Wenn Unternehmen das, was demokratisch gewählte Gremien beschlossen haben, nicht passt, versuchen sie es gern irgendwie auszuhebeln. So wie in Rückmarsdorf, wo die Bewohner nun seit zwei Jahren immer wieder auf die Barrikaden gehen, weil direkt vor ihrer Nase ein Kiestagebau entstehen soll. Und das, obwohl selbst der Regionalplan Westsachsen genau das ausschließt. Aber was wären Gesetze, wenn nicht kleine Schlupflöcher eingebaut wären?

Denn noch wurde für den Kiesabbau bei Rückmarsdorf beim zuständigen Oberbergamt kein Antrag „auf Durchführung eines bergrechtlichen Planfeststellungsverfahrens“ vorgelegt, teilt die Staatsregierung auf die Kleine Anfrage des Leipziger Landtagsabgeordneten Marco Böhme (Die Linke) mit. Das wäre auch noch zu früh, denn der gültige Regionalplan Westsachsen, in dem die Kommunen im Raum Leipzig gemeinsam die Raumentwicklung abstimmen, lässt einen Kiesabbau hier gar nicht zu. In der Fortschreibung wird hier sogar ausdrücklich kein Kiesabbau gewollt.

Aber schon der jetzige Regionalplan hat eine wichtige Klausel, die vor allem die Wohnqualität am Rande solcher Bergbaugebiete sichern soll.

„Der Regionalplan Westsachsen 2008 formuliert unter dem Ziel Z 7.3, die Rohstoffgewinnung solle so erfolgen, dass in der Regel ein Abstand von 300 m zu Siedlungen vom Abbau freigehalten wird. Bei diesem Ziel handelt es sich um ein Soll-Ziel. Ein Soll-Ziel ist nach dem Glossar des Landesentwicklungsplan 2013 zwingend verbindlich, jedoch kann im Rahmen des Restermessens in atypischen Fällen ohne Zielabweichungsverfahren von der Planungsaussage abgewichen werden“, erfährt Marco Böhme in seiner Anfrage.

Das ist das Schlupfloch, das der Kiesabbaubetrieb derzeit zu nutzen versucht, um die Gegebenheiten vor Rückmarsdorf in seinem Sinne zu verändern. Denn wenn die 300-Meter-Regel aufgehoben werden sollte, könnte der Tagebau ja lukrativ bis an die Bebauung geplant werden. Es geht ja um tausende Tonnen Kies.

Aber da ist das Wörtchen „atypisch“. Atypisch ist daran nichts, denn das Kiesvorkommen vor Rückmarsdorf ist nicht einzigartig. Auch Leipzig steht auf so einer Kiesschicht, dem Überbleibsel jenes legendären Nordmeers, dessen Strände einst genau hier waren.

„Bei der Landesdirektion Sachsen wurde ein Antrag auf Durchführung eines Raumordnungsverfahrens mit Zielabweichung für das Vorhaben ‚Kiessandtagebau Rückmarsdorf‘ gestellt“, bestätigt nun die Staatsregierung. „Rechtsgrundlage für die Durchführung des Zielabweichungsverfahrens ist § 6 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes in Verbindung mit § 16 des Landesplanungsgesetzes.“

In § 6 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes heißt es: „Von Zielen der Raumordnung kann abgewichen werden, wenn die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Antragsberechtigt sind die öffentlichen Stellen und die Personen des Privatrechts, die das Ziel, von dem eine Abweichung zugelassen werden soll, nach § 4 zu beachten haben.“

Ob das wirklich zutrifft, muss die Landesdirektion nun prüfen. Aber der Blick in den aktuellen Regionalplanentwurf zeigt, dass das Begehren dem örtlichen Raumziel völlig konträr läuft. Gerade die Stadt Leipzig ist auf die Flächen dringend angewiesen als Ersatzflächen für Baumanpflanzungen.

Die Rückmarsdorfer haben also jede Menge Gründe zum Protest.

Die Anfrage von Marco Böhme. Drs. 14229

Marco Böhme will jetzt wissen, wie Sachsens Regierung zum drohenden Kiesabbau in Rückmarsdorf steht

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