Es wird meist „bürgerschaftliches Engagement“ draufgeschrieben, wenn es darum geht, die Staatsbürger wieder ein bisschen teilhaben zu lassen an ihrer eigenen Politik, dem, was sie selbst betrifft. Das passiert nach wie vor so selten, dass es auch dem Berlin Institut noch eine große Pressekonferenz wert ist, wenn man über sechs gelungene Testversuche in Hessen berichtet.

Hessen? Die haben – verglichen mit Sachsen – doch keine Probleme. Oder?

Nicht ganz. Auch dort erleben Dörfer und kleine Städte eine massive Abwanderung in die Metropolen, drohen Provinzen zu vergreisen und eine „Null Bock“-Stimmung einzuziehen. Mit den jungen Menschen verschwindet die Zukunft. Und das Gefühl greift um sich, dass die Dagebliebenen nichts machen können. Politischen Einfluss auf ihre eigene Zukunft, wo ist der?

Es geht den Hessen wie den Sachsen.

Da staunt man eher, dass das Berlin Institut mit dem Projekt nicht gleich nach Ostsachsen gegangen ist. Aber gelernt hat man trotzdem was.

Grundtenor: Auf dem Land ist vielerorts das Leben schwieriger geworden – Abwanderung, Leerstand und eine schwindende Versorgung zeugen davon. Die Herstellung der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ ist ein im Grundgesetz verankertes politisches Handlungsziel.

„Doch mit Geld allein lässt sich keine Region stabilisieren“, sagte Reiner Klingholz, Direktor des Berlin Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, am Donnerstag, 22. Februar, bei der Vorstellung der Studie. „Der wichtigste Rohstoff sind die tatkräftigen Menschen. Sie sind die Experten, wenn es um die Entwicklung ihrer Heimat geht.“

Auf dieser Überzeugung basiert das Programm „Land mit Zukunft“, das die Landesstiftung „Miteinander in Hessen“ und die Herbert Quandt Stiftung in sechs nordhessischen Gemeinden realisiert haben.

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat das Programm begleitet und die Ergebnisse in der gleichnamigen Studie „Land mit Zukunft“ zusammengefasst.

Zu Beginn hatten die Bewohner der sechs Gemeinden bei „Bürgerdialogen“ Gelegenheit darüber abzustimmen, wo sie den dringendsten Bedarf sehen. Engagierte Bürger haben anschließend an „Runden Tischen“, moderiert von Mitarbeitern der beiden Stiftungen, Projekte entwickelt, die sie aktuell mit Fördermitteln des Programms umsetzen.

„Nicht alle Projektideen haben auf Anhieb funktioniert“, resümiert Manuel Slupina, einer der Autoren der Studie. „Aber der kombinierte Ansatz aus Mitbestimmung, professioneller Begleitung und Förderung hat sich als Wegweiser für die Unterstützung in ländlichen Räumen erwiesen.“

Die aktive Mitgestaltung der Bürger und eine nicht zu enge Zweckbindung der Fördermittel haben das Programm insgesamt positiv beeinflusst.

Nicht Bürokraten im fernen Wiesbaden haben bestimmt, wofür das Geld in welcher Frist auszugeben ist, sondern die Bürger selbst haben die Schwerpunkte gesetzt. Übrigens auch ein sächsisches Thema. Die SPD als Junior-Partner in der Regierung versucht einen Teil der Kommunalinvestitionen von den bürokratischen Fesseln zu befreien und den Kommunen damit mehr Handlungsspielraum zu geben.

Das Projekt „Land mit Zukunft“ unterstreiche einmal mehr, dass bürgerschaftliches Engagement ländliche Regionen lebenswerter machen kann, betont das Berlin Institut.

„Die Bürger wissen, wo es die größten Versorgungslücken gibt und es mangelt ihnen nicht an Ideen, wie sie ihr Umfeld wieder attraktiver gestalten können“, erklärt Claudia Müller-Eising, Geschäftsführender Vorstand der Landesstiftung. Die Engagierten brauchen jedoch die richtige Unterstützung, damit sie ihre Vorhaben auch umsetzen können. In ländlichen Regionen sollte die Engagementförderung daher einen höheren Stellenwert bekommen – und mit der Wirtschaftsförderung gleichziehen.

Doch nicht nur neue Aufgabenfelder, auch der Wandel im Ehrenamt machen eine stärkere Unterstützung Engagierter in den ländlichen Regionen notwendig. Die Bereitschaft der Menschen, sich langfristig an eine bestimmte Aufgabe zu binden, nimmt ab. Traditionelle Vereine haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre Vorstandsämter neu zu besetzen. Gleichzeitig entstehen Initiativen, die sich zeitlich befristet einem Projekt widmen.

„Neue und alte Formen des Ehrenamts zusammenzubringen ist daher eine wichtige Aufgabe“, sagt Martin Gehl, Projektleiter bei der Landesstiftung.

Kleinere Kommunen haben häufig keine Kapazitäten, um die Engagierten ausreichend zu unterstützen. Anlaufstellen für Freiwillige sind vor allem in der Nähe von Ballungszentren zu finden. Das Programm „Land mit Zukunft“ hat versucht, diese Lücke mit einem vergleichsweise neuen Ansatz zu schließen. Nicht das Geld und die Investitionen standen im Vordergrund, sondern die Begleitung der Bürger von der Bedarfsanalyse bis zur Projektentwicklung.

„Dass die Engagierten einen festen Ansprechpartner hatten, der ihnen bei Fragen weiterhelfen konnte und sie dabei unterstützte, aus einer Idee ein förderfähiges Projekt zu formen, war der zentrale Mehrwert des Programms“, zieht Manuel Slupina Bilanz. „So können sich die Freiwilligen auf ihre Projekte konzentrieren und die Auseinandersetzung mit Formalien oder Finanzierungsfragen ist auf ein Minimum begrenzt.“

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Es gibt 2 Kommentare

“Die SPD als Junior-Partner in der Regierung versucht einen Teil der Kommunalinvestitionen von den bürokratischen Fesseln zu befreien und den Kommunen damit mehr Handlungsspielraum zu geben.”

Die Bürger sind aber nicht die Kommunen und umgekehrt.
Die Kommunen sind auch nicht die Interessenvertreter der Bürger. Weder rechtlich noch tatsächlich. Im Gegenteil. Die Kommunen sind ein selbständiges Rechtssubjekt und deren Vertreter, die Bürgermeister und Verwaltung, gerieren sich auch so – im Zweifel für die Kommune und gegen die Bürger.
Wenn mir eine Bürgermeisterin sagt, sie wisse besser, was die Bürger wollen (als diese selbst) hoffe ich, daß die Kommunen eben kein Geld mehr in die Hand bekommen.

Die sächsische SPD als Vorkämpfer für Bürgerbeteiligung anzuführen, ist ein schlechter Witz.

Klingt gut, ein konkretes Beispiel wäre aber schön gewesen. So bleibt es ein wenig abstrakt.

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