2001 rollte sie das erste Mal durch Leipziger Straßen. Immer mal auf anderen Routen als heute, immer mit einem Anliegen. Mehr Freiflächen für die Subkultur, Mitspracherechte für Kulturmacher in Leipzig, der Ausverkauf der Stadt - jung und ein Stück frecher demonstrierten die beteiligten Clubs, Kulturmacher und Freunde der Musik für ihre Belange. Das diesjährige Motto: "Kein Musikantenstadl! Leipzigs unabhängige Kulturszene sagt `Refugees Welcome!`" zeigt, zeitpolitisch ins Schwarze getroffen, eine neue Facette der Demonstration. Am 12. Juli geht's los, Plagwitz, Innenstadt, Külzpark lauten die Hauptstationen der Demo. Frank und Fabian plauderten mit der L-IZ über das diesjährige Anliegen, welches so gut zu einer globalen Reise passt.

Unzulässig zusammengerafft lautet das Motto der GSO am 12. Juli 2014 “Refugees Welcome”. Wird auch das Erscheinungsbild der diesjährigen Demonstration multikultureller als im vergangenen Jahr?

Fabian: Auf jeden Fall! Allein schon das musikalische Spektrum der zwölf Wagen auf der Demo ist so vielfältig wie nie zuvor.

Frank: Darüber hinaus haben wir Kurzinformationen zur GSO auch in Arabisch, Russisch, Farsi und Französisch übersetzt und verteilt. Wir hoffen, dass damit auch schon während der Demo das gelebt wird, wofür die diesjährige Veranstaltung steht: ein buntes und vielfältiges Miteinander.

Im Ankündigungstext schreibt Ihr zur Motivation für mehr, es haben Euch in der jüngeren Vergangenheit “Ressentiments und Vorurteile vieler LeipzigerInnen gegenüber Menschen anderer Herkunft” aufgewühlt. Welche meint Ihr konkret?

Frank: Das Thema für die GSO 2014 hatten wir in mehreren Diskussionsrunden bereits Ende des Vorjahres festgelegt. Damals kochte in Leipzig gerade die Diskussion um den Moscheebau in Gohlis und neuer Unterkunft für Geflüchtete in Schönefeld hoch – ich erinnere nur an die aufgespießten Schweinsköpfe.

Fabian: Und die Veranstaltung heißt nun mal Global Space Odyssey. Spätestens seit dem Unglück vor Lampedusa ist bekannt, wer diejenigen sind, die eine wahre globale, oft lebensgefährliche, Odyssey unternehmen, um Gewalt, Verfolgung und Tötung in ihrer Heimat zu entfliehen. Gerade weil unsere Musik vom globalen Austausch lebt, ist uns die Solidarisierung mit Geflüchteten so wichtig.
Eure Frage zum Thema Vorurteile lautet “Was geht in einem Kopf vor, der eine andere Person nicht nach ihrem Charakter, sondern nach der Herkunft beurteilt?” Was denkt Ihr, was in so einem Kopf vorgeht und wie es zu solchen Haltungen kommt?

Fabian: Ich denke, dass in einem solchen Kopf nicht viel vorgeht. Soll heißen, dass oft die Hintergründe nicht bekannt sind und sich aus xenophoben Gründen ein Fremdenhass, oder zumindest eine verbreitete Fremdenangst entsteht. Diese liegt in Unkenntnis über Geflüchtete und Unkenntnis anderer Kulturen begründet. Nicht viel geht in einem solchen Kopf auch vor, weil Ressentiments dieser Art nicht hinterfragt werden, sondern unkritisch übernommen werden. Wie gesagt, Grundlage für ein solches Denken ist Unwissenheit über Tatsachen und mangelndes Interesse, sich damit zu befassen. Hieraus resultiert leider zu häufig “bürgerlicher” Alltags-Rassismus.

Frank: Leider sind solche Haltungen omnipräsent und selbst das engste persönliche Umfeld ist nicht frei davon. Wie auch, wenn schon beim Fußballkommentar das angebliche Heißblut von in wärmeren Gefilden geborenen Menschen als Erklärung für eine Spielweise herangezogen wird.

Hat Alltagsrassismus mit dem Erfahrungshorizont des Rassisten zu tun?

Frank: Wahrscheinlich viel. Wer selbst schon mal in der Situation war, schon allein optisch aus einer Menge herauszustechen, weiß wie dankbar man ist, wenn die Leute nicht nur auf einen zeigen und “Gringo” oder “Bule” rufen sondern frei von Vorurteilen stattdessen ihre Hilfe anbieten.

Fabian: Auf jeden Fall. Wie erwähnt, ist es oft die Bereitschaft sich mit der Thematik auseinander zu setzen. Es ist auch viel einfacher schwarz-weiß zu denken, statt den Menschen dahinter als Individuum zu verstehen, das sich nicht nach Hautfarbe und (nationaler) Herkunft definiert. Auch wir von der GSO schauen gern über den Ozean auf die Musik, die aus anderen Kulturen kommt.

Teilweise manifestieren sich in Europa ganze (Sub-)Kulturen, wie die Reggae-, Soca- oder Cumbia-Szene, die adaptiert wurden und sich hier wieder anders transformieren und neue Dynamiken annehmen. Es werden dann wiederum Künstler aus z.B. Jamaica hierher eingeladen und so schließt sich ein Kreis des interkulturellen Austauschs. Daraus könnten wir alle viel lernen und Vorurteile schnell abbauen.
Interessant finde ich den Satz in Eurem Aufruf: “Es gibt kein Recht darauf, sich seine Nachbarn aussuchen zu dürfen oder vom Leid dieser Welt unbehelligt zu bleiben.” Die deutsche Realität ist oft eine andere – da ist von Kleingartenidylle, Balkonien und Vereinsarbeit die Rede.

Gibt es neben den Analysen zur Ausländerfeindlichkeit der sogenannten “Mitte der Bevölkerung” oder der “besorgten Bürger” vielleicht auch den Grund einer eigenen Abschottung vieler Deutscher vor neuen Eindrücken?

Fabian: Die hiesige Angst seinen Wohlstand und den darin liegenden Status zu verlieren, die leider häufig das Denken dominiert, ist weit verbreitet. Warum schreien wir laut nach einem Einheits-Europa und vergessen dabei wirtschaftlich schwache Griech*innen oder Spanier*innen? Warum schreien wir nach einem Einheits-Europa und vergessen dabei, dass sich somit neue Grenzen auftun, vor denen es Lampedusa-Opfer hagelt?

Weil das kleingeistige deutsche Einod nach der Erhaltung des Status quo strebt. Der Europa-Gedanke war ein erster Schritt dieses zu überwinden. Der Grundgedanke ist gut, die reale Umsetzung des angestrebten Vielvölker-Bundes fatal. Wir sollten uns in erster Linie als Weltbürger*innen verstehen.

Frank: ..und wie Fabian vorhin schon sagte, wollen wir diese Angst nehmen und Menschen egal ob aus alten oder neuen Bundesländern, Europa oder Afrika, Atheist oder Moslem, dazu einladen, die GSO 2014 gemeinsam zu erleben, gemeinsam zu tanzen – und so einen anderen Eindruck voneinander zu bekommen.

Viele Eurer mitdemonstrierenden Leipziger Clubbetreiber erleben ja das Nachtleben Leipzigs hautnah. Wie ist die Szene in Leipzig nach Euren Eindrücken heute aufgestellt, wenn es um Rassismus an der Tür und Kriminalität in den Nächten der Großstadt im Umfeld von Partys geht?

Frank: Einer der Texte im Booklet zur GSO, welches bereits in mehreren Bars ausliegt und auch während der Demo noch verteilt wird, beschäftigt sich mit anscheinend rassistisch motivierten Einlasskontrollen einiger Leipziger Clubs. Wir rufen dazu auf, diese Clubs zu boykottieren!

Fabian: Es kommt wirklich darauf an, in welchen Clubs mensch in Leipzig zugegen ist. Es gibt glücklicherweise genügend menschenfreundliche Clubs. Ein genaues Auge auf die Gäste und darauf folgende Selektion hat so ziemlich jede Club-Tür, die Frage ist dann nur nach welchen Motiven ausgesiebt wird. Das oberste Kriterium sollte dabei aber Verhalten und Respekt sein.

Rassismus in der Tür-Politik ist genauso menschenverachtend, wie auf der Straße oder im Supermarkt.
Nehmen wir mal an, ich sei 40 Jahre alt, täglich mit meiner Familie, meinem Job und meinem deutschen Freundeskreis (ausreichend) befasst – warum soll ich mir am 12. Juli einen Nachmittag oder Abend auf der GSO ans Bein binden?

Fabian: Migration von Menschen hat vor über 100.000 Jahren begonnen, das Umsiedeln in bessere wirtschaftliche (agrikulturelle) Regionen ist dem Menschen somit von Grund auf eigen. Europa wurde vor 40.000 Jahren besiedelt, vorher hausten unsere Vorfahren anderswo. Heute ergreifen Menschen die Flucht, um Zuflucht zu finden. Es geht auch um die Solidarität mit ihnen.

Wir wollen der Realität ins Auge blicken, wollen Menschheits-Geschichte als eine Geschichte von globaler Wanderung verstehen und die darin liegende Vielfalt im Zuge der GSO zelebrieren. Die GSO ist und bleibt eine bunte, lebensbejahende Veranstaltung – auch wenn das Thema dieses Jahr radikaler wirkt, so geht es doch nur mehr an die Wurzel der menschlichen Gemeinsamkeiten.

Frank: Und wenn Fabians Argument noch nicht reicht: Im Wilhelm-Külz-Park, wo die Demo endet, gibt es auch einen Kiddiespace, mit dem wir vor allem Familien mit Kindern ansprechen möchten, für die eine Teilnahme an der Demo mehr Stress als Vergnügen ist. Außerdem gibt es im Park einen Infostand, wo Getränkebecher zu Gunsten der in Leipzig lebenden Geflüchteten gespendet werden können.

Last but not least – wann geht’s genau los, wie klingt die Demo aus und was sollte ich mitbringen?

Frank: Fangen wir mal lieber damit an, was zu Hause bleiben sollte: Glasflaschen, Dosen, Alkohol, Hunde, Schals, Fußballfanartikel egal welcher Couleur und schlechte Laune haben bei der Demo nix zu suchen. Transparente, selbstgebastelte Schilder zum Thema, Befreundete und Bekannte sind hingegen gern gesehen.

Fabian: Und los geht es gegen Mittag in der Markranstädter Straße in Plagwitz. Die Demo zieht dann via Felsenkeller und Jahnallee gen Innenstadt und anschließend quer durch Reudnitz zum Wilhelm-Külz-Park, wo die Demo bis 22 Uhr ausklingt. Am Nachmittag gibt es eine Zwischenkundgebung mit Live Poetry am Rabet. Abends gibt es – auch dies eine Premiere bei der GSO – ein kleines Filmprogramm zum Thema, bevor dann in insgesamt sechs Clubs zu einer breitgefächerten Aftershow geladen wird.

Hab ich was vergessen zu fragen, was Euch für dieses Jahr noch ganz wichtig ist?

Fabian: Die Vielfalt der Musik ist auf jeden Fall garantiert. Wir hoffen auf eine bunte, laute und auch vom Publikum her politische GSO 2014, die allen Beteiligten Freude und Spaß bereitet.

Frank: ..und in Bezug auf das Thema ein starkes Signal aussendet, dass die jungen und junggebliebenen in Leipzig von einer Gartenzwergmentalität nichts halten und sich eine Stadt wünschen, in der Vielfalt sowohl in Bezug auf Musik als auch auf die Nachbarschaft groß geschrieben wird.

Weitere Informationen, Wegbeschreibung und Texte unter

www.gso-le.de

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