Dass das Problem der „Villa“ bei den Förderanträgen für ihre erfolgreichen Integrationsprojekte in Leipzig ein generelles sein dürfte, deutete sich bereits am gestrigen Tage an. Während sich die Wut vieler Leipziger über die bislang mündliche Auskunft gegenüber dem Verein an der Lessingstraße weiterhin im Netz entlädt, reagierte nun auch das verantwortliche Ministerium für Integration und Gleichstellung in Dresden. Für ein kleines Weihnachtswunder kurz vor dem Fest reichte es dann doch. Heute gab es ein entscheidendes Zwischengespräch zwischen Ministerium und Villa.

Seit etwa 2 Stunden steht am heutigen 21. Dezember 2017 auf der Facebookseite der Villa zu lesen: „Offensichtlich gab es Missverständnisse zwischen dem Ministerium, der VILLA und der Sächsischen Aufbaubank, die die Fördermittel ausreicht. Heute Vormittag hat unser Geschäftsführer mit dem Ministerium telefoniert. Dabei wurde uns versichert, dass wir in einer zweiten Auswahlrunde zur Förderung vorgesehen sind. Dies ist nur noch nicht offiziell beschlossen. Wir lernen daraus: ‚nicht bewilligt‘ ist nicht gleichzusetzen mit ‚abgelehnt‘. Eine schriftliche Entscheidung liegt uns noch nicht vor aber wir sehen dies als ein klares Zeichen. Wir gehen deshalb davon aus, dass alle Angebote im nächsten Jahr wie geplant stattfinden können.“

Doch bleibt die Frage, wie es eigentlich so weit kommen konnte, dass die Villa überhaupt in Gefahr geriet, alle Integrationsangebote ab Januar 2018 einstellen zu müssen.

Da wäre zum einen die grundlegende finanzielle Ausstattung des Ministeriums, welches für ganz Sachsen gerade einmal Fördermittel von 9,5 Millionen Euro im Jahr 2018 zur Verfügung hat. Wie wenig dies angesichts der beantragten Summen der sächsischen Trägervereine ist, zeigt die Antwort von Alexandra Kruse, Sprecherin des Staatsministeriums für Gleichstellung und Integration (SMGI). „Zum Antragsstichtag 2017 sind bei der Bewilligungsstelle Sächsische Aufbaubank (SAB) für das Jahr 2018 insgesamt 216 Förderanträge mit einem Antragsvolumen von 17,4 Millionen Euro eingegangen. Demgegenüber stehen Haushaltsmittel von 9,5 Millionen Euro für das gesamte Jahr 2018 bereit.“

Selbst wenn sich manche Anträge also als nicht förderwürdig herausstellen, muss man seitens des SMGI einen rund doppelt so hohen Bedarf durch ein zu kleines Förderloch quetschen. Dass bei dieser Planung sicherlich auch der große Fraktionspartner CDU gern auf „abschieben, abschieben“ setzte, ist angesichts des auf Drängen der SPD 2014 geschaffenen SMGI immer mitzudenken. Selbst wenn das Ministerium sich nach seiner Errichtung namensgemäß der Gleichstellung und Integration aller Sachsen zuwandte, spielt die Menge der schwarzen Landtagsabgeordneten und die Regierungsbank immer mit, wenn es um die Mittelvergaben geht.

Ein intransparenter Mischwarenladen für zu viele berechtigte Vereine

Hinzu kommt, dass sich im Topf nach L-IZ-Informationen teils vollkommen unterschiedliche Projekte tummeln. Darunter sogar die Behandlungen von traumatisierten Geflohenen, die besonders wichtig, also sehr förderwürdig sind, aber sicher nichts in einer „Integrationsförderung“ des Integrationsministeriums zu suchen haben. Therapeutische Konzepte gehören nach normaler Logik im Rahmen der medizinischen Versorgung wohl eher in das Feld von Krankenkassen oder mindestens getrennt von Angeboten, wie beispielsweise dem Erlernen der deutschen Sprache an der Villa Leipzig.

Dass der gesamte Fördertopf grundsätzlich zu klein ist, hat die Linkspartei im Landtag bereits in den Haushaltsverhandlungen für die Jahre 2017/18 moniert. Das Problem von Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) ist also ein lang bekanntes und gemeinsam mit der CDU beschlossenes. Auf Nachfrage erklärt dazu Juliane Nagel (MdL, Linke): „Als Linke haben wir in den Haushaltsverhandlungen zum Doppelhaushalt 2017/18 gefordert, den Teil Richtlinie Integrative Maßnahmen, der sich an die zivilgesellschaftlichen Träger richtet, auf 15 Millionen Euro zu erhöhen. Leider sind wir damit an der CDU-SPD-Koalitionsmehrheit gescheitert. Die Förderrichtlinie ist eine verdienstvolle Initiative. Vorher gab es im Freistaat überhaupt keine Förderung für dieses Engagement. Aber: Der Bedarf ist viel höher, die Anträge übersteigen das Budget um ein Vielfaches.“

Etwas, was der Villa also beinahe zum Verhängnis geworden wäre und die Integrationsarbeit von fünf Teilzeitstellen, 100 Ehrenamtlichen und entsprechende Leipziger Strukturen hätte zum Kippen bringen können.

