Temu, Shein und andere Handelsplattformen werden für die Verbraucher in Deutschland und der gesamten EU immer beliebter. Das hat mehrere Gründe, der niedrige Preis für viele Artikel ist nur einer davon. Es gibt aber durchaus auch negative Folgen, wie das erhöhte Paketaufkommen, welches meist per Luftverkehr abgewickelt wird. Ein anderer Effekt ist, dass oft technische Geräte, die nicht den europäischen Sicherheitsanforderungen entsprechen, oder schadstoffbelastete Waren in den Verkehr kommen.

Auch die Geltendmachung von Garantieansprüchen gestaltet sich manchmal schwierig, weil die Händler nicht erreichbar sind. Es gibt gute Gründe für einen neuen Umgang mit diesen Plattformen. Anna Cavazzini und Alexandra Geese, beide Mitglieder des Europäischen Parlaments in der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz, haben aus diesem Grund zwölf Forderungen zur Durchsetzung des hohen EU-Verbraucherschutzes im Online-Handel im Europaparlament gestellt.

Anna Cavazzini fasste das in ihrer Pressemitteilung zum Weltverbrauchertag zusammen: „Daher braucht der Verbraucherschutz ein Update für das digitale Zeitalter, um die gleichen Rechte, die on- und offline gelten, in der EU auch durchzusetzen. Ich appelliere an den Rat, endlich mit uns die Verhandlungen zur Zollreform aufzunehmen, um für den Paket-Tsunami fit zu werden.

Ebenso brauchen wir mehr und besser europäisch koordinierte Marktüberwachung und europaweite Zusammenarbeit in der Durchsetzung des Verbraucherrechts. Und ich fordere die Europäische Kommission auf, das Gesetz über digitale Dienste konsequent anzuwenden.“

Anna Cavazzini im Interview am 12.03.25
Anna Cavazzini im Interview am 12.03.25. Foto: Thomas Köhler

Da es für uns Klärungsbedarf gab, fragten wir nach und erhielten auch eine Antwort per Mail.

LZ: In der Pressemitteilung wird gefordert, das Gesetz über Digitale Dienste (DSA) konsequent anzuwenden. Findet bei diesem Problem der DSA oder eher das Gesetz über Digitale Märkte (DMA) Anwendung?

A.C.: Das Gesetz über digitale Diensten (DSA) kommt natürlich auch bei Online-Marktplätzen zur Anwendung, lässt aber Regulierungslücken: Die Plattformen reagieren zu langsam, um illegale Inhalte und Produkte zu entfernen. Außerdem ist der DSA ist noch in der Umsetzungsphase, was je nach Mitgliedsstaat unterschiedlich schnell voranschreitet.

Wir fordern überdies zusätzliche Verpflichtungen und eine gezielte Umsetzung des DSA für Online-Marktplätze, da viele Regeln mit Social-Media-Plattformen im Hinterkopf gemacht wurden. Wenn Online-Marktplätze dann ihren Verpflichtungen aus der Produktsicherheitsrichtlinie und auch aus dem DSA nicht nachkommen, sollten sie schlussendlich auch zur Verantwortung gezogen werden können.

Wie soll die von Ihnen geforderte Zollreform aussehen? Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher bei Shein oder Temu Produkte bestellen, wie soll der Zoll diese, als „nicht sicher“ auffinden?

Zoll und Marktüberwachung werden der Flut aus Paketen und Päckchen, die aus Drittstaaten kommen, einfach nicht Herr. Dafür brauchen wir mehr Ressourcen und eine bessere Koordinierung, mehr grenzüberschreitende Zusammenarbeit und stärkere Eingriffsbefugnisse. Mit mehr Test-Käufen können unsichere Produkte besser identifiziert werden. Die Zollreform sieht außerdem einen Risiko-basierten Ansatz vor, mit dem viel passgenauer kontrolliert werden kann.

Dafür braucht es auch eine gemeinsame Datenbasis in der EU, die wir schaffen wollen. Schließlich wird eine wichtige Neuerung sein, dass wir Online-Marktplätzen einen neuen Status verleihen, sie sozusagen zu Importeuren machen. Damit sind sie vor dem Zoll für die Produkte, die über sie in die EU kommen, verantwortlich. Das kann bei Verstößen auch konkrete Folgen haben, wie zum Beispiel das Festhalten von Waren am Zoll. Mit den neuen Regeln sollen dann auch Produkte unter 150 Euro zollpflichtig werden, so kann nichts mehr unter der Schwelle durchsegeln.

Soll es, Ihrer Meinung nach, verunmöglicht werden, aus EU-Mitgliedsstaaten solche Produkte zu bestellen? Soll also für EU-Mitgliedsstaaten das Angebot auf Online-Handelsplattformen eingeschränkt werden?

Das Ziel sind sichere, unseren Standards entsprechende Produkte auf dem Binnenmarkt. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen dabei die Wahlfreiheit behalten, diese natürlich auch aus Drittstaaten bestellen zu können. Unsere Aufgabe ist es also, unsere Rechtslage auch für Produkte, die nicht aus der EU kommen, durchzusetzen. Damit wird der Wettbewerb auch fair für die EU-Hersteller, die sich an die Regeln halten und im Moment gegen Billigstprodukte konkurrieren sollen.

Wer ist zuständig für die Einschätzung, welche Produkte über diese Plattformen in der EU vertrieben werden dürfen? Wer kontrolliert das und setzt das durch?

Grundsätzlich dürfen Online-Marktplätze anbieten, was legal ist. Das Problem ist, dass nicht sichere, nicht unseren Standards entsprechende Produkte derzeit nicht ausreichend von Zoll und Marktüberwachung kontrolliert werden können und dass oft Verbraucher*innen auf dem Schaden sitzen bleiben, wenn sie aus Drittstaaten wie China bestellen. Unser Ziel ist, dass Verbraucherinnen und Verbraucher immer ihre Rechte in Anspruch nehmen können, egal, wo sie kaufen: in Tschechien oder Sachsen, on- oder offline.

Würde das neue „EU-Gesetz zur digitalen Fairness“ (DFA) Regelungen enthalten, die besser im DMA aufgehoben wären?

Noch ist nicht klar, was genau die Europäische Kommission im DFA vorschlagen wird. Wir verstehen den DFA als notwendigen Lückenschließer nach der Digitalgesetzgebung der letzten Legislaturperiode, zum Beispiel im Bereich Influencer-Marketing oder im Kampf gegen abhängig machende Designs oder Manipulation in online Games für alle Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir machen uns auch stark für einen Kündigungsbutton, mit dem es genauso leicht wird online Verträge zu kündigen wie abzuschließen.

Es gibt, neben den etablierten Handelsplattformen, noch andere Formen des Online-Handels. Wie kann man im obigen Zusammenhang beispielsweise die TikTok-Shops einschätzen?

Die Regeln müssen natürlich für alle greifen, die online Produkte verkaufen. Gerade bei Verkäufen über TikTok oder auch Plattformen wie Temu wird die Ergänzung durch den DFA besonders wichtig, um Verbraucherinnen und Verbrauchern vor ungewollten Käufen zu schützen. Influencer, die Cremes anbieten, oder ein Countdown, bis das Angebot nicht mehr gilt – hierfür braucht es klare Regeln, damit wir nur kaufen, was wir wirklich kaufen wollen, und die Produkte dann auch wirklich sicher sind.

Fazit: Es geht also um Produktsicherheit, um Verbraucherschutz und auch um die Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber den Plattformen, besonders bei Manipulationen auf Online-Marktplätzen. In der Pressemitteilung führt Anna Cavazzini das aus:

„Darüber hinaus muss Schluss sein mit Manipulation auf Online-Marktplätzen, die Verbraucherinnen und Verbraucher in ungewolltes Verhalten, Käufe oder Abhängigkeiten drängen. Hierfür brauchen wir ein neues EU-Gesetz zur digitalen Fairness, um das Machtgefälle zwischen Big Tech und Einzelpersonen zu adressieren. Schließlich müssen auch die Online-Marktplätze mehr Verantwortung tragen, wenn sie ihren Auflagen nicht nachkommen. So sind Verbraucherinnen und Verbraucher auch beim Online-Shopping sicher.“

Es ist ein wichtiges Thema, wir werden weiter darüber berichten.

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