Zwischen Brüderstraße und Windmühlenstraße hängen sie wieder: die Transparente, die für die Petition werben, den Wilhelm-Leuschner-Platz artenschutzgerecht zu entwickeln. Aber egal, wie man es betrachtet: Die Züge scheinen abgefahren zu sein. Auch einen Antrag der Linksfraktion lehnt die Verwaltung jetzt ab, weil das Baurecht aus ihrer Sicht keinen Ansatz bietet, die gewachsenen Bäume und Biotope auf der Platzfläche zu schützen.

„No more Leuschis“ hatte die Linksfraktion beantragt und eine Veränderungssperre für den Biotopschutz gefordert. Aber die Antwort des Stadtplanungsamtes, das sich zusammen mit dem Rechtsamt der Stadt den Antrag näher beschaut hat, macht nun deutlich, dass Naturschutz und Baurecht in Deutschland augenscheinlich zwei völlig getrennte paar Schuhe sind.Wenn man vor Ort nicht wirklich ein paar handfeste Belege findet, dass hier unter Schutz zu stellende Biotope und Arten zu finden sind, gerinnt das Naturschutzrecht zum sekundären Recht und muss den Bauplänen weichen. Motto: Ersatzpflanzungen. Irgendwo anders.

Weil scheinbar niemand wirklich prüft, ob solche Ersatzpflanzungen tatsächlich in vollem Umfang und zeitnah umgesetzt werden, verschwindet immer mehr Lebensraum für Tiere und Pflanzen auch in Leipzig.

Was den speziellen Antrag der Linksfraktion betrifft, stellt das Planungsamt fest: „Die mit dem Antrag verfolgten Ziele können mit den vorgeschlagenen Planungsgrundsätzen nicht erreicht werden. Es bestehen rechtliche Bedenken.“

Was zumindest schon einmal ein Hinweis darauf ist, dass es keine rechtlichen Barrieren gibt, sondern nur Bedenken. Hier kommen Rechtslagen in Konflikt miteinander. Und aus städtischer Sicht hat hier Baurecht Priorität. Naturschutzrecht muss sich fügen.

„Die auf den Schutz der Natur und damit auf die Erhaltung und Verbesserung der Umweltqualität ausgerichtete Zielsetzung des Antrages wird von der Verwaltung grundsätzlich unterstützt und befürwortet. Sie handelt bereits danach, auch wenn der Anlass gebende Fall (Wilhelm-Leuschner-Platz) Grund zu kritischen Äußerungen im Hinblick auf das Verwaltungshandeln gewesen ist“, gesteht die Verwaltung in ihrer Stellungnahme zu.

Denn die Stadt hat vor einem Jahr die Fällarbeiten genehmigt, ohne vorher überhaupt die unter Schutz stehenden Bestände zu erfassen und zu sichern. Die Fällmaßnahmen mussten zwangsläufig gestoppt werden.

„Der Antrag stellt einen Zusammenhang zwischen der Aufstellung eines Bebauungsplanes und der Beseitigung der Vegetation her. Allerdings besteht diese Beziehung nicht zwangsläufig, weil nicht auf der Grundlage eines Bebauungsplanes, sondern nach anderen rechtlichen Regelungen darüber entschieden wird, ob Vegetation beseitigt werden kann oder nicht (Baugenehmigung, Fällantrag nach Baumschutzsatzung)“, führt die Verwaltungsvorlage aus.

Was schon deutlich macht, wie die Stadt selbst die Prioritäten sieht. „Zwar bereitet ein Bebauungsplan eine künftige Bebauung und als deren Vorbereitung ggf. auch die Fällung von Gehölzen vor. Er bildet aber nicht die rechtliche Grundlage für die Fällungen. Diese könnten ebenso gut ohne Bebauungsplanverfahren und auch ohne konkrete Bauabsicht beantragt und genehmigt werden.“

Was so klingt, als könnte man nicht schon im Bebauungsplanverfahren festlegen, dass wertvolle Biotope zwingend erhalten werden müssen.

Was so gewiss nicht stimmen kann. Denn auch in B-Plänen können schützenswerte Grünflächen von vornherein als Bestand gesichert werden. Genau das aber ist am Wilhelm-Leuschner-Platz nicht geschehen.