Alexandra Kruse zum Prozedere der generellen Antragsbearbeitung im Ministerium: „Die Anträge werden seitens SAB und SMGI geprüft und mit Punkten bewertet. Daraus entsteht ein Ranking, anhand dessen Projekte bis zur Höhe der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel bewilligt werden können.“ Welche Punktwertungen das genau sind, bleibt intern, doch nach L-IZ-Informationen möchte man daran wohl noch arbeiten und dieses Verfahren transparenter machen. In jedem Fall darf man wohl davon ausgehen, dass die therapeutische Begleitung kranker Menschen mehr Punkte erhält, als gemeinsames Musizieren oder Spracherwerb in Leipzig.

Juliane Nagel zum Genehmigungsprozess gegenüber L-IZ.de: „Die Auswahlkriterien für die geförderten Projekte sind intransparent. Ich kann mir jedenfalls nicht erklären, wie ein so engagiertes und essentielles Projekt wie das der Villa durch den Rost fallen kann.“ Bleibt die Frage: wenn es eine Landtagsabgeordnete nicht durchschaut, wie sollen es dann die beantragenden Vereine können?

Wäre also vielleicht zu prüfen, ob die Mittel erhöht und Integration als Daueraufgabe erkannt wird?

Der im Jahr 2015 eilig aus dem Boden gestampfte Topf hat ein weiteres Problem. Er ist noch immer ein Zeichen dafür, dass Petra Köpping (SPD) in vielen Interviews zwar längst darum wirbt, Integration als einen fortlaufenden Prozess für die gesamte Gesellschaft zu begreifen, doch ihr fehlt dafür noch schlicht das richtige Besteck im Werkzeugkasten. Denn statt bereits bestehenden Projekten Planungssicherheit bieten zu können, muss in jedem Jahr neu beantragt werden – trotz noch fehlender Evaluation. Und so heißt es folgerichtig – indirekt zum Fall Villa – aus der Förderrichtlinie seitens des Ministeriums: „Für die Bewertung von Anträgen darf daher beispielsweise keine Rolle spielen, ob ein Projekt bereits im Vorjahr durchgeführt wurde.“

Ein Problem, welches auch viele Kulturmacher aus den Anfangszeiten der Kulturförderung kennen. Jeder versuchte, so irgend möglich, rasch von der „Projektförderung“ zur „institutionellen Förderung“ zu wechseln, weil nur so der kontinuierliche Aufbau von Strukturen und zumindest eine gewisse Planbarkeit möglich ist. Ein Weg, den es im noch jungen Förderbereich „Integration“ noch gar nicht gibt, also schreiben alle fleißig ihre Anträge und müssen Jahr um Jahr bangen. Inwieweit die so fehlende Perspektive auch beim Finden guten Personals behindert, kann sich letztlich in Zeiten des längst angebrochenen Fachkräftemangels jeder selbst ausmalen.

Zumindest für 2018 ist das Bangen der Villa wohl beendet

Manche der Trägervereine in Sachsen wissen also wenigstens kurz vor Jahresende, ob sie im kommenden Jahr weiterarbeiten können. Alexandra Kruse zum Stand der Information an die Vereine in Sachsen gefragt, bestätigt, dass „alle Projekte die zu einer Förderung vorgesehen sind, noch in diesem Jahr darüber informiert und ihnen ein förderunschädlicher Maßnahmebeginn gewährt werden.“ Der Vorgang läuft also noch und wer bereits jetzt Verträge für 2018 eingeht, könnte auch Pech haben.

Also heißt es bei vielen warten, bis der erste Hinweis und letztlich der endgültige Bescheid eingeht. Und das kann auch erst 2018 sein. Kruse weiter: „Ein Projekt kann zum beantragten Projektbeginn die Arbeit aufnehmen, auch wenn ein Zuwendungsbescheid aus haushalterischen Gründen voraussichtlich erst im Laufe des 1. Quartals 2018 ergeht. Der Beginn des Projektes geschieht bis zum Zuwendungsbescheid auf eigenes Risiko des Trägers. Allerdings wird nur den Projektträgern ein vorzeitiger Maßnahmebeginn ermöglicht, deren Projekte aufgrund des Rankings für eine Förderung vorgesehen sind.“

Ein unbekanntes Ranking bestimmt demnach darüber, wer von der zu kurzen Decke ein Stück bekommt und die Informationen kommen eigentlich zu spät. Bis die Förderung wirklich abschließend sicher ist, riskieren manche Träger auch, sich zu verschulden. Der saure Apfel auf dem nun wohl doch und berechtigtermaßen gedeckten Weihnachtstisch der Villa bleibt, dass wohl niemand erfahren wird, wer nun eventuell dafür mit einem Projekt irgendwo in Sachsen zurückstehen muss.

Und auch für alle, die 2018 Geld aus einem angesichts der Aufgabenstellung zu kleinen Topf erhalten, bleibt unklar, ob es 2019 weitergehen kann, wenn es keine neuen Beschlüsse bei den im kommenden Jahr anstehenden Haushaltsdebatten zum Doppelhaushalt 2019/20 kommt. Vielleicht als Schlussgedanke für eben jene Verhandlungen. Was geschieht eigentlich mit Menschen, die in einer Gesellschaft kein integriertes Leben führen können, eben keinen Anschluss, eine Arbeit oder positives Wirkungsfeld, ein bisschen Glück und Teilhabe finden?

Kurz vor Weihnachten: Integrationsarbeit der Villa Leipzig in Gefahr

Kurz vor Weihnachten: Integrationsarbeit der Villa Leipzig in Gefahr

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Michael Freitag über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar