Am Mittwoch, 13. Oktober, ging es auch bei einem Thema hoch her, bei dem es lange Zeit so schien, als würde hier so bald gar nichts passieren. Da standen drei Einwohneranfragen zum Gleisdreieck auf der Tagesordnung, die erstmals die Probleme und Sorgen der Anwohner/-innen und der dort tätigen Kleingärtner/-innen zur Sprache brachten. Denn seit dem 24. Juli werden beim künftig hier geplanten Klub-Zentrum Nägel mit Köpfen gemacht.

Das zeichnete sich seit einigen Jahren ab, seit sowohl die Klubs auf dem Gelände des Eutritzscher Freiladebahnhofs gekündigt wurden als auch die Distillery auf dem Gelände des Bayerischen Bahnhofs wusste, dass sie ihr Domizil verlieren würde.Seitdem hatte sich auch der Stadtrat mehrfach dazu geäußert und den heimatlos werdenden Clubs Unterstützung dabei zugesagt, auf dem Gelände des ehemaligen Eisenbahnkraftwerkes Leipzig-Connewitz im S-Bahn-Gleisdreieck ein neues Zuhause zu finden.

Zwischenzeitlich nahm sich die extra gegründete Club- und Kulturstiftung des Themas an, entwickelte belastbare Betreiberkonzepte und trat von sich aus in Verkaufsverhandlungen mit der Deutschen Bahn.

Ergebnis, wie die Stiftung dann Anfang August stolz verkündete: „Die 2019 gegründete Leipziger Club- und Kulturstiftung hat das Grundstück des ehemaligen Eisenbahnkraftwerkes Leipzig-Connewitz (von der Deutschen Bahn AG) erworben und dadurch satzungsgemäß dem Immobilienmarkt auf Dauer entzogen. Die Gebäude und Außenflächen sollen möglichst ökologisch nachhaltig saniert und langfristig einer kulturellen, künstlerischen und kreativen Nutzung zur Verfügung gestellt werden. Damit soll ein Kreativhotspot, mit weit über Leipzig hinaus sichtbarer Leuchtturmfunktion entstehen. Dieser soll Platz für Musikspielstätten, Ateliers, Proberäume, sowie Büros und Werkstätten bieten.“

Da steht zwar das Wort langfristig drin. Aber trotzdem kam damit auch die Stadt unter Zugzwang. Sie muss zwar das alte Betriebswerk nicht mehr kaufen. Aber das kann künftig nicht wirklich als Kulturzentrum genutzt werden, wenn nicht auch gesetzeskonforme Aufenthaltsflächen im Freien und vor allem ausreichend Zufahrtswege geschaffen werden.

Das Thema Gleisdreieck am 13.10.2021 im Stadtrat. Foto: Michael Freitag
Das Gleisdreieck in der jetzigen Planung am 13.10.2021 im Stadtrat. Foto: Michael Freitag

Die schmale Zufahrt zu den heute existierenden Kleingärten reicht dazu beileibe nicht. Wenn man nur von 2.500 abendlichen Gästen ausgeht, braucht es andere Rettungs- und Lieferweg-Zuschnitte. Und erst recht – das wurde in der Diskussion am Mittwoch auch deutlich – echte Emissionsschutzmaßnahmen. Bei manchen Wohngrundstücken wird der Abstand zum „Techno-Club“ nur 15 Meter betragen.

Aber am größten ist die Verunsicherung derzeit bei den Kleingärtnern, die jetzt nicht wissen, ob sie ihren Kleingarten dort künftig noch behalten können, weil die Stadt die Grundstücke braucht – eben etwa für eine deutlich breitere Zufahrt zum Club.

Ganz konnte Baubürgermeister Thomas Dienberg den besorgten Kleingärtner/-innen und Anwohner/-innen die Sorgen nicht nehmen. Denn damit der Ort – dieses Kleinod, wie es Dienberg nannte – künftig auch als Kulturhaus genutzt werden kann, muss für das gesamte Gebiet erst einmal ein gesetzlicher Bebauungsplan aufgestellt werden.

