierung und Auswahl durch die Anthologie-Publikation Experimentierfeld Schreibschule: Texte aus dem Literaturinstitut der DDR „Johannes R. Becher“ 1955-1993 wie auch durch die digitale Veröffentlichung auf Sachsen.Digital (SLUB) gibt nationalen und internationalen Forschern die Möglichkeit, eigene wissenschaftliche Fragestellungen und Projekte zum Archivkorpus zu entwickeln.

Relevant sind die digitalisierten literarischen und theoretischen 474 Abschlussarbeiten für lokal- und institutionshistorische Forschungen sowie für die Erforschung der DDR-Geschichte. Ebenso ist das Korpus bedeutsam für die Untersuchung der Lehrbarkeit literarischen Schreibens an Institutionen, wie sie heute im deutschsprachigen Raum in Form verschiedener Ausbildungsstätten existieren.

Die Ergebnisse des Projekts können zudem im Kontext der Digitial Humanities genutzt und mit weiteren Vorhaben auch interdisziplinär vernetzt werden.“

Hintergrund:

Das „Institut für Literatur“ in Leipzig wurde 1955 auf Beschluss der SED gegründet, um „die ideologische und künstlerische Ausbildung der Schriftsteller zu fördern“. 1958 erhielt es Hochschulstatus, ein Jahr später den Namen des Dichters und ersten DDR-Kulturministers Johannes R. Becher.

Zu den bekannteren Absolventinnen und Absolventen gehören unter anderen Heinz Czechowski, Kurt Drawert, Adolf Endler, Ralph Giordano, Kerstin Hensel, Sarah Kirsch, Rainer Kirsch, Uwe Kolbe, Angela Krauß, Joachim Kupsch, Katja Lange-Müller, Erich Loest, Dieter Mucke, Andreas Reimann, Ronald M. Schernikau, Gerti Tetzner, Fred Wander.

Direkt nach seiner Schließung 1993 war das Archiv- und Schriftgut des Literaturinstituts, das gut 15 Meter umfasste, an das Sächsische Staatsarchiv Leipzig übergeben worden. Die nun untersuchten und digitalisierten Abschlussarbeiten wurden erst Jahre später gefunden.
Nach Protesten wurde 1995 das Deutsche Literaturinstitut Leipzig als Teil der Universität Leipzig unter anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen neu gegründet.

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