Eigentlich weiß die Stadt Leipzig nicht viel über die Vereine, nicht wie sie arbeiten, wie sie personell aufgestellt sind, wie sie sich finanzieren. Als die Bundesregierung 2013 die Gelder für die Instrumente des 2. Arbeitsmarktes zusammenstrich, ignorierte die Stadt das Thema einfach, bekam aber von der Linksfraktion immer neue Anfragen und Anträge. Bis dann bekannt wurde, dass die ersten Bürgervereine schon aufgegeben hatten.

Aber wie will man mit einer Stadtverwaltung diskutieren, die sich zwar gern mit bürgerschaftlichem Engagement schmückt und von der tollen Zusammenarbeit mit irgendwelchen Bürgervereinen schwärmt, aber überhaupt keine Übersicht über die Vereinslandschaft hat? Wie will man da Förderpläne entwickeln? Das geht einfach nicht. Die Linksfraktion macht also einfach weiter und hat jetzt einen Antrag geschrieben, mit dem der Oberbürgermeister beauftragt wird, “zum Ende des IV. Quartals 2014 dem Stadtrat eine Analyse zur Situation aller in Leipzig registrierten gemeinnützigen Vereine vorzulegen. Darin gehen die personellen und finanziellen Mindestbedarfe aller der in der Stadt Leipzig registrierten gemeinnützigen Vereine ein.”

Und dann könne man Visionen entwickeln, dann hätte man endlich ein Basismaterial. “Auf der Basis dieser Analyse erarbeitet die Stadtverwaltung (alle Ämter und Dezernate, in deren Bereich Vereinsförderung fällt) in Kooperation mit VertreterInnen der Leipziger Vereinslandschaft aus allen Sachgebieten (u. a. Sport, Umwelt, Jugendhilfe, Soziales, Bildung, Kultur) eine Strategie, wie die Vereinslandschaft zukunftssicher strukturiert und gefördert werden kann. Dazu ist ein entsprechendes temporäres Arbeitsgremium zu installieren, in das neben VertreterInnen der Leipziger Stadtratsfraktionen VertreterInnen von gemeinnützigen Vereinen berufen werden. Die Sitzungen dieses Gremiums sind grundsätzlich öffentlich.”

Denn gemeinnützige Arbeit ist eben nicht nur ein Feigenblättchen für die Stadtgesellschaft. Und die Nicht-Professionalität, die auch einige hemdsärmelige Kommentatoren zu L-IZ-Beiträgen den Vereinen ankreidete, ist das Allerletzte, was ihnen vorgeworfen werden darf. Sie sind – anders als diverse Fußball-Clubs – keine wirtschaftlichen Unternehmen, sondern ehrenamtliche Netzwerkarbeit. Und einen Großteil der Arbeit würden sie sich alle gern ersparen, wenn nicht gerade deutsche Behörden und Steuerämter dafür sorgen würden, dass selbst die kleinste Vereinsgründung sofort einen Berg Papierkram mit sich brächte und den Zwang, eine Art professioneller Bürokraft einzustellen. Nicht die Vereinsarbeit ist teuer, sondern der deutsche Bürokram.

Da geht das eigentliche Motiv der Vereinsgründungen oft genug baden, weil man nur noch damit beschäftigt ist, Papier und Zahlen fressende, aber beratungsresistente Behörden zu befriedigen.

“Die gemeinnützigen Vereine in Leipzig und das sich in ihnen und durch sie realisierende bürgerschaftliche Engagement sind der Motor der Stadtgesellschaft”, stellt die Linksfraktion in ihrer Antragsbegründung fest. “Das Beziehungsgefüge von Vereinen als demokratiekonstituierende Strukturen und die Realisierung dieser Arbeit in diesen Strukturen durch ehrenamtliches bürgerschaftliches Engagement sind ein wertvolles Gut und Voraussetzung kommunaler Partizipation. In diesem Sinne kann Quantität und Qualität ehrenamtlichen bürgerschaftlichen Engagements als Gradmesser für die demokratische Qualität eines Gemeinwesens verstanden werden, insofern es auf mit dem Bürgerstatus verbundene politische und soziale Rechte ebenso orientiert wie auf die Idee der Bürgergesellschaft.”Aber dann? Dann wird’s teuer und bürokratisch. So beschreibt es die Linksfraktion: “Es ist unstrittig, dass allein mit ehrenamtlicher Tätigkeit die zahlreichen Aufgaben, die die einzelnen Vereine erfüllen, nicht zu leisten sind. In den meisten Fällen erfordert die Aufgabenstellung in den Vereinen sowohl fachlich hochqualifiziertes Personal als auch in der Selbstverwaltung qualifizierte Fachkräfte (Buchhaltung, Antragstellung und -abwicklung, Mitarbeiterführung etc.).

Wurde in den letzten Jahren auch Personal gezielt über die verschiedensten arbeitsmarktpolitischen Instrumente gefördert, so zeigt sich heute, dass das aus verschiedenen Gründen nicht mehr möglich ist (deren Ziel war nie primär die Förderung der Vereinsarbeit, sie sind mit wachsenden bürokratischen Hürden verbunden, ihre Anzahl sowie der Kreis der formal Berechtigten schwindet). In keiner anderen Stadt in Deutschland wurde Vereinsarbeit jedoch derart häufig über die verschiedensten arbeitsmarktpolitischen Instrumente (ABM, AGHE, AGH, Ein-Euro-Job, Kommunalkombi, Bürgerarbeit, FAV etc.) indirekt gefördert. Dementsprechend verheerend wirkt sich jetzt die Veränderung in diesem Bereich auf die Vereine aus.”

Da hätte also die Stadt schon längst reagieren können, als die diversen “Arbeitsmarktinstrumente” ausliefen. Hat sie aber nicht.

“Um dieser Entwicklung zu begegnen, ist zunächst eine Analyse der Mindestbedarfe der Vereine für die Weiterführung deren Arbeit unter den veränderten Bedingungen und daraus resultierenden Prognosen notwendig, um Handlungskonsequenzen für die Kommunalpolitik zu konzipieren”, nennt die Linksfraktion die erste Aufgabe. “Eine solche Analyse wurde zwar in den verschiedenen Ausschüssen bereits seit 2011 mehrfach eingefordert, von der Stadtverwaltung jedoch abgelehnt.”

So erfährt man denn auch mal wieder etwas aus der Ausschussarbeit.

“Soll aber eine lebendige Stadtgesellschaft in Leipzig erhalten werden und sich weiter entwickeln können, um den sich verändernden urbanen Lebensbedingungen (Zuzug, demografischer Wandel in all seinen Facetten, sozialräumliche Veränderungen etc.) gerecht zu werden, muss auch die Stadtverwaltung ein Interesse am Erhalt der Vereinslandschaft haben. Dabei kommt der Stadtverwaltung eine Verantwortung auch vor dem Hintergrund zu, dass sie in den neunziger Jahren maßgeblich daran mitgewirkt hat, öffentliche Aufgaben in freie Trägerschaft zu übergeben”, benennt die Linksfraktion einen weiteren Grund, sich endlich zu kümmern. Denn nach dem Prinzip “Aus den Augen, aus dem Sinn” kann man keine Politik machen. Schon gar nicht, wenn man sich den Begriff “nachhaltige Stadt” (Leipzig Charta, 2007) groß auf die Fahnen geschrieben hat.

“Die Analyse hat zum Ziel, einen Überblick über den Gesamtumfang von Vereinstätigkeit zu erlangen und alle hier realisierten Aufgaben, personelle und finanzielle Ressourcen abzubilden”, so die Linke in ihrem Antrag. “Aufbauend auf der Analyse ist in einem zweiten Schritt die Erarbeitung einer Strategie möglich. Diese Strategie sollte gemeinsam mit VertreterInnen der Vereine unter Berücksichtigung der ressortbezogenen Entwicklungspläne der Stadt Leipzig (beispielsweise dem Kulturentwicklungsplan) ausgearbeitet werden. Die VertreterInnen der Vereine sind vor allem deswegen zwingend zu beteiligen, da sie aus der täglichen Praxis heraus die Spezifik von Vereinsarbeit bestens kennen. Erst auf der Basis einer derart erstellten Analyse lässt sich ablesen, wie sich die dargestellten Bedarfe angemessen erfüllen lassen.”

Und ganz am Schluss kommen sie zum Knackpunkt. Denn neben der Analyse braucht es zwingend auch Unterstützung beim Personal. Die Zeiten, da man die Betroffenen immer wieder nur dazu anhielt, sich irgendwo “Drittmittel” zu besorgen, sind vorbei. Die üblichen Drittmittelgeber in Leipzig sind entweder komplett eingedeckt – oder sie wurden aus diversen Spargründen angehalten, ihre “Sponsorentätigkeit” deutlich einzuschränken.

Also formuliert die Linksfraktion: “Eine derartige Strategie muss dann aber auch berücksichtigen, dass neben der ehrenamtlichen Unterstützung von Vereinsarbeit stabile personelle Strukturen notwendig sind, die den VereinsmitarbeiterInnen würdige Einkommens- und Arbeitsbedingungen ermöglichen. Die aktuell aus der (Existenz-)Not heraus erzwungene Selbstausbeutung in der Vereinsarbeit kann nicht länger als Normalität akzeptiert werden.”

Im Wesentlichen soll der Antrag im September die diversen Ausschüsse (Kultur, Sport, Verwaltung, Umwelt, Wirtschaft) beschäftigen und dann am 17. September auf der Beschlussliste des Stadtrates stehen. Der dann gut erholt noch immer der alte sein wird. Aber irgendwie sind das auch immer noch seine Hausaufgaben – ein Teil jenes großen Berges unerledigter Probleme, die man immer so gern vertagt hat.

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