Endlich mal wieder live, vor Ort und in Farbe! „Es ist toll, sich persönlich, und nicht vor dem Computer zu treffen“, hörte man nicht nur einmal, als am 11. Oktober die Ergebnisse des mehr als ein Jahr andauernden Beteiligungsprozesses rund um das Projekt Gleisdreieck vorgestellt wurden. Es gab ein Podium, es gab Gäste, es gab Häppchen und es gab vor allem: Raum für den Austausch.

Mit Anne Petzold von der Leipziger Club- und Kulturstiftung, Daniel Schnier von ZZZ Bremen, Dr. Benjamin Klement vom Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie (IMW) und Marc Wohlrabe, der Mitglied der Livekomm und einer der beiden Leiter der „Stadt Nach Acht Konferenz“ ist, beleuchtete Moderatorin Alex Pagel von „Kreatives Sachsen“ außerdem, wie das Vorhaben Gleisdreieck auf Leipzig und die Region wirken könnte.

Ein „Ort von Kulturschaffenden für Kulturschaffende“

Nachdem das Beteiligungsverfahren, welches in Kooperation mit „Kreatives Sachsen“ durchgeführt wurde, im Mai letzten Jahres begonnen hatte, mussten coronabedingt viele Treffen und Besprechungen in den virtuellen Raum verlegt werden. Wie Maxi Blunck, die den Prozess als Kommunikationscoach und Beraterin begleitete, zu Beginn der Veranstaltung darstellte, ließen sich Interessierte davon nicht abschrecken. Zur Auftaktveranstaltung loggten sich mehr 170 Personen ein.

Das LZ Titelblatt vom Monat Oktober 2022. VÖ. 28.10.2022. Foto: LZ

Generell gebe es ein reges und aufrichtiges Interesse an dem Projekt in der Leipziger Stadtgesellschaft, so Blunck. Ganz oben auf der Liste: Die Nachfrage nach Proberäumen und Künstler/-innen-Ateliers. Ebenfalls stark gewünscht wurde die Ausgestaltung des Außenbereichs. Unter anderem ist dort ein Stadtteilgarten geplant, der auch Schüler/-innen- und Kitagruppen offenstehen soll.

In vier verschiedenen Formaten wurden Wünsche, Anregungen und Kritik gesammelt: zielgruppenoffene Veranstaltungen, Focus-Group-Workshops mit externen Akteur/-innen, Fachgespräche mit Expert/-innen und Politiker/-innen und interne Team-Workshops. Insgesamt wurden 740 Personen erreicht und zahlreiche Vorschläge und mit dem Projekt verbundene Hoffnungen zusammengetragen.

Ein „Beispielprojekt für soziale Gerechtigkeit“ solle das Gleisdreieck werden, ein „Ort von Kulturschaffenden für Kulturschaffende“, ein „Safespace für marginalisierte Gruppen“ und ein „lebendiger Ort für Kreativität und Gemeinschaftssinn“.

Kreativ-Hotspot zieht Leute an

Über die Bedeutung eines derartigen Kulturprojekts für die Stadt Leipzig schienen sich alle Gäste auf dem Podium einig zu sein. „Wir sollten uns auseinandersetzen mit der Verdrängung von Clubs“, betonte Daniel Schnier, der mit der ZwischenZeitZentrale in Bremen zwischen Akteur/-innen auf der Suche nach einem Raum und Eigentümer/-innen, die ihre Objekte für kurz oder lang zur Verfügung stellen, vermittelt.

In der Hansestadt hätten Clubs immer größere Probleme, langfristig einen Standort zu finden. Die zentrale Frage sei, wie eine Stadt Räume vergebe, so Schnier. Wo können Flächen und Räume „gesaved“ werden, beispielsweise über die Etablierung eines Vorkaufsrechts für die Stadt?

„Viele Leipziger/-innen haben gesehen, welche Veranstaltungsorte in den letzten Jahren gehen mussten“, betonte auch Anne Petzold von der Leipziger Club- und Kulturstiftung, die sich eigens zum Erwerb und zur Entwicklung des Projekts Gleisdreieck gründete. Auch aufgrund dieser „schmerzlichen“ Abschiede von etlichen Clubs in der Stadt (wir erinnern uns beispielsweise an das So&So) sei das Interesse an dem neuen Kulturzentrum in Leipzig so hoch.