Sodass das Dilemma jetzt auf eine Ebene darunter rutscht, wie die Verwaltung ausführt: „Im Sinne der Stadt und auch des Schutzes der biologischen Vielfalt kann deshalb nur eine Bindung an die konkrete Baumaßnahme zweckmäßig sein. Nur im direkten Zusammenhang mit der jeweiligen Baumaßnahme besteht flexibel und unter sachgerechter Abwägung der jeweiligen naturschutzfachlichen, organisatorischen und finanziellen Aspekte sowie im Rahmen der naturschutzrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen Klarheit, wie lange bestehende Vegetation sinnvollerweise erhalten werden soll und kann. Die entscheidende Frage des Zeitpunktes der Eingriffe in den Vegetationsbestand bei städtischen Bauvorhaben wird innerhalb der Verwaltung zwischen den zuständigen Ämtern einvernehmlich geklärt, regelmäßig so, dass mit Bauantrag zeitgleich über den Eingriff in den Vegetationsbestand entschieden wird.“

Die Entscheidung also, ob es am Ende überhaupt noch Grün geben wird oder nur ein paar Alibi-Bäume, fällen die Ämter der Stadt – einvernehmlich, „flexibel und unter sachgerechter Abwägung.“

Und dann – mit Bezug auf die von der Linksfraktion beantragte Veränderungssperre – widerspricht sich die Vorlage sogar, wenn sie feststellt: „Die Vegetation kann nur insoweit rechtssicher geschützt werden, wie feststeht, dass der dauerhafte Erhalt der betroffenen Vegetation Ziel der Planung ist. Die Entfernung von Vegetation, die zur Umsetzung der Planung – insbesondere der baulichen Nutzung – ohnehin entfernt werden muss, dient nicht der Sicherung dieser Planung und kann deshalb durch eine Veränderungssperre nicht verhindert werden.“

Heißt im Klartext: Der Stadtrat hätte die zu schützenden Grünflächen in den B-PLan hineinbringen müssen. So erst hätte der Rat das Grün auf dem Platz dauerhaft gesichert. Aber genau das ist nicht passiert. Jetzt ermöglicht der Bebauungsplan die Komplettbebauung des Quartiers. Denn keine der gewachsenen Grünflächen wurde dauerhaft im B-PLan verankert.

Oder mit den Worten des Planungsdezernats: „Sobald und soweit die Bebauung eines Grundstückes erklärtes Planungsziel der Stadt ist, ist der Sicherungszweck der Veränderungssperre – hier: hinsichtlich der Beseitigung des Bewuchses – entfallen und damit ihre Rechtfertigung infrage gestellt.“

Beantragt hatte die Linksfraktion aber: „Bei Bebauungsplänen, bei denen die Stadt Bauherr ist, wird die Entfernung von Vegetation erst nach Beschluss des entsprechenden Bebauungsplanes oder bei vorzeitigem Ausgleich genehmigt. Über Ausnahmen entscheidet der Stadtrat.“

Gefällt wurde aber schon vorher. Was die Stellungnahme der Stadt jetzt halb zugesteht, den Sinn es Antrags aber trotzdem misszuverstehen versucht, der ja wilde Abholzungen zu untersagen versucht, solange es keinen beschlossenen B-Plan gibt.

Erst mit dem im Frühjahr beschlossenen B-Plan für den Wilhelm-Leuschner-Platz gibt es eine Rechtsgrundlage.

Erst an dieser Stelle hat der Stadtrat seine Hoheit aufgegeben, als er weiterreichende Vorfestlegungen zu Schutz des Grüns nicht in den B-Plan hineinbekommen hat. Für den Wilhelm-Leuschner-Patz sollen nun außerhalb der zur Bebauung gelegene Flächen gesucht werden, um dort grüne Inseln zu schaffen.

Für künftige Bebauungspläne kann nur gelten, dass sich auch der Stadtrat frühzeitig bemüht, schützenswerte Grünräume von vornherein festschreiben zu lassen. Hinterher hat er kaum noch Einflussmöglichkeiten.

Denn dann gilt – aus Sicht der Stadt: „Die Verwaltung empfiehlt die Ablehnung des Antrages, da als Rechtsgrundlage für Eingriffe in den Baumbestand die Baumschutzsatzung der Stadt Leipzig abschließende Regelungen enthält, die nicht an das Verfahren zur Aufstellung von Bebauungsplänen gekoppelt sind. Das Ziel des Antrages kann mit Veränderungssperren nicht rechtssicher erreicht werden.“

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar