Schon im Vorfeld sorgte der von der Stadt vorgelegte Bebauungsplan Nr. 422 „Radefelder Allee West“ für heftige Kritik. Im September 2024 hatte der BUND Leipzig das Projekt aus Naturschutzsicht heftig kritisiert. Hier soll – gleich neben dem Porsche-Werk – ein weiteres großes Ackerareal überbaut und damit versiegelt werden. Damit entwickelt Leipzig zwar sein Gewerbegebiet im Norden weiter, forciert dabei aber große Eingriffe in den Naturraum, der heute schon – wie SPD-Stadtrat Andreas Geisler betont – unter massiver Dürre leidet. Selbst die IHK warf sich mit ihrem ganzen Gewicht in die Debatte.

Was dem BUND Leipzig besondere Bauchschmerzen bereitete, fasste der Naturschutzverband im September 2024 so zusammen: „Im Nordosten von Leipzig, direkt neben dem Porschewerk, verläuft die 2 Kilometer lange, aus 320 Winterlinden bestehende Radefelder Allee. Die Bäume gedeihen prächtig und haben die Dürren der letzten Jahre bemerkenswert gut überstanden. Ihre Kronen überschirmen insgesamt 6.150 m2 Fläche und spenden Schatten für den angrenzenden Radweg.

Die Allee kann pro Jahr 75.000 Liter Regenwasser zurückhalten und trägt so zum Schutz vor Überschwemmungen bei. In ihrer Biomasse sind 38.400 kg Kohlenstoff und 37,65 kg Feinstaub gebunden, pro Jahr speichert sie weitere 2.295 kg CO₂. Dies sind nur einige Beispiele für die Ökosystemleistung, welche eine Allee dieser Größe in ihrer Gesamtheit erbringt.

Auch die umliegenden Felder haben mit der Bodenqualitätsstufe 4 (hoch) bis 5 (sehr hoch) einen überaus hohen Wert für die lokale Nahrungsmittelproduktion und als dringend nötige Versickerungsfläche bei Starkregen.

Winterlinden-Allee und Radweg an der Radefelder Allee. Foto: BUND Leipzig
Winterlinden-Allee und Radweg an der Radefelder Allee. Foto: BUND Leipzig

Leider spielen die Werte und Benefits dieser Agrarlandschaft keine Rolle, wenn es um die Maximierung von Wirtschaftsleistung geht. Denn nach aktueller Planung sollen die zwischen Flughafen und Porsche-Werk liegenden landwirtschaftlichen Nutzflächen nahezu vollständig überbaut werden: westlich der Radefelder Allee 138 Hektar Ackerland für ein Gewerbegebiet und 39 Hektar für den Flughafenausbau sowie
südlich des Porschewerks 56 Hektar für industrielle Nutzung.

Hier soll ein riesiger, zusammenhängender und überwiegend versiegelter Verkehrs-/Industrie- und Gewerbekomplex entstehen. Die dahinter stehende Logik ist immer noch die Sackgassen-Logik des 20. Jahrhunderts: das ‚höher, schneller, weiter‘ ohne Rücksicht auf Verluste.

Mit einem prognostizierten Zuwachs von 25.000 bis 35.000 Arbeitsplätzen bliebe dies nicht ohne Auswirkungen auf den Leipziger Wohnungsmarkt. Dabei erscheinen die Zahlen deutlich zu hoch gegriffen und unklar bleibt, wo die Arbeitskräfte überhaupt herkommen sollen.“

Die Stadt plane hier gegen ihre eigenen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele, stellte der BUND Leipzig fest, „besonders entgegen dem stadtplanerischen Ziel, die Neuversiegelung von Flächen zu reduzieren, erst recht wenn es dabei um fruchtbaren Ackerboden geht. Auch das Credo ‘Innen- vor Außenentwicklung’, wonach durch bauliche Verdichtung im Stadtinneren ein Ausufern der Stadt in die freie Landschaft verhindert werden soll, wird durch die aktuelle Planung konterkariert.“

Die Initiative Stadtnatur meldet sich zu Wort

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und die Frage, welche Unternehmen hier künftig angesiedelt werden, war eines der Hauptthemen in der Debatte am 21. Mai in der Ratsversammlung, als der Beschluss zur Abstimmung kam.

Auch die Initiative Stadtnatur meldete sich noch kurz vor der Abstimmung zu Wort: „Wir von der Initiative Stadtnatur Leipzig möchten Sie hiermit ermutigen, gegen diesen Aufstellungsbeschluss zu stimmen“, schrie diese in einem Offenen Brief an alle Ratsfraktionen. „Der Bebauungsplan ermöglicht eine Industrie- und Gewerbegebietsentwicklung auf einer Fläche von 137 Hektar. Die Grundflächenzahl in den Baugebieten beträgt 0,8 (d. h. Flächeninanspruchnahme von 80 %), eine Vollversiegelung ist gemäß Begründung des B-Plans auf insgesamt 83,1 Hektar zulässig!

Wir können uns in Leipzig solche extrem Flächenverbrauchenden Planungen nicht mehr leisten. Insbesondere für den Klimaschutz ist diese Planung eine Katastrophe. Bekanntlich führen Versiegelungen zu einer signifikanten Aufheizung des Lokalklimas. Wichtige Frisch- und Kaltluftentstehungsgebiete (so auch im Landschaftsplan für das Gebiet ausgewiesen) werden unwiederbringlich vernichtet. Das brauchen wir hier nicht weiter auszuführen …“

Und die Initiative erinnerte daran: „Der Stadtrat in Leipzig hat im Oktober 2019 den Klimanotstand ausgerufen und diesen im April dieses Jahres (gegen einen AfD-Antrag) verteidigt. Sie als Stadträtinnen und Stadträte, die mehrheitlich die Aufrechterhaltung des Klimanotstandes für erforderlich erachtet haben, müssen sich bitte klarmachen: Wer für diesen B-Plan mit 0,8 Quadratkilometer Neuversiegelung stimmt, stimmt faktisch für eine Abschaffung des Klimanotstandes. Ein ‚Ja‘ zum Klimanotstand und ein ‚Ja‘ für diesen Bebauungsplan sind miteinander unvereinbar!“

IHK wirbt für Zustimmung

Eine Stimmungslage, die dann am 20. Mai die IHK zu Leipzig auf den Plan rief, die dann in einer eigenen öffentlichen Wortmeldung dringend für eine Zustimmung zum Bebauungsplan warb.

„Das geplante Industriegebiet im Stadtteil Lützschena-Stahmeln ist ein echtes Filetstück. Hier bietet sich die seltene Chance, in unmittelbarer Nähe zu leistungsfähiger Verkehrsinfrastruktur wie dem Flughafen Leipzig/Halle, der A9 sowie der B6 industrielle Wertschöpfung zu etablieren“, betonte darin Dr. Fabian Magerl, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Leipzig. „Immerhin könnten bis zu 3.000 neue Arbeitsplätze entstehen – ein bedeutender Impuls für die Region.“

Der Standort sei bereits im Stadtentwicklungsplan Wirtschaftsflächen 2040 als strategisches Entwicklungsgebiet definiert und werde im Regionalplan Leipzig-Westsachsen ausdrücklich als Vorsorgestandort für Industrie und Gewerbe geführt. Angesichts knapper Flächen für Industrieansiedlungen sei es umso wichtiger, ausreichend große, gut erschlossene Grundstücke mit entsprechender Versorgungsinfrastruktur bereitzustellen.

Die IHK appellierte an den Stadtrat, dem Bebauungsplan zuzustimmen und alle Maßnahmen zur zügigen Planreife einzuleiten. „Leipzig braucht industriepolitische Weitsicht – die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit der Region entscheidet sich auch an solchen Standorten“, so Magerl. „Natürlich nehmen wir die Einwände von Umweltinitiativen wie Initiative Stadtnatur ernst. Der Schutz von Klima, Natur und Umwelt ist für uns kein nachgelagerter Aspekt, sondern integraler Bestandteil des Planverfahrens.“

Was darf der Stadtrat eigentlich vorgeben?

Eine Zwickmühle für die Ratsfraktionen. Die dann die Grünen-Fraktion versuchte, mit einem Änderungsantrag einzufangen. Denn wenn die Stadt hier schon ein neues Gewerbegebiet ausweise, dann sollte sie doch auch dafür sorgen, dass die Klimaschutzziele der Stadt eingehalten werden.

Frau Kristina Weyh (Bündnis 90/Die Grünen) im Leipziger Stadtrat am 21.05.25. Foto: Jan Kaefer
Kristina Weyh (Bündnis 90/Die Grünen) im Leipziger Stadtrat am 21.05.25. Foto: Jan Kaefer

„Die Entwicklung eines vollständig neuen Industriegebiets bietet die Chance, im Sinne der Beschlusslagen zur Entwicklung Grüner Gewerbegebiete und der nachhaltigen und flächensparenden Entwicklung von Gewerbegebieten (vgl. VII-A-07859 und VII-A-08011) eine nachhaltige Entwicklung zu betreiben“, betont der Änderungantrag der Grünen-Fraktion, den die Fraktionsvorsitzende Kristina Weyh am Rednerpult verteidigte.

„Sowohl in der Erschließung als auch in der Ansiedlung der Unternehmen kann auf eine flächeneffiziente, klimawandelangepasste und kreislauffähige Bauweise, z.B. durch Nutzungsstapelung, Dach- und Fassadengrün und Nutzung nachwachsender und wiederverwendbarer Baustoffe geachtet werden. Zudem ist eine nachhaltige und synergetische Nutzung der Energie- und Stoffströme im Industriegebiet (vgl. den Symbiosis Industriepark in Kalundborg, DK u.a.) eine weitere Zielsetzung, um unter Einschluss erneuerbarer Energie ein möglichst klimaneutrales Energiegebiet im Sinne der Zielsetzungen des EKSP 2030 zu ermöglichen.“

Ein Anliegen, das die Verwaltungsspitze freilich nicht als übernehmbar betrachtete. Das könne man später bei der Umsetzung beachten, meinte Baubürgermeister Thomas Dienberg. Aber auch SPD-Stadtrat Andreas Geisler widersprach dieser Haltung. Schon bei den existierenden Gewerbegebieten hätte man zahlreiche Fehler gemacht, die man mit dem neuen Gewerbegebiet vermeiden könnte. Der Norden habe längst ein gewaltiges Dürreproblem. Gewässer seien zerschnitten, in diesem Fall wäre auch ein benachbartes Naturschutzgebiet betroffen.

Aufgeweichte Mobilitätsziele

Und auch das Verkehrsproblem sei nicht gelöst. Auch das hatten die Grünen moniert: „In Begründung der Vorlage, Seite 5 wird ausgeführt: ‘Aufgrund der Rahmenbedingungen wurde im Verkehrsgutachten für den Bebauungsplan Nr. 422 die Reduktion des MIV um 25 % zum Status quo als nicht realistisch eingeschätzt. Es wurde daher in den weiteren Betrachtungen von einem Abschlag um 15 %, und damit einem MIV-Anteil von 66 % ausgegangen.“

Die längst im Masterplan Mobilität Nordraum beschlossenen Zielsetzungen des Modal Split von 30 % ÖPNV, 14 % Rad und 56 % PKW müssen bestehen bleiben. Es ist nicht mehr zeitgemäß, hier weiter zu Gunsten der PKW-Nutzung die Ziele zu verändern, da der Nordraum den Gesamtverkehr auch aufnehmen und abwickeln muss. Moderne Gewerbegebiete müssen für die Arbeitnehmer*innen auch ohne eigenen PKW erreichbar sein, da nur rund 30 % der Bevölkerung überhaupt ein Auto besitzen. Zudem verfolgt die Stadt Leipzig das Ziel der Klimaneutralität. Die Stärkung des Umweltverbunds im Nordraum läuft und sollte nicht behindert werden.“

Obwohl es eigentlich im Interesse der Stadt sein sollte, den Motorisierten Individual-Verkehr zu minimieren. Immer noch ist nicht geklärt, ob es jemals einen S-Bahn-Haltepunkt für das Gewerbegebiet gibt. So sorgt man natürlich dafür, dass die künftig dort Arbeitenden mit dem Auto zur Arbeit fahren.

Hin und her ging es dann um die Frage, ob die Verwaltung den Grünen-Antrag nun übernimmt oder nur später (vielleicht) berücksichtigt. Da AfD-Stadtrat die Herauslösung des Grünen-Antrags beantragte, wurde er am 21. Mai eben doch abgestimmt – punktweise.

Der Grünen-Wunsch, die Erschließung des Gewerbegebietes solle auf Grundlage des vom Stadtrat beschlossenen Masterplans Mobilität im Nordraum von der Stadt betrieben werden, bekam mit 31:28 Stimmen eine Zustimmung. Und wie Andreas Geisler richtig gesagt hatte, liegt das im Handlungsfeld der Stadt. Diese kann dafür sorgen, dass möglichst viele Arbeitnehmer die Wahl haben, mit ÖPNV oder Rad zur Arbeit zu fahren.

Knapp gescheitert ist hingegen der Wunsch der Grünen, das Gebiet als „Grünes Gewerbegebiet“ zu entwickeln. Eine einmalige Chance, wie Kristina Weyh betonte. Dieser Antragspunkt wurde mit 26:33 Stimmen abgelehnt, während die Gesamtvorlage mit 50:10 Stimmen angenommen wurde.

Die zehn Gegenstimmen stammen von den Grünen, die berechtigterweise davon ausgehen, dass die Stadt ihre eigenen Klimaschutzziele auch ernst nimmt. Auch dann, wenn die Flächen in diesem Gewerbegebiet privaten Eigentümern gehören. Denn auch die profitieren davon, wenn Natur und Klima halbwegs noch intakt sind und sich der Leipziger Norden nicht in eine hitzegeplagte Gegend verwandelt, in der auch das Arbeiten zur Belastung wird.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Zur Korrektur sei darauf hingeweisen, dass auch der fraktionslose Stefan Rieger dagegen gestimmt hat.
Letztlich sind die Änderungsanträge der Grünen im wesentlichen der Kategorie “Etikettenschwindel” und “Greenwashing” zuzuordnen (auch wenn sie zumindest in die richtige Richtung deuteten), denn an der Versiegelung von nahezu einem Quadratkilometer bestand hier offensichtlich auch keine Kritik. Dass es “Grüne Gewerbegebiete”, zumal solche mit einer solchen Dimension und Versiegelung, gar nicht geben kann, ist eigentlich eine Binse. Wie in B-Plänen Pflanzungen von ein paar Bäumchen, ein wenig Fassadenbegrünung & co als bedeutende Naturschutzmaßnahmen hochstilisiert und schöngerechnet werden, ist eigentlich auch hinreichend bekannt.
Natürlich dennoch traurig, dass nicht einmal dies eine Mehrheit fand, wobei die Gründe für die Ablehnung sicherlich nicht darin bestanden, um dieses Greenwashing ausfzudecken, denn man hätte dann ja andere Änderungsanträge stellen können. Letztlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis Leipzig naehzu vollversiegelt sein wird und man feststellen wird, dass die Lebensqualität in einer solchen Stadt leider nicht mehr vorhanden sein wird…

Schreiben Sie einen Kommentar