Darauf, dass es in der Silvesternacht in Connewitz wieder richtig knallt, warteten in diesem Jahr nicht nur die üblichen Medien, die daraus Randale-Artikel schmieden. Irgendwie passte dann das medial geschürte Gezeter mit seinen Mutmaßungen und Überspitzungen auch wieder in den Leipziger OBM-Wahlkampf, in dem das Thema Sicherheit bis dahin kaum eine Rolle spielte. Auf einmal schien es den Wahlkampf zu dominieren. Aber was ist in der Silvesternacht am Kreuz tatsächlich geschehen?

Das wollte die Landtagsabgeordnete der Linken Juliane Nagel mit einer Kleinen Anfrage an die Staatsregierung eigentlich herausbekommen. Damit wollte sie den Stand der Ermittlungsverfahren gegen Zivilist/-innen, aber auch gegen Polizeibeamt/-innen erfahren. Ebenfalls wollte sie die Konsequenzen aus der verfehlten Öffentlichkeitsarbeit der Polizei in Erfahrung bringen.

Laut Antwort des Innenministeriums sind mittlerweile sieben Ermittlungsverfahren eingestellt. In zwei Fällen sind die gesprochenen Urteile bereits rechtskräftig, darunter eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe, die kurz nach Silvester in einem Schnellverfahren verhängt wurde. Die am 23. Juni 2020 zu einer Freiheitsstrafe verurteilte Person sitzt weiter in Haft, das Urteil war zum Zeitpunkt der Beantwortung der Anfrage noch nicht rechtskräftig.

Gegen die Polizei wurden lediglich zwei Ermittlungsverfahren geführt, wovon eines bereits eingestellt wurde, was Juliane Nagel mit den Worten kommentiert: „Ein halbes Jahr nach den Ereignissen der Silvesternacht am Connewitzer Kreuz lässt eine Aufarbeitung weiter auf sich warten. Was wir bisher gesehen haben sind zwei Schauprozesse, die mit harten Strafen endeten. Die zwei Verurteilten widersprechen allerdings dem von konservativen politischen Kräften und der Polizei aufgeblähten Bild von linken Ausschreitungen in der Silvesternacht.“

Während weitere Verfahren gegen Zivilpersonen folgen werden, ist aus ihrer Sicht kaum zu erwarten, dass Polizeibeamt/-innen zur Rechenschaft gezogen werden. „Es wird auch in diesem Fall ausgehen, wie es immer ausgeht: Aufgrund mangelnder Identifizierung der Polizeibeamt/-innen, haben diese nichts zu befürchten“, so Nagel.

Wobei die Antwort des Innenministers darauf hindeutet, dass die Betroffenen wohl eher keine Anzeige gegen die Polizist/-innen einreichen werden. Denn dann dürfte durchaus die Gefahr im Raum stehen, dass sie dann ziemlich schnell selbst in der Anzeigenliste der Polizei auftauchen, die schon jetzt deutlich länger ist als alle Ordnungswidrigkeiten, wie sie bei anderen Silvesterereignissen ebenfalls registriert werden, munter unter „politisch-motivierte Kriminalität – links“ eingeordnet, selbst da, wo die Polizei das „Werfen von Gegenständen“ oder nicht näher definierte „Angriffe auf Einsatzkräfte“ keinem Täter/keiner Täterin wirklich zuordnen konnte.

Ob es in Wirklichkeit nur einfach Betrunkene oder andere Beteiligte waren, die die Gelegenheit zum Mitmachen nutzten, wird nicht deutlich. Nicht jeder Betrunkene zu Silvester am Kreuz ist gleich ein linker Extremist. Deutlich wird eigentlich nur, dass die Ermittlungen nicht viel mehr erbracht haben, als was am 1. Januar schon deutlich war.

Gerade zu den „Ermittlungsmaßnahmen im Zusammenhang des Tatvorwurfes des versuchten Mordes gegen einen Polizeibeamten“ verweigert der Minister jede Auskunft. Bis heute ist nicht klar, wer die Angreifer waren und warum es gerade an dieser Stelle zu urplötzlicher Gewalt kam.

Und genauso offen ist die Frage, warum die Polizei mit einer so widersprüchlichen Strategie am Connewitzer Kreuz war. Wenn sie als Deeskalation geplant gewesen sein sollte, ist sie völlig schiefgegangen.

„Auch Oberbürgermeister Burkhard Jung forderte im Nachgang zum Jahreswechsel die Polizeitaktik aufzuarbeiten“, sagt Juliane Nagel. „Ich schließe mich Burkhard Jung an: Die Polizeistrategie muss auf den Prüfstand, vor allem im Hinblick auf den nahenden Jahreswechsel. Ich fordere wie in den Vorjahren Connewitz ein Silvester zuzugestehen, wie es auch in anderen Stadtteilen üblich ist: Ohne überbordende Polizeipräsenz, ohne Hubschrauber und ohne verdachtsunabhängige Kontrollen.

Die ,intensive Auswertung‘ der verfehlten Öffentlichkeitsarbeit ist zu begrüßen. Schließlich hatte die Polizei in ihrer Öffentlichkeitsarbeit eine Reihe falscher Darstellungen getätigt und hatte zudem eine Privatperson durch die Erwähnung in einer Pressemitteilung faktisch an den Pranger gestellt. Diesbezüglich ist noch ein Rechtsstreit anhängig.“

Der Ministerantwort jedenfalls ist nichts zu entnehmen, was auf den Versuch eine Lagerklärung hindeutet. Etliche Verfahren wurden nach § 170 der Strafprozessordnung eingestellt, weil die Ermittlungen keinen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage ergeben haben.

Ausgerechnet der „Besitz nichterlaubnisfreier Feuerwerkskörper“ wurde dann einigen Personen nachgewiesen, die der PMK links nicht zugeordnet werden konnten. Dasselbe beim Besitz von Betäubungsmitteln. Man hatte es also überhaupt nicht mit einem linken Mob zu tun, sondern mit einer ziemlich bunten Menge auch von Anwohnern, von denen viele sich nach dieser Nacht fragten, was da in die Polizei gefahren ist. Deeskalation und Prävention sehen anders aus.

Der Stadtrat tagt: Stadtteilgespräch in Connewitz beschlossen + Video

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