Das Misstrauen in Olaf Scholz als möglichen neuen SPD-Vorsitzenden dürfte auch innerhalb der SPD wachsen. Denn die seit Freitag öffentlich gewordenen Pläne von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zur Reform der Abgabenordnung folgen erstaunlicherweise dem Vorstoß der CDU, die schon nach dem Entzug der Gemeinnützigkeit für Attac auch gegen die Deutschen Umwelthilfe (DUH) so vorgehen will. Der „Spiegel“ brachte es am 22. November mit dieser Titelzeile auf den Punkt: „Plan des Finanzministeriums: Scholz will politisch engagierten Vereinen die Steuervorteile entziehen.“

Aber geht es tatsächlich um „politisch engagierte Vereine“? Oder geht es um etwas anderes?

Die Meldung zu Scholz’ Vorhaben traf sich am Freitag, 22, November, gleich noch mit dem nächsten – diesmal vom Berliner Finanzamt beschlossenen – Entzug der Gemeinnützigkeit: Es aberkannte der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) – die Gemeinnützigkeit. Grund dafür sei, dass der Verein in Bayern im Verfassungsschutzbericht auftaucht. Augenscheinlich bestimmt jetzt der Verfassungsschutz durch simple Erwähnung in seinen Berichten, wem die Gemeinnützigkeit entzogen wird.

Dass es ausgerechnet eine Organisation trifft, die sich gegen den Faschismus engagiert, wirkt dabei nicht nur für Sachsens Linke sehr seltsam.

„Der VVN-BdA ist anerkannter Opferverband der Opfer des Nationalsozialismus und deren Nachfahren. Dem Verband in diesen Zeiten und in unserem Land die Gemeinnützigkeit zu entziehen, ist ein ungeheuerlicher Vorgang“, sagt Susanne Schaper, eine der beiden Vorsitzenden von Die Linke Sachsen, am Freitag, 22. November. Der VVN-BdA erbringe als Akteur in der Erinnerungsarbeit, Demokratiebildung und Präventionsarbeit gegen rechte Ideologien einen wertvollen Beitrag für die Gemeinschaft und ist erkennbar gemeinnützig.

„Unsere Solidarität gilt dem VVN-BdA in gleichem Maße wie anderen, schon in der Vergangenheit vom gleichen Schicksal betroffenen Akteuren, wie zum Beispiel attac“, so Schaper. „Dem VVN-BdA die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, während kommerziell agierenden Akteuren wie ADAC und DFB diese gewährt wird, sehen wir als fortgesetzte Diskriminierung demokratischen Engagements an.“

Der Hinweis auf ADAC und DFB ist nicht ganz unberechtigt. Denn dass – auf Initiation durch dem damaligen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) – attac die Gemeinnützigkeit entzogen wurde, hat mit handfesten wirtschaftlichen Interessen zu tun. Denn damit wird gerade Bewegungen das Einwerben von Spendengeldern erschwert, die sich für gesellschaftliche Ziele einsetzen, die der gesamten Gesellschaft zugute kommen. Aber dieses Engagement stört einige der finanzstarken Konzerne im Land.

Drei dieser Initiativen kritisieren jetzt Scholz’ sehr eigentümliche Formulierung von Vereinszwecken, die nur „weit im Hintergrund“ mit politischen Mitteln verfolgt werden dürfen. Heißt das also, dass gemeinschaftliches Engagement gegen den Einfluss großer Konzerne, falsche Finanzpolitik oder gar Demokratiefeinde jetzt als nicht mehr gemeinnützlich gewertet werden, während wirtschaftsnahe Lobbyvereine weiterhin alle Vergünstigungen behalten?

Autokratie spielerisch erklärt – Die Anstalt vom 16.07.2019 | ZDF

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac, die Bürgerbewegung Campact und das Demokratische Zentrum Ludwigsburg (DemoZ) üben jetzt deutliche Kritik am Vorstoß von Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der hier augenscheinlich lustvoll in das Erbe seines Amtsvorgängers eintritt.

Die geplante Ergänzung des Paragraphen 51 der Abgabenordnung, wonach gemeinnützige Vereine ihre Zwecke nur noch „weit im Hintergrund“ mit politischen Mitteln verfolgen dürften, wäre eine fatale Entwicklung für die Demokratie, warnen die drei Vereine, denen selbst die Gemeinnützigkeit entzogen wurde, weil sie zu politisch sind.

Auch die im Bundesfinanzministerium diskutierte Einführung einer neuen Kategorie „Politische Körperschaft“, die nicht gemeinnützig, aber steuerbegünstigt wäre, führt aus Sicht der drei Vereine in eine falsche Richtung: Sie würde eine Aufspaltung der Zivilgesellschaft in einen vorgeblich unpolitischen gemeinnützigen Teil und einen politischen Teil bedeuten. Für Attac und Campact wäre der Status einer „Politischen Körperschaft“ wahrscheinlich sogar von finanziellem Nutzen, trotzdem lehnen beide Organisationen diesen Plan ab, weil er die Zivilgesellschaft insgesamt schädigen würde.