Benjamin Klement, Wirtschaftsgeograf am Fraunhofer IMW bekräftigte: „Leipzig ist eine Kreativstadt. Man muss aber auch immer weiter dafür arbeiten, dass es so bleibt.“ Immerhin waren im Jahr 2020 nach Angaben der Stadt in der Medien-/IT- und Kreativwirtschaft in Leipzig fast 36.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte angesiedelt – zum Vergleich: In der Autoindustrie waren es im selben Jahr etwa 20.000 Beschäftigte.

„Dass Leipzig attraktiv bleibt, wird noch ein großer Faktor für die hiesige Wirtschaft werden“, so Klement. „Die Neubauten werden ja interessanterweise auch immer vermarktet mit der ‚hippen, coolen Szene‘ in Leipzig, gleichzeitig macht man diese kaputt.“

„Dieses Projekt könnte für viele Jahrzehnte tausenden Menschen Arbeitsplätze geben, wenn es gut durchdacht und organisiert ist“, betonte auch Marc Wohlrabe. Aus Erfahrungen in verschiedenen Städten in Brandenburg kennt er allerdings auch die Probleme und Konflikte, die derartige Projekte mit sich bringen. Eines davon ist immer wieder der Lärm. In Berlin, erzählt Wohlrabe, haben er und andere Akteur/-innen einen Schallschutzfonds etabliert.

Mit Hilfe dieses Fonds wurden Maßnahmen zur Eindämmung von lautstarken Geräuschen finanziert – mit Erfolg und zum Wohlwollen der jeweiligen Nachbarschaft. „Bei den Alteingesessenen sorgt das Projekt vielleicht für Furcht, denn es birgt Veränderungen und ist so vielschichtig, sodass man nicht alle Entwicklungen im Überblick behalten kann“, gibt Wohlrabe auch zu bedenken.

Raum für Kreativität: Auf dem Gelände des Eisenbahnkraftwerks im Leipziger Süden entsteht ein neues Kulturzentrum. Foto: Robert Schikor
Raum für Kreativität: Auf dem Gelände des Eisenbahnkraftwerks entsteht ein neues Kulturzentrum. Foto: Robert Schikor

Beteiligung aller Beteiligten?

Die „Alteingesessenen“, das sind in dem Fall mehrere Parteien: Zum einen Anwohnende der nur wenige Meter vom Gelände entfernten Wohnhäuser, zum anderen die Pächter/-innen der anliegenden Gartensparten. Schon im Mai ’21 wurde auf die bis dato nicht für alle Beteiligten zur Zufriedenheit gelöste Situation hingewiesen. Zwar hätten inzwischen mehrere Gespräche stattgefunden, betonen beide Seiten, nur neue Perspektiven gebe es bis heute nicht. Seit Oktober letzten Jahres versucht die Stadt in einem Nachbarschaftsforum, die Sorgen der Anwohnenden zusammenzutragen und Lösungen zu finden.

„Es gab und gibt Gespräche mit einigen der Parteien, die sind vertraulich“, erklärte Distillery-Chef Steffen Kache im Laufe der Veranstaltung. „Wir wissen bisher nicht, was in den Gesprächen mit Anwohner/-innen gesagt wurde. Es ist schade, dass wir noch nicht wirklich weitergekommen sind. Aus meiner Sicht ist es nicht sehr befriedigend, was da bisher passiert ist.“

Auch auf der „Gegenseite“ herrscht Unzufriedenheit. Man fühle sich überrumpelt und verdrängt. Dennoch: Auch an der Veranstaltung am 11. Oktober nahmen einige der Nachbar/-innen des Gleisdreiecks teil. Hier wurde kommuniziert: Man wolle zunächst die weiteren Gespräche mit der Stadt abwarten.

Sämtliche Ergebnisse des Beteiligungsprozesses können unter https://www.clubstiftung-leipzig.deeingesehen werden. Auch Mitmachen ist immer noch möglich unter https://www.gleisdreieck-leipzig.de

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