Das allein ist in der Regel schon ein mehrjähriger Prozess, bei dem die Verwaltung erst einmal klar definieren muss, welcher Teil des Geländes wie genutzt werden soll und welche rechtlichen und auch emissionsschutzrechtlichen Folgen die Definition hat.

Eine echte Konfliktsituation, wie OBM Burkhard Jung extra betonte, denn für die Anwohner und die Kleingärtner, die dort bislang ihre Ruhe hatten, wird sich vieles ändern. Allein schon durch den Umbau des Werkes zu einem richtigen Kulturclub mit viel Publikumsverkehr.

Darauf übrigens hat die Stadt auch keinen Einfluss mehr. Sie kann nur prüfen, ob dort alle emissionsschutzrechtlichen Gesetze eingehalten werden.

Warten auf den Bebauungsplan

Aber um diese Nutzung zu ermöglichen, muss natürlich ein neuer Bebauungsplan aufgestellt werden. In dessen Aufstellung die Verwaltung – das betonte Dienberg mehrfach – die Anwohner und Kleingärtner auf jeden Fall mit einbeziehen möchte. Und zwar nicht erst, wenn der Bebauungsplan vom Stadtrat beschlossen ist – dann kann man nämlich erst dagegen klagen – sondern schon vorher, damit man – so Jung – tatsächlich zu einem möglichst gelingenden Einvernehmen kommt.

Drängender ist natürlich die Frage der Kleingärtner, ob sie nun ihre Gärten behalten können. Dienberg hatte zwar schon eine erste Skizze mitgebracht, die ungefähr zeigte, wie künftig die Zufahrt zum Gelände aussehen könnte. Aber – das betonte er – das war noch keine belastbare Planzeichnung, bestenfalls eine Skizze davon, welche Gärten wohl gebraucht werden, um die nötigen Leitungen und Zufahrten zu bauen.

Zeitdruck besteht hier, weil die Stadt seit August über den Kaufvertrag zwischen Club- und Kulturstiftung und Deutscher Bahn informiert ist, so Dienberg. Da auch die Gärten auf Bahngelände stehen, hat die Stadt ein Vorkaufsrecht, das sie aber innerhalb von drei Monaten prüfen und anmelden muss. Was noch ein Glück sei für die Stadt, so Dienberg, denn durch die Corona-Sonderbedingungen ist diese Frist vom Gesetzgeber von sechs Wochen auf drei Monate verlängert worden.

Was freilich nicht nur Linke-Stadtrat Sören Pellmann zu etwas rigiderem Nachfragen brachte. Denn ohne Corona wäre diese Frist für die Stadt schon abgelaufen gewesen. Wann also sollen jetzt die Gremien des Stadtrates gefragt werden, wenn die Stadt dieses Vorkaufsrecht tatsächlich ziehen will? Immerhin sind das – selbst wenn man von Mitte November ausgeht – nur noch drei bis vier Wochen, ohne dass überhaupt schon belastbare Planskizzen vorliegen.

Selbst ein Brief des Kleingartenbeirats soll schon eine Weile beim OBM liegen, ohne dass die Verwaltung reagiert hätte. Logisch, dass die betroffenen Kleingärtner ziemlich unruhig geworden sind. Denn natürlich ist das einschneidend, wenn eines Tages bekannt wird, dass die Kleingartenflächen dringend für das neue Kulturzentrum gebraucht werden.

Aber – so sicherte Dienberg noch zu – die Verwaltung werde einen Weg finden, die Gremien des Stadtrats auch kurzfristig einzubinden, wenn es zur Nutzung des Vorkaufsrechts kommt. Auch ohne auf die regulären Sitzungstermine zu warten. Denn offen ist auch noch, ob die Stadt die komplette Kleingartenfläche kauft oder nur einen Teil.

Die Debatte vom 13. Oktober 2021 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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