„Die geplante Gesetzesänderung würde politische Aktivitäten von Vereinen weiter massiv einschränken, statt sie abzusichern“, stellt Attac-Geschäftsführerin Stephanie Handtmann fest. „Wie soll ein Verein etwa gegen die Menschheitsbedrohung durch die Klimakatastrophe kämpfen, ohne sich auf politischem Terrain mehr als ,weit im Hintergrund‘ zu betätigen? Es ist höchste Zeit, das Ruder rumzureißen und die kritische demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, statt ihr immer weiter Knüppel zwischen die Beine zu werfen.“

Es müsse möglich sein, gemeinnützige Zwecke auch überwiegend oder ausschließlich mit politischen Mitteln zu verfolgen.

Mit der Behauptung, Attac sei zu politisch, entzog das Finanzamt Frankfurt dem Netzwerk im April 2014 die Gemeinnützigkeit. Im November 2016 gab das Hessische Finanzgericht der Attac-Klage dagegen voll statt. Auf Weisung des Bundesfinanzministeriums beantragte das Finanzamt jedoch Revision beim Bundesfinanzhof.

Dieser verwies das Verfahren im Februar 2019 zurück an das Hessische Finanzgericht. In dem erneuten Prozess (voraussichtlich im Januar 2020) müssen die Richter in Kassel nun den Vorgaben des BFH folgen, der den Rahmen für politisches Engagement von gemeinnützigen Organisationen sehr viel enger spannt als sie selbst in ihrem ersten Urteil.

Infolge des Attac-Urteils des BFH wurde im Oktober auch der Kampagnenorganisation Campact die Gemeinnützigkeit entzogen. Im November folgte das soziokulturelle Zentrum DemoZ in Ludwigsburg.

Felix Kolb, geschäftsführender Vorstand von Campact sagt: „Mit einer zusätzlichen Kategorie ‚Politische Körperschaft‘ wären Vereine gezwungen, sich zwischen politischer und gemeinnütziger Arbeit zu entscheiden – dabei ist gemeinnützige Arbeit immer auch politisch! Hier wird eine künstliche Spaltung erzeugt und der Druck auf gemeinnützige Vereine, aus Angst vor Verlust der Gemeinnützigkeit ihr politisches Engagement weiter einzuschränken, wäre immens.“

Welch absurde Blüten die Trennung von gemeinnützigem und politischem Engagement treibt, zeigt der Fall des DemoZ in Ludwigsburg. Das DemoZ ist ein soziokulturelles Zentrum, eines von 600 in Deutschland. Dessen Entzug der Gemeinnützigkeit wurde damit begründet, dass sich das Zentrum politisch zu einseitig positioniere und die politische Willensbildung nicht mit der notwendigen gesellschaftlichen Offenheit führe, weil es Rechtsextremisten ausschließt.

„Es ist skandalös, dass von uns erwartet wird, als Beweis für ‚geistige Offenheit‘ Nazis bei unseren Veranstaltungen zu dulden“, sagt Yvonne Kratz vom DemoZ-Vorstand. „Bundesweit stellen die soziokulturellen Zentren mit Millionen von Besucherinnen und Besuchern jährlich kulturelle, soziale und selbstverständlich auch politische Veranstaltungen auf die Beine und tragen so zu einer aufgeklärten und demokratischen Zivilgesellschaft bei. Sie alle sind nun in ihrer Existenz bedroht.“

Was bedeutet Gemeinnützigkeit?

Ohne Gemeinnützigkeit können Mitglieder und Unterstützer/-innen eines Vereins ihre Spenden nicht von der Steuer absetzen. Gemeinnützige Stiftungen und andere Institutionen können Projekte des Vereins nicht mehr fördern.

Gemeinsam mit anderen Organisationen setzen sich Attac, Campact und DemoZ in der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht und eine Änderung der Abgabenordnung ein. Ihr angeschlossen haben sich mehr als 130 Vereine und Stiftungen – darunter neben den genannten beispielsweise auch Brot für die Welt, Amnesty International, Medico International, Oxfam und Terres des Hommes.

Attac, Campact und DemoZ fordern, die massive Einschränkung der gemeinnützigen Zwecke „Bildung“ und „Förderung des demokratischen Staatswesen“ aufzuheben sowie den Katalog gemeinnütziger Zwecke insbesondere um Menschenrechte, Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Frieden zu erweitern, um ihn den Erfordernissen einer modernen Demokratie anzupassen.

Als Skandal und weiteren Beleg, wie sehr Spielräume für demokratisches Engagement derzeit eingeschränkt werden, werten auch die drei Vereine den Fall der antifaschistischen Bundesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA), der das Finanzamt die Gemeinnützigkeit entzogen hat, weil sie im bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnt wird.

 

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Es gibt 2 Kommentare

Man sollte ja nicht schlecht über Tote sprechen, aber: Was die SPD da wieder macht, ist absolut unmöglich und hat mit Demokratie nichts mehr zu tun.

“Dessen Entzug der Gemeinnützigkeit wurde damit begründet, dass sich das Zentrum politisch zu einseitig positioniere und die politische Willensbildung nicht mit der notwendigen gesellschaftlichen Offenheit führe, weil es Rechtsextremisten ausschließt.”

Amtlich verordnete Willkommenskultur für Rechtsextremisten. Ich bin fassungslos.

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