Da gibt es zwar ein großes Forschungszentrum für Biodiversität in Leipzig. Die Zeitungen sind voller Geschichten zum Artenschwund. Aber die meisten Zeitgenossen haben noch nicht wirklich begriffen, was da gerade geschieht und welche Rolle ihre Putz-, Schneid- und Wegräum-Wut dabei spielt. Auch bei der Zerstörung der immer selteneren Rückzugsorte der Tiere in der Stadt. Selbst Würmer sind wichtig, mahnt jetzt der NABU. Sonst haben unsere Singvögel nämlich nichts zu fressen. Und das Laub, jammert der Gartenputzer?

Es fehlt tatsächlich allerenden an Verständnis für die Zusammenhänge in unserer belebten Umwelt. Und augenscheinlich wird das auch im Biologieunterricht nicht vermittelt, sonst würden nicht Winter für Winter die Putzkolonnen mit Motorsägen und Laubbläsern losziehen, um die Stadt auszukehren.

Liegt doch nur rum, das Laub, oder?

Im Herbst fallen die Blätter und bleiben liegen, zerfallen erst nach und nach, zum Teil über mehrere Jahre. Sie sind damit ein wichtiger Teil des natürlichen Nährstoffkreislaufs und außerdem Lebensraum für Kleingetier, welches wiederum Nahrung anderer Tiere ist, erklärt der NABU Leipzig die Rolle des Laubs. So finden hier Vögel, Igel, Kröten oder Eidechsen ihre Nahrung. Zudem ist die Laubschicht auch Winterquartier für viele Tiere, die man in ihrer Winterruhe nicht stören sollte. Das herabgefallene Laub schützt auch den Boden vor Austrocknung sowie viele kleine Pflanzen vor dem Winterfrost.

Zusammengekehrtes Laub in einer Grünanlage in der Wurzner Straße. Foto: Nabu Leipzig
Zusammengekehrtes Laub in einer Grünanlage in der Wurzner Straße. Foto: NABU Leipzig

Doch jetzt verliert der NABU Leipzig so langsam die Geduld. Denn die Botschaft, dass man die Reste der Artenvielfalt in der Stadt nicht rettet, wenn man jedes Mal alles wegputzen lässt, erreicht die Wahrnehmungsschwelle der Verantwortlichen einfach nicht. Sei es beim „Bereinigen“ der Sträucher in innerstädtischen Quartieren, sei es die Kahlrasur auf Schulbaustellen, wo auch alte Bäume und Sträucher weggeschafft werden, um plane Erde zu schaffen.

Der Nabu Leipzig habe das Amt für Stadtgrün und Gewässer immer wieder darauf hingewiesen, dass es aus ökologischen Gründen nicht sinnvoll ist, das Laub aus den Parks zu beseitigen, betont der Naturschutzbund jetzt, wo wieder in allen Teilen der Stadt auch von der Stadt beauftragte Firmen alles wegräumen, was den Amtswaltern da an Wildnis im Auge ist. Auch das Laub unter den Büschen. Damit werden der Nahrungskreislauf und die Biodiversität geschädigt – zudem ist es eine vollkommen überflüssige Arbeitsbelastung, so der NABU. Ohne weiteres könnte das Laub zwischen Sträuchern liegen bleiben, wo es vom Wind nicht fortgetragen wird, man könnte es sogar gezielt dorthin bringen, um den Tieren beim Überwintern zu helfen.

"Grünanlage" in der Wurzner Straße: Sträucher wegrasiert, Laub weggefegt. Foto: Nabu Leipzig
„Grünanlage“ in der Wurzner Straße: Sträucher wegrasiert, Laub weggefegt. Foto: NABU Leipzig

Denn: Nur wenn Laub verrottet, finden Regenwürmer Nahrung. Nur wenn Vögel Regenwürmer finden, können sie erfolgreich brüten. Wer das Laub beseitigt, verhindert eine erfolgreiche Vogelbrut, mahnt der NABU.

Und ist eigentlich entsetzt, dass Wort und Tat der Leipziger Stadtverwaltung derart eklatant auseinanderklaffen.

In Gesprächen wurde dem NABU mehrfach zugesichert, dass eine naturverträgliche Parkpflege im Interesse des Gemeinwohls angestrebt wird. Aber vielfach wird das Laub dennoch entfernt. Erfreulicherweise blieb es an einigen Stellen tatsächlich zwischen den Sträuchern liegen, so der NABU. Darüber freuten sich nicht nur die Naturschützer, sondern vor allem die Tiere, die dort Nahrung und Unterschlupf finden.

War die Botschaft bei den Leipziger Grünflächenbereinigern endlich durchgedrungen?

Vollkommen unverständlich ist es daher, dass die „Parkpflege“ mitten im Winter wieder aufgenommen wird, kritisiert der NABU. Radikal werden Sträucher zurückgeschnitten, die damit viele Jahre lang keine Nistmöglichkeit für Vögel mehr bieten. Und großflächig wird das Laub beseitigt. Der nackte Boden wird dem kalten Wind ausgesetzt, die im Laub überwinternden Tiere werden umgebracht.

„Im Frühling und Sommer werden die Tiere im Park hier keine Nahrung mehr finden können, dem Boden wird die Nährstoffversorgung vorenthalten und er trocknet aus“, kritisiert René Sievert vom NABU diesen amtlichen Unfug. „Damit verlieren auch viele Bodenlebewesen ihren Lebensraum. Lebendiger Boden ist die Grundlage für den Naturhaushalt und auch für seine anderen ökologischen Funktionen, wie zum Beispiel als Wasserspeicher und Klimaregulator. Diese Funktionen werden nachhaltig geschädigt, und das vollkommen grundlos!“

Um den Regenwürmern ihr Futter wieder zu beschaffen, habe der NABU Leipzig deshalb eingegriffen: In einem symbolischen Akt der Verzweiflung haben die Naturschützer in einer Parkanlage das eben zusammengekehrte Laub wieder zwischen den Sträuchern verteilt. Sievert: „Es gehört auf die Beete und unter die Sträucher! Bitte lasst es dort liegen!“

Leipzigs Schulbau offenbart riesige Bildungslücken beim Artenschutz